Reisen in den Zeiten des Klimawandels
Der Kurztrip als Beitrag zur Katastrophe: Eine kleine Analyse. Die Klimaschutzbewegung hat mit Greta Thunberg mächtig Aufwind bekommen. Mit ihrem schonungslosen Auftreten macht sie sich natürlich nicht nur Freunde, so dass Versuche nicht ausbleiben, sie als scheinheilige Ikone bloßzustellen. Funktioniert das nicht, erklärt man sie kurzum zu einer fremdgesteuerten Marionette. Auch wird es gar zu einem Ereignis erklärt, wenn die Klimaaktivistin beispielsweise mit dem Zug nach Davos oder Brüssel fährt, um dort vor elitärem Publikum zu sprechen. Denn eine längere Fahrt mit der Bahn, ob nun geschäftlich oder auch in den Urlaub, das ist mittlerweile so abstrakt, dass so jemand wie Thunberg scheinbar nicht ganz ernst zu nehmen ist. Nicht deshalb, aber passend zu dieser Diskussion, zeigt unser Artikel, wie klimafreundlich ein Urlaub sein kann.
Um der Antwort näher zu kommen, welches Verkehrsmittel und welche Art von Urlaub verantwortungsvoll ist, werden dabei exemplarisch zwei Reisen miteinander verglichen. Dazu wurden verschiedene Berechnungen von CO2-Äquivalenten verwendet. Meist rechnen CO2-Kalkulatoren mit festgelegten Multiplikatoren. Diese definieren den Ausstoß von CO2 pro Kilometer für die unterschiedlichen Verkehrsmittel, beziehen jedoch nur die direkten CO2-Emissionen mit ein. Ebenso nicht in der Berechnung berücksichtigt sind meist die indirekten Emissionen, die bei der Produktion des Verkehrsmittels anfallen. Um diese weiteren, klimawirksamen Emissionen zu berücksichtigen, bedarf es einer aufwändigeren Analyse.
Zwei fiktive Beispiele
Für den Vergleich unterschiedlicher Verkehrsmittel wurden zwei Urlaubsreisen definiert. Der Aufenthalt im Urlaub selbst ist dabei nicht Gegenstand der Analyse. Der erste Urlaub führt vom fränkischen Fürth nach Malta, die andere Variante ist eine Reise vom badischen Karlsruhe in die griechische Region Chalkidiki. Dabei werden bei beiden Reisen jeweils verschiedene Routen betrachtet. Diese ergeben sich schon aufgrund der jeweils gewählten Transportmittel. Als Basis dient eine vierköpfige Familie.
Urlaubsreise nach Malta: Hier wird zunächst angenommen, es gäbe die Möglichkeit eines Direktfluges vom naheliegenden Nürnberg nach Valletta. Alternativ wird eine Zugfahrt mit anschließender Fähre von Sizilien betrachtet, sowie eine Reise mit dem Auto gerechnet. Als letzte Variante gibt es noch den Reisebus.
Urlaubsreise nach Chalkidiki: Ähnlich wie bei der ersten Reise wird angenommen, dass die Möglichkeit eines Direktflugs von Karlsruhe nach Thessaloniki angeboten würde. Eine Bahnfahrt führt über Budapest und Belgrad. Auch hier wird alternativ eine Autofahrt und ein Reisebus untersucht.
Wie viel CO2 darf noch emittiert werden?
Unter Berücksichtigung einer durchschnittlichen Erderwärmung auf 1,75°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau - das Paris-Ziel spricht von "deutlich unter 2 Grad" - gibt es für jeden Erdenbürger ein jährliches Emissionsbudget. Laut Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung liegt das für Deutschland bei 7,3 Gigatonnen, gerechnet ab Anfang 2019. Das sind dann in etwa 800 Megatonnen für das Jahr 2019, für die Folgejahre muss eine jährliche Minderung der Emissionen von rund 6% berücksichtigt werden und ab dem Jahr 2036 dürfen wir nichts mehr emittieren. Bei einer Bevölkerungszahl von 81,4 Millionen sind das pro Kopf in diesem Jahr dann 9,82 t CO2-Äquivalente. Die Grundlage dieser Überlegung ist neben dem verbleibenden Anteil von etwa 800 Gigatonnen unser Anteil an der Weltbevölkerung von 1,1%.
In dem Zusammenhang sollte betont werden, dass es nicht unerheblich ist, zu welchem Zeitpunkt das CO2 in die Atmosphäre eingebracht wird. Denn je schneller reduziert wird, desto langsamer verläuft die ohnehin schon angelaufene, beschleunigte Erderwärmung. Auch verringern sich die Unwägbarkeiten bezüglich der Interaktion von unterschiedlichen Klima-Kippunkten. Deshalb ist es möglicherweise etwas zu einfach gedacht, von einem jährlichen Klimabudget pro Mensch zu sprechen. Aber zur Verdeutlichung, wie weit wir selbst von diesen optimistischen Annahmen heute entfernt sind, ist es durchaus hilfreich zurückzurechnen, wieviel von diesem Budget durch eine Reise aufgebraucht wird.
Wie viele Reisen kann ich unternehmen?
Für die Klimabilanz einer Reise ist es wenig relevant, wie lange sie dauert. Ob man nun für das Wochenende zum Shoppen nach London jettet oder für eine vierwöchige Bildungsreise nach Großbritannien fliegt, der klimarelevante Aufwand ist der gleiche. Auch ist es zunächst gleichgültig, ob man mit dem Rucksack oder mit edlem Gepäck verreist. Wichtig ist vielmehr die Summe alles Handelns vor Ort. Denn es zählt auch der Leihwagen, das ressourcenfressende Resort in sonst karger Landschaft, das Speisen und Trinken am Urlaubsort wie insgesamt der Energieverbrauch in der Fremde. Alles das müsste noch mitberücksichtigt werden. Da dies allerdings zu weit führen würde, betrachtet dieser Artikel lediglich die klimarelevanten Daten der Hin- und Rückreise.
Ein weiteres Problem des Fliegens ist, dass die Abgase in der Reiseflughöhe Ozon aufbauen, was die Sonneneinstrahlung zusätzlich beeinflusst. Sie werden sozusagen in der falschen Etage der Atmosphäre ausgestoßen und wirken dort besonders klimaschädlich. Auch die produzierten Wolken, die man als Kondensstreifen am Himmel sieht, stellen ein Problem dar, weil sie wie eine Art Treibhausdach funktionieren. Durch die Wassertröpfchen kommt die Strahlung der Sonne hindurch, aber die Abkühlungsstrahlung der Erde wird aufgefangen. Deshalb ist es auch eine fast naive Annahme, dass ein Ausgleich emittierter Treibhausgasemissionen durch das Pflanzen von Bäumen kompensiert werden kann. Ein Sprichwort macht das deutlich: Bäume wachsen nicht in den Himmel!
In der Tabelle 1 finden Sie alle relevanten Daten. Die Entfernungen, speziell die der Bahnstrecken, wurden mithilfe der OpenSource-Kartenanwendung BRouter-Web1) erstellt. Des weiteren wurden Entfernungsangaben der Fährgesellschaften und sowie übliche Flugrouten verwendet. Auf Kostenvergleiche wurde verzichtet, gute Möglichkeiten bieten hierzu Reiseplattformen wie Omnio2) oder Rome2rio2). Die Angaben der CO2-Äquivalente kommen von CO2online, dem Forschungs- und Informationssystem FIS, CO2Connect, Atmosfair wie auch dem Umweltbundesamt.
Warum verreisen?
Viele von uns übertragen den Gedanken der Effizienz aus dem Berufsalltag in ihrem Urlaub. Somit ist das Ziel, so wenig "unnötige Zeit" wie nur möglich mit der Überwindung von Distanzen zu verschwenden. Diese verkommt somit zum notwendigen Übel und wird nicht zum Inhalt der Reise gezählt. Dabei übersieht man schnell, dass es vor allen Dingen die Bequemlichkeit ist, die uns dazu nötigt eine möglichst kurze Anreise zu haben. Dabei entgeht dem stressgeplagten Urlauber jedoch so einiges. Der langsame Übergang, klimatisch und kulturell, die Pausen an Orten zwischen Wohnort und Reiseziel, die Umgebung des Zielorts und die regionalen Besonderheiten unterwegs. Dadurch wird vergessen, dass auch der Weg das Ziel sein kann und man während einer Anreise keine Zeit verliert, sondern vielmehr Eindrücke gewinnt.
Plant man seine Reisen akribisch oder glaubt, Erholung im Urlaub sollte vor allem durch Passivität entstehen, hat man eventuell die Reiseberichte bekannter Schriftsteller nie gelesen, geschweige denn verstanden. Denn je weniger geplant wird, desto mehr gibt es zu erleben und umso erholsamer kann die Reise werden. Um dem Alltag zu entfliehen, gilt es sich vielmehr keinem definierten Tagesablauf zu unterwerfen. Je flexibler man unterwegs ist, desto angepasster an die jeweilige Gemütslage und das Wetter lässt sich vor Ort agieren. Manche Orte erscheinen in Reiseprospekten verführerisch, jedoch kann es real mitunter ganz anders aussehen. Das alles spricht deutlich dafür, keine Kurztrips zu unternehmen, sie sind schon wegen des spezifischen Aufwands nicht mehr zeitgemäß. Hier kommt wieder die Fehlinterpretation des Begriffes Energieeffizienz zum Tragen. Viele kurze, effiziente Reisen sind in der Summe verschwenderisch und wenig sinnvoll. Auch wenn die Anreise jeweils kurz ist, ergibt sich bei vielen dieser Kurzausflüge ein Missverhältnis von Reiseaufenthalt zu An- und Abreise. Folglich ist es für die Klimabilanz einer Reise eben doch relevant, wie lange sie dauert, so lange ein längerer Aufenthalt mehrere Abstecher ersetzt.
Mehr Brutto vom Netto
Es ist ratsam, nicht die komplette Reise durchzuplanen, besser sollte man sich bewusst weniger vornehmen, länger verreisen und keine Scheu haben, Kulturen kennenzulernen. Auf der Fahrt zum Feriendomizil kann es sehr erfrischend sein, ungeplante Zwischenstopps einzulegen und somit eine zermürbend lange Anreise zu vermeiden. Speziell bei der Rückreise ist dies für eine nachhaltige Erholung von Bedeutung. Vielleicht noch besser ist es kein singuläres Reiseziel auszuwählen, sondern sich eine Region vorzunehmen und sich entsprechend Zeit für Unvorhergesehenes zu lassen. Entscheidet man spontan, was als Nächstes passiert, entsteht vielmehr ein Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit, etwas was uns in unserem Alltag leider oft abhanden kommt.
Auch ist es empfehlenswert unterwegs weder Mails noch WhatsApp auf dem Mobiltelefon zu empfangen. Nachrichten von zuhause werfen einen nur unnötig zurück in die Banalität. Handys sind für Notfälle wichtig, auf Laptops kann komplett verzichtet werden, eine tagesaktuelle Zeitung oder Nachrichten aus dem Radio oder TV sind bisweilen destruktive Zeitmaschinen. Für viele undenkbar, aber meist erholsamer als gedacht, ist ein spartanisches Leben unterwegs. Das verdeutlicht den Luxus, der uns sonst im Alltag begleitet und macht klar, wie sehr uns das Materielle im Griff hat und vom eigenen Dasein ablenkt. Ein einfaches Essen in der Pampa ist oft romantischer als ein Drei-Sterne-Menü in der Metropole. Wann kann man schon mal die Stille und Dunkelheit in der Natur genießen und Einsamkeit und Langeweile erleben?
All das ist wichtig, erinnern wir uns verklärt an unserem ersten Urlaub. Dieser war meist ein wichtiger Schritt in die Freiheit. Dieses Gefühl will jedoch im Urlaubsstress nicht mehr so richtig aufkommen. Denn ähnlich wie bei anderen Varianten des Konsums, geht es nicht mehr um uns selbst, sondern vielmehr um den eigenen Status. Heute glauben viele um die halbe Welt fliegen zu müssen, um in der Gesellschaft anzukommen. Das wird auch daran deutlich, mit welcher Besessenheit fotografiert und gefilmt wird. Denn das Reisen hat sich durch die Digitalisierung verändert. Wo früher noch die kulturelle Entdeckung des Landes im Vordergrund stand, sind es nun Instagram-taugliche Fotos.
Fazit: Folgen Sie nicht der Masse, reisen Sie klimaschonend!
Ergebnis: Mit einer einzigen Flugreise von Nürnberg nach Malta und zurück wird bereits ein CO2-Äquivalent von 2.560 kg verbraucht, mit einem von Karlsruhe-Thessaloniki und zurück emittiert die 4-köpfige Familie bereits 2.366 kg. Vom Jahresbudget an Klimagasen ist somit durch eine einzige Flugreise bereits ein erheblicher Anteil verbraucht. Zu dem CO2-Fußabdruck der Familie kommen natürlich noch alle anderen klimarelevanten Verbräuche durch Wohnen, Essen, Kleidung, Konsumgüter, Mobilität und vieles mehr. Einen großer Hebel stellt allein die Ernährung dar. Beispielsweise verbessert man allein durch eine vegane Ernährung seine Bilanz um zwei Tonnen jährlich, bei ansonsten gleichbleibendem Lebensstil. Denn statt der angestrebten 9,82 t CO2/Jahr belastet ein Bundesbürger das Klima heute mit etwa 11 t.
Die Große Beschleunigung
Bereits Anfang 2018 (Ausgabe 1|18) hatten wir schon einmal die erschreckenden 24 Kurven vorgestellt, die unter dem Begriff "die große Beschleunigung" kursieren. Hintergrund: In den letzten 50 Jahren manipulierte der Mensch die natürliche Umwelt in einer dramatischen Geschwindigkeit. Diese 24 Kurven zeigen die Veränderungen der menschlichen Bevölkerung, der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre und der menschlichen Bebauung und Verbrauchsmuster. In der "Großen Beschleunigung" in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der ökologische, wie auch der ökonomische und soziale Fußabdruck des Menschen über alle Maßen angewachsen. Dass dies genau jetzt passiert und die heute lebenden Generationen deshalb entscheidend sind für das, was ist und was sein wird, veranlasste Barack Obama zu folgendem Ausspruch: "Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel spürt und die letzte Generation, die etwas dagegen tun kann." Dem ist nichts hinzuzufügen. Passend zu dem Artikel zeigen wir sechs dieser Grafiken:
Matthias Hüttmann