Ohne Alles ist alles Nichts
Die DGS bezweckt satzungsgemäß die Volksbildung auf den Gebieten der Erneuerbaren Energien und rationellen Energieverwendung unter besonderer Berücksichtigung der Sonnenenergie. Zudem tritt sie für Umwelt- und Ressourcenschonung ein. Unser Vereinszweck ist aktueller denn je und nach wie vor von zentraler Bedeutung. Es darf allerdings nicht übersehen werden, dass das nur die maximal halbe Miete ist. Denn auch wenn an der Prämisse „Strom und Wärme, ausschließlich aus Erneuerbaren“ kein Weg vorbeiführt, geht es heute um mehr, um nicht zu sagen, um alles.
Zu ihrer Gründung 1975, originellerweise an meinem 12. Geburtstag, sah die Welt möglicherweise noch ein wenig anders aus. Damals hatte die Ölkrise die westliche Hemisphäre in ihrem Bann, die Energiewende erschien noch einer Herkulesaufgabe gleich. Es galt die Solarthermie vom Bastelimage zu befreien und die Photovoltaik aus dem Weltraum auf die Dächer zu holen. Solartechnik musste in die Breite und alltägliche Anwendung gebracht werden, auch die Forschung stand noch am Anfang. Seitdem hat sich viel geändert, die Erneuerbaren sind nichts Abstraktes mehr, sie werden kaum mehr belächelt, immer mehr Menschen setzen sich für sie ein und nutzen sie.
Daran ändert es auch nichts, dass so manches Unternehmen Schindluder treibt und die Erneuerbaren lediglich als Camouflage nutzt, sich als Förderer ausgibt und mit unlauteren Mitteln ihre Durchsetzung verzögert. Der Erfolg der Erneuerbaren ist auch dadurch wohl kaum aufzuhalten.
Den solaren Fortschritt darf sich die DGS durchaus auch selbst ein wenig auf die Fahne schreiben. Als technisch-wissenschaftlicher Verein waren und sind viele unserer Mitglieder aktiv unterwegs und arbeiten weiter an der Solarisierung unserer Gesellschaft. Auch wenn wir wissen, dass trotz mancher Euphorie der letzten Jahrzehnte noch ein langer Weg vor uns liegt, darf auch von uns nicht übersehen werden, dass die Erneuerbaren nicht die Lösung unserer Probleme sind, sondern „nur“ einen wesentlichen Baustein darstellen. Es gibt vieles Weiteres, was gleichzeitig angegangen werden muss. Ganz abgesehen davon, dass wir schon bei der noch relativ einfachen Substitution von Kohle- und Atomstrom durch Erneuerbare Energien viel zu langsam vorankommen. Von Wärme spricht man seit Jahren nur in Sonntagsreden, das gleiche gilt für den Gebäudebestand. Auch das sind die klassischen Felder, mit denen sich die DGS seit langem beschäftigt und abarbeitet.
Andere Gebiete sind noch lange nicht so weit fortgeschritten, sie sind auch zu wenig in unserem Fokus. Um ein Beispiel zu nennen: Der globale Nutztierbestand ist für mehr Treibhausgasemissionen verantwortlich als der gesamte weltweite Verkehrssektor. Der ist zwar in der Diskussion, aber nicht grundsätzlich. Denn auch hier wird nicht über das „ob“, sondern lediglich das „wie“ geredet, es geht stets um Substitution und nicht um das Infragestellen. Das ist ein großes Manko, oder anders gesagt, die eigentliche Schwierigkeit. H.J. Schellenhuber hat das einmal als die „Diktatur des Jetzt“ bezeichnet. Wir müssen an vieles ran, das uns gewohnt und selbstverständlich geworden ist. Dabei geht es nicht darum, die eigene Lebensweise zurück in die Steinzeit zu versetzen. „Minimalismus“ und „Achtsamkeit“ als zwei Trendbewegungen steigern die Lebensqualität durch Reduktion.
Genau hier liegt aber auch die Hoffnung, schließlich galt vieles was heute selbstverständlich ist, einst als undenkbar. Auch sind die Zyklen der Veränderungen schneller als wir es wahrnehmen wollen. Ein Blick zurück, siehe 1975 zu 2019, macht das deutlich. Nehmen wir die Herausforderung jedoch nicht an, könnte der legendäre Satz von Neil Armstrong abgewandelt retrospektiv dann auch so lauten: „only one small step of mankind, and one giant leap for climate change“.
In der SONNENENERGIE finden Sie deshalb auch schon seit geraumer Zeit Fachartikel zu weniger solaren Themen, obwohl unser gesamtes Leben und Wirtschaften ja auf der Sonne beruht. Alleine in dieser Ausgabe geben wir einen Einblick in den IPCC-Bericht über Klimawandel und Landsysteme, berichten über Pflanzenkohle und Humusaufbau und informieren über die Kraft der Meeresenergie. Die SONNENENERGIE bietet schon lange mehr als ihr Name vermuten lässt. Ich hoffe, dass auch diese Ausgabe bei Ihnen vielleicht so manches Aha-Erlebnis hervorruft.
Matthias Hüttmann