Mir soll es mal besser gehen als Euch
Die Babyboomer-Generation, also die in den 1950er und 60er Jahren Geborenen, bekam häufig zu hören, dass es ihr einmal besser als den eigenen Eltern gehen solle. Diese, durch Krieg und Nachkriegszeit geprägte Generation, hatte Deutschland physisch mit wiederaufgebaut und Wohlstand für viele ermöglicht. Meist waren die Erinnerungen an die von großen Entbehrungen geprägte Kindheit noch in guter Erinnerung. Die Motivation, seinen Nachkommen eine bessere Welt zu hinterlassen, hatte aber sicherlich auch andere Hintergründe.
Nicht vergessen
Denn im Rückblick auf die Zeit des Faschismus in Deutschland gab es sehr viel, was aufgearbeitet werden musste, auch wenn für so manche nicht alles schlecht war. Es ist bekannt, dass Menschen Geschehenes gerne verdrängen, insbesondere wenn es nicht behagt. Der Prozess verstärkt sich möglicherweise auch mit der Zeit und je länger etwas Negatives zurückliegt, desto ausgeprägter ist dieser natürliche seelische Abwehrmechanismus. Das hat aber auch negative Auswirkungen. So sind unangenehme Erinnerungen aus dem Bewusstsein zwar verbannt, die Inhalte selbst aber nicht wirklich vergessen und erledigt, sie wurden lediglich in den seelischen „Untergrund“ verschoben. Nun kann die Psyche durch Extremsituationen aber so sehr überflutet und überfordert werden, dass sie sich gänzlich dem Geschehen verweigert. Das machen sich verantwortungslose, meist rechtsgerichtete, Organisationen gerne zu Nutze, indem sie positive Aspekte verstärken und das Selbstwertgefühl mit Anleihen aus der „glorreichen Vergangenheit“ und einem Blick zurück „aufzurichten“ versuchen.
Der Wunsch nach Zukunft
Aber ohne hier allzu tiefenpsychologisch analysieren zu wollen, war es sicher auch eine Mischung aus der Hoffnung auf ein schöneres Leben, gepaart mit einer Portion schlechtem Gewissen. Schließlich waren die eigenen Eltern nicht unschuldig an dem braunen Desaster und selbst als junger Mensch bisweilen auch ein Rädchen im System gewesen. Auch damals sollte es, in diesem Fall ausschließlich Deutschland, wieder besser gehen, die Verheißungen waren groß. Eine nachhaltig bessere Zukunft bezog sich während des Nationalsozialismus vor allem auf die Unterdrückung anders denkender und anders lebender Menschen, wie auch der Überhöhung der eigenen Existenz. Dass das nicht nachhaltig sein konnte, interessierte wohl niemanden, damals nicht, aber offensichtlich auch nicht die Nachkriegsgeneration selbst, obwohl es in der Katastrophe geendet hatte.
Vor allem die Jugend und Jüngere hatten im Wirtschaftswunderland so manch andere Vorstellung, was auch dazu führte, dass etwa Kritik an dem materiellen Streben schnell mit Undankbarkeit gleichgesetzt wurde. Das ist durchaus verständlich, schließlich schuftete die Altvorderen viel, auch wenn es nicht nur um das Wohl der Kinder ging, selbst wollte man, mehr oder weniger unbewusst, auch mit Konsum das eigene Leid kompensieren.
Altruismus ist passé
Wenn nun heute immer deutlicher wird, mit welcher Wucht man in die Klimakatastrophe fährt, ist es durchaus bemerkenswert, dass gegenwärtig, zumindest hierzulande, immer weniger Utopien gedacht werden. Der Gedanke für eine positive Zukunft nimmt, so könnte man meinen, einen immer kleineren Raum ein. Geht es vor allem um die Gegenwart, scheinen sich die Präferenzen geändert zu haben. Im Hier und Jetzt sind die eigenen Pfründe wichtiger als alles andere.
Gefährlicher Pragmatismus
Die Folgen sind unübersehbar. Politiker, die heute in Verantwortung stehen, handeln höchst technokratisch, ignorieren aber unangenehme wissenschaftliche Erkenntnisse. Das war lange erfolgreich und kam gut an. Dabei hat man jedoch vergessen, dass Wachstum in vielen Bereichen lange als Kleber einiges zukleistern konnte und Unmut unter der Decke verborgen blieb. Kritik an den Zuständen wurde nicht akzeptiert, gefährdete sie womöglich den erarbeiteten Wohlstand.
Wenn aber Politik die Zeichen der Zeit nicht erkennt und weiter vor allem im Status quo verharrt, dann könnte es bald sehr ungemütlich werden. Denn ignoriert man den eigentlichen Wunsch des Menschen nach einer sicheren Zukunft, werden bald andere, rückwärtsgewandte, Visionen wieder Oberhand gewinnen. Eine Zukunft, für die sich ein Engagement lohnt, ist jedoch eine ganz andere, als die, die uns heute präsentiert wird. Wirklich funktionieren kann ein Wandel nur, wenn wir – Verantwortliche, als auch Regierte – endlich damit beginnen, uns für eine offene, solidarische, ökologische und somit faire Gesellschaft einzusetzen. Nur mit Hilfe eines solchen Wertewandels könnte es nachfolgenden Generationen noch so gut gehen wie uns heute. Wobei das, genau genommen, gar nicht der Maßstab sein kann, denn zu lange leben wir schon auf Kosten anderer und auf Kosten der noch nicht Geborenen. Es wird schon deshalb schwierig, da wir uns von vielem Gewohnten verabschieden müssen, um überhaupt eine Zukunft haben zu können. Das klingt für viele nach Rückschritt, ist es aber doch vielmehr eine notwendige Neujustierung. Das wird nicht leicht, denn Verdrängung ist immer noch ein probates Mittel, sich nicht mit Problemen beschäftigen zu müssen.
Das Positive
Die Chancen für ein neues Denken sind so gut wie lange nicht. Die vielgeschmähte satte Jugend ist auf dem richtigen Weg, sie gilt es zu unterstützen. Ihr Drängen auf radikale Änderungen ist wichtig, schließlich könnten sie sich auch bequem in die gemachten Betten legen und darauf verzichten, ihre eigenen Privilegien zu hinterfragen. Deshalb Obacht: Wer jetzt wieder undemokratische Ideale bevorzugt, lässt den Kreislauf wieder von vorne beginnen. Die egoistische Sicht der Dinge könnte uns in eine finale Krise stürzen und unsere Inseln der Glückseligkeit überschwemmen. Wenn wir wie Sokrates der Jugend vorwerfen, vor allem den Luxus zu lieben, dann verkennen wir letztendlich, dass ein solches Denken nicht aus der Jugend selbst erwächst. Das geschieht ebenso wenig bei rechtem Gedankengut.
Matthias Hüttmann