Nachhaltiges Bauen und Produzieren
Ist die Wärmewende der "entscheidende Hebel" für den Klimaschutz? Der Baukulturbericht 2018/19 der Bundesstiftung Baukultur (1) stellt fest: „Das Bauen in Städten und Ballungsräumen gehört zu den größten Ressourcenverbrauchern. Allein 60% des weltweiten Materialverbrauchs, 50% des Abfallaufkommens sowie jeweils 35% des Energieverbrauchs und der Emissionen werden von Bauaktivitäten verursacht. Anhaltende Urbanisierungsprozesse und wirtschaftliches Wachstum führen zu weiter steigenden Bedarfen an Rohstoffen. In Deutschland werden jährlich 517 Mio. Tonnen an mineralischen Rohstoffen – Metalle, Industrieminerale, Steine und Erden – verbaut, 90% der entnommenen mineralischen Rohstoffe werden allein im Baubereich eingesetzt. Die gegenwärtig steigenden Bauaktivitäten ziehen insbesondere in Großstädten einen erhöhten Rohstoffbedarf nach sich.“ Und: „Der weltweiten Verknappung der Rohstoffe wie etwa Kupfer und Sand wird in diesem Zusammenhang kaum Beachtung geschenkt.“
Enorm viel Energie in der Substanz
Dabei ist spätestens seit 1949 Beton der meistverwendete Baustoff, seit 1995 mit ca. 70% Hauptbestandteil eines Bauwerks. Insbesondere Städte binden mit ihren bestehenden Strukturen – Gebäuden, Straßen, Brücken und Versorgungssystemen - eine Vielzahl von Baustoffen und Materialien. Dieser Bestand (auch als ‚anthropogenes Lager’ bezeichnet) kann und muss als Rohstofflager der Zukunft angesehen werden. Die Kommission Nachhaltiges Bauen am Umweltbundesamt hat in diesem Zusammenhang umfassende und detaillierte Forderungen sowohl zum Recycling des vorhandenen Gebäudebestandes wie auch für die Errichtung neuer Gebäude und deren Recyclingfähigkeit erhoben (2).
Nach einem Bericht an die „High Level Commission on Carbon Prices“ des IPCC von 2017 (3) müssen bis 2030 nicht nur die Kohleverstromung, sondern auch die Grundlagen für strategische Innovationen, etwa Materialien und Techniken für das klimaneutrale Bauen von Städten und Infrastrukturen geschaffen werden. „Dazu sollte dem Markt endlich auf die Sprünge geholfen werden. Denn innovative Produkte oder Verfahren werden häufig ignoriert, wenn sie ˝nur˝ die Ressourceneffizienz verbessern oder zu einer nachhaltigeren Lebensweise beitragen.“ (4)
Was ist aber durch die seit 1990 vorgenommenen - und weiter vorgesehenen - Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz erreicht worden: der Primärenergieverbrauch ist leicht gesunken (und kann weiter sinken), der Gesamtenergieverbrauch ist aber in der gleichen Zeit um über 40% gestiegen - und wird weiter steigen.
Eine sehr wichtige Frage für jegliches hergestellte Produkt stellt die Aufschlüsselung der Anteile des Primärenergieaufwandes für seine Herstellung und seine Verwendung, seinen Betrieb und seine Entsorgung dar, d.h. seine Betrachtung im gesamten Wirtschaftskreislauf. Die nachfolgenden Übersicht stellt die Entwicklung des Primärenergiebedarfs von Wohngebäuden - bei einem fast unverändert anzunehmenden Errichtungsaufwand von 60 kWh/m2 - seit 1984 bis zum beschlossenen europäischen „Nearly Zero Energy Building 2020“ dar.
Es wird deutlich, dass durch effizientere Gebäudetechnik der Primärenergiebedarf der Gebäude bezogen auf die mittlere Lebensdauer von Wohngebäuden von 50 Jahren zwar laufend verringert worden ist, diese Effizienzsteigerung in Bezug auf den primärenergetischen Erstellungsaufwand bis heute verschwindend gering ist. Jedes Prozent Verringerung des Primärenergieaufwandes für die Gebäudeherstellung ist 50mal relevanter als die Verringerung des Gebäudebetriebsaufwandes um ebenfalls ein Prozent jährlich.
Der Schlüssel: andere Materialien und Gebäudebestand
Mit einer „möglichen 80%igen Einsparung von Baumassen, vor allem bei Geschossdecken“ (Werner Sobek) und dem Einsatz von Baustoffen aus nachhaltig erzeugbaren und nachwachsenden Rohstoffen wie Holz, wird sogar das Errichten CO2-negativer Gebäude möglich. Aber noch viel wichtiger ist das nachhaltige Modernisieren des Gebäudebestandes, der immer noch über 90% des Gebäudeenergieverbrauchs verschlingt. Denn das gelingt nicht mit der „Wärmewende“ allein und – wenn überhaupt - dann nur im Schneckentempo einer Modernisierungsquote von unter 0,5% und sinkender Tendenz.
Das Hochschrauben der Anforderungen für noch effizientere Neubauten allein hilft uns nicht weiter und wird im Übrigen bereits als wirtschaftlich nicht mehr sozial und ökonomisch machbar betrachtet– siehe die Explosion der Wohnbaukosten. Die Verbesserung der Gebäudetechnik ist in der Regel um das vier- bis fünffache wirtschaftlicher als die Sanierung der Gebäudehülle. Sie ist deshalb schneller um- und durchzusetzen und ohnehin unerlässlich für den unerlässlichen Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung.
Noch einmal der Baukulturbericht 2018/19 der Bundesstiftung Baukultur: „Auf städtebaulicher Ebene trägt vor allem der Bau von Mehrfamilienhäusern bei gleichzeitiger Reduzierung des Neubaus von Ein- und Zweifamilienhäusern zu einer nachhaltigen Bauweise bei. Auf Gebäudeebene zählt immer noch die Umnutzung vorhandener Bausubstanz mit zu den effektivsten Maßnahmen im Sinne der Ressourcenschonung. Lässt sich Neubau nicht vermeiden, sollte auf eine möglichst lange Nutzung des Gebäudes hingewirkt werden. Die Langlebigkeit der verbauten Materialien und die Anpassungsfähigkeit der Gebäudestruktur an sich ändernde Bedarfe sind in diesem Zusammenhang wichtige Stellschrauben.“ Darüber hinaus bietet das „Triple-Zero-Prinzip“ von Werner Sobek Orientierung für einen ganzheitlich nachhaltigen Ansatz: Gebäude und Stadtquartiere sind so zu errichten, dass nicht mehr Energie verbraucht als aus Erneuerbaren Energien erzeugt wird (Zero Energy), keine CO2-Emissionen entstehen (Zero Emission) und ein vollständiges Recycling möglich ist (Zero Waste).
Forschungsansätze wie die der „Block Research Group“ der ETH Zürich und anderer Hochschulinstitute in Deutschland und Österreich (insbesondere Holzbauforschung) sind in diesem Zusammenhang fundamental wichtig. Das gilt auch für bauende Architekten in Berlin, München, Wien, Hamburg, Zürich, in Vorarlbweg und anderswo. Forschungsschwerpunkt sind Tragkonstruktionen, bei denen der Materialeinsatz auf ein Minimum reduziert werden kann, kompaktere Bauweisen, Leichtbauten und Holzskelettbauten mit einer Primärenergieeinsparung von bis zu 35%.
Deutschland produziert schon jetzt als größtes holzerzeugendes Land der EU und durch den wesentlich stärkeren Holznachwuchs aufgrund des höheren CO2-Gehaltes der Luft 30% mehr Holz als nachhaltig eingeschlagen werden kann (Hans-Joachim Schellnhuber) und könnte damit den Bauholzbedarf der gesamten EU erbringen.
Fußnoten
(1) Bundesstiftung Baukultur, Potsdam, Bericht 2018/19, S.107
(2) www.bundesumweltamt.de, Download der Broschüre: bit.ly/2dowYYI
(3) J.Stiglitz et al., 2017
(4) S.Rahmstorf/H.J.Schellnhuber, Der Klimawandel, München 2018
Hinrich Reyelts