Flatten The Curve!
Was wir von SARS-CoV-2 für den Klimawandel lernen können. Viele fragen sich gerade, ob sie träumen oder vielleicht sogar in einer Matrix leben. Wir wachen aber nicht auf und alles ist so wie es früher, vielmehr ist unsere Wahrnehmung die Realität! Die Welt, so wie wir sie kannten, hat sich innerhalb weniger Wochen aufgelöst, und wird wahrscheinlich auch nicht mehr zurückkommen. Das Corona-Virus hat einen Prozess ins Rollen gebracht, der sich in dieser Geschwindigkeit unserer Vorstellungskraft entzogen hat. Die gesamte Weltwirtschaft wurde praktisch zeitgleich runtergefahren, mit dem weltweiten Lockdown wurde sprichwörtlich "der Stecker gezogen".
Corona nur Auslöser für den Wirtschaftseinbruch
Noch kürzlich wurden zu Spitzenzeiten über 200.000 Flüge pro Tag gezählt. Die Fabriken der Industriestaaten und insbesondere Deutschland wussten auch im 3-Schicht Betrieb nicht mehr, wie sie noch mehr Waren aus den Maschinen oder Nahrungsmittel aus den Böden in die internationalen Märkte exportieren sollten - es gab nur noch "schneller, höher, weiter".
Und dabei haben wir unser Wirtschaftssystem über den Maßen optimiert, indem wir seit Jahrzehnten Natur und Mensch gnadenlos ausbeuten. Statt "just in case" ist das Motto seit langer Zeit "just in time". Über Jahre hinweg ist dieses System heiß gelaufen, und dabei haben wir eine Regel vollkommen ignoriert: Es kann gar nicht immer nur nach oben gehen! Nach einer Phase des Wachstums folgt immer auch eine Phase der Erholung. Naturgemäß hätte nach der extrem übertriebenen Wachstumsphase des letzten Jahrzehnts also sowieso eine sehr stark ausgeprägte Rezession folgen müssen.
Corona war somit wohl das "i-Tüpfelchen" für den Zusammenbruch, man könnte auch sagen, eine sehr gute Ausrede, um von politischen Versäumnissen, aber vor allem Managementfehlern der Wirtschaft abzulenken. Und inzwischen spielt auch Geld ausgeben keine Rolle mehr. Haben wir letztes Jahr noch heiß über Investitionsprojekte in Höhe einiger Milliarden diskutiert, werden heute Rettungspakete über mehrere hundert Milliarden Euro allein in Deutschland als Kredit oder "Direktzuschuss" beschlossen. Auch die viel kritisierten Euro-Bonds könnten uns in Form von Corona-Bonds wieder beschäftigen. Gerade angesichts des Bundesgerichtshof-Urteils vom 05. Mai diesen Jahres, in dem nun die Europäische Zentralbank nicht weiter einfach Staatsanleihen in unbegrenzten Stil mit deutscher Beteiligung kaufen darf, muss in dieser Krise auch die Zukunft des Euro neu überdacht werden.
Chance für einen nachhaltigen Wandel
Das Wiederanfahren der Wirtschaft bietet uns nun die einmalige Chance, beim Klimaschutz nun doch noch die Kurve zu kriegen. Die Corona-Krise hat eine enorme Bereitschaft der Menschen hervorgebracht, ihr Verhalten zu verändern und sich anzupassen, die Notwendigkeit dazu war einfach erdrückend klar. Unsere Politik muss diese einmalige Chance jetzt dringend nutzen, denn es wird vermutlich die letzte sein, die wir haben.
Damit die Menschen extreme Verbote akzeptieren, müssen sie zunächst den Ernst der Lage begreifen: "Beim Klimawandel haben zu viele Menschen zu wenig Angst. Und bei Corona haben sehr viele Leute Angst", erklärte Richard David Precht bei Markus Lanz im April 2020.
Es gibt Phänomene, die zu groß sind, als dass wir sie in ihrer Ganzheit wahrnehmen könnten oder wollten. Dies führt zu fatalen Folgen, weil wir nur dann etwas unternehmen können, wenn wir sehen, um was es geht. Der Klimawandel ist ein solches Phänomen: Die Bedingungen des Lebens auf unserem Planeten ändern sich dramatisch - die Grundlagen der Politik, der Medien und der Gesellschaft bislang aber kaum.
Die Gestaltungsaufgabe des 21. Jahrhunderts
Das stetige Wirtschaftswachstum wird dennoch auch nach der der Coronakrise andauern müssen. Die Folgen für die Wirtschaft wären enorm, außerdem sind extrem viele Arbeitsplätze von der aktuellen Wirtschaftsweise abhängig. Auf der anderen Seite kann das Modell, das wir bislang gelebt haben, so einfach nicht mehr weiterlaufen. Denn wir zerstören damit unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Diese Zwickmühle ist ja ohnehin schon die Gestaltungsaufgabe des 21. Jahrhunderts. Also müssen wir es schaffen, unsere Arbeitsplätze zu verlagern. Um die Umwelt effektiv zu schützen, muss - falls notwendig - auch der Staat regulierend eingreifen. Wir sehen aktuell in der Corona-Krise, dass ein Großteil der Bevölkerung die aktuellen Verbote und Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Corona-Krise bereitwillig akzeptiert hat, zumindest solange sie versteht, warum diese Maßnahmen notwendig sind. Grundsätzlich müssen wir unsere Produktion und Konsumverhalten von Grund auf hinterfragen, wir brauchen neben der Umstellung auf eine regeneratives Energiesystem jetzt dringend die Umstellung auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise. Wir brauchen die "Green Economy".
Green Economy: Effizienz, Konsistenz, Suffizienz
Nachhaltigkeitsmodelle verwenden oft drei Standbeine, die sogenannten Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Und es gibt wiederum drei Strategien, die darauf hinarbeiten, Nachhaltigkeit zu erreichen. Diese Strategien sind Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Kurz zusammengefasst lassen sich die drei Prinzipien wie folgt beschreiben:
Effizienz: Sie richtet sich auf eine ergiebigere Nutzung von Materie und Energie, also auf Produktivität von Ressourcen.
Konsistenz: Sie richtet sich auf naturverträgliche Technologien, welche die Stoffe und die Leistungen der Ökosysteme nutzen ohne sie zu zerstören.
Suffizienz: Sie richtet sich auf einen geringeren Ressourcenverbrauch durch eine Verringerung der Nachfrage nach Gütern.
Effizienz- und Konsistenzideen erfreuen sich einer hohen Zustimmung in der Bevölkerung, während das Thema Suffizienz bei den meisten bislang noch eher kritisch betrachtet wird, da hier das eigene Konsumverhalten verändert werden müsste. Könnten jedoch alle drei Prinzipien gemeinsam angewendet, würden zumindest die ökologischen und ökonomischen Kriterien einer nachhaltigen Entwicklung erfüllt. Nur wenn naturverträgliche, technische Neuerungen auf eine Veränderung unseres Lebensstils treffen und diesen begünstigen, lässt sich in Verbindung mit einer längeren Haltbarkeit von Produkten die gewünschte und notwendige Nachhaltigkeit erreichen.
Der Ökologische Kapitalwert
Der Begriff des Kapitalwerts stammt aus dem Finanzwesen und wird bei der dynamischen Investitionsrechnung angewandt, um festzustellen, ob sich eine Investition inklusive der Zinsbelastung lohnt bzw. wann sie sich amortisiert hat. Nehmen wir einfach mal an, wir würden jetzt sofort unsere Wirtschaft auf eine nachhaltige Industrieproduktion umstellen. Wir hätten eine sehr hohe Anfangsinvestition, die wir finanzieren müssten. Die Frage ist nun aber, ob diese Investition nicht trotzdem wesentlich günstiger wäre, als einfach wieder mit dem alten System weiterzumachen und dann versuchen zu müssen, die Folgeschäden zu bezahlen.
Mittelfristig ist eine Umstellung auf die Green Economy trotz hoher Ausgaben wesentlich günstiger als in alte Muster zurückzufallen. Der ökologische Kapitalwert wäre bei dieser alternativlosen Investition bei genauerer langfristiger Betrachtung ebenso positiv! Dies sehen auch Versicherungskonzerne so! Ein Beispiel ist die Münchner Rück, die seit Jahren vor den finanziellen Folgen des Klimawandels warnt und daher den Beginn der CO2-Bepreisung ausdrücklich lobt. Vorstandschef Joachim Wenning fordert, dass Klimaschutz weh tun muss im Geldbeutel. Die schrittweise, aber zügige Erhöhung der CO2-Besteuerung wäre hier das richtige Instrument.
6 Monate zurück gedacht
In China gibt es erste Meldungen über ein unbekanntes, neues Virus: Coronavirus SARS-CoV-2. Das Virus scheint nicht so gefährlich wie die früheren sehr viel tödlicheren Viren der Sars und Mers Epidemie, die aufgrund der gefährlich hohen Sterberate jeweils sofort mit extrem strikten Maßnahmen erfolgreich eingedämmt werden konnten. Das Tückische ist jedoch nun die hohe Ansteckungsgefahr verbunden mit einem eher schleichenden Krankheitsverlauf und langen Inkubationszeiten.
Angenommen Politiker hätten vorgeschlagen, in die Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 allein in Deutschland mit 100 Milliarden Euro zu investieren, hätte sicherlich jeder im Januar nur völlig verständnislos den Kopf geschüttelt.
Inzwischen jedoch werden die Kosten der Krise um ein Vielfaches höher geschätzt. Übertragen wir dieses Beispiel auf den Klimawandel, sehen wir manche Parallelen. Seit mehreren Jahrzehnten mahnt u.a. Mojib Latif, Deutschlands wohl bekanntester Klimaforscher vom Kieler Zentrum für Ozeanforschung, die Politik und die Gesellschaft mit der Dramatik des Klimawandels und den Folgen der Erderwärmung vertraut zu machen. Doch noch immer werde er von den Menschen beinahe ungläubig gefragt, ob es wirklich so schlimm sei. Entsprechend bitter fällt sein persönliches Fazit aus: "Wir sind als Gesellschaft unfähig, aus dem Wissen, das wir seit Jahrzehnten haben, die richtigen Schlüsse zu ziehen", sagte der 65-Jährige auf dem Kongress zum Thema "Klimawandel, Kommunikation und Gesellschaft" Ende September 2019 am Karlsruher KIT.
Aber auch vor dem Ausbruch einer weltweiten Pandemie haben Experten schon sehr lange und immer wieder gewarnt. Auch hier wurde im Vorfeld viel zu wenig getan und beim Ausbruch viel zu spät reagiert. Unter anderen wurde immer wieder angemahnt, dass wir viel zu stark in die Natur eindringen und unsere Gesundheit aufs Spiel setzen, indem wir uns Viren aussetzen, die unser Immunsystem noch nicht kennt! Durch unsere Welt in ständiger Mobilität ist das Risiko von Pandemien unkalkulierbar.
Fazit
Die neue Normalität wird viele Verhaltensweisen und Gewohnheiten beeinflussen. Wir können nur hoffen, dass die Gesellschaft aus dieser Krise lernt. Die Geschwindigkeit der Globalisierung ist extrem anfällig und durch die Ausbeutung von Mensch und Natur ungesund. Wir zerstören uns damit selbst.
Die nächste große Krise könnte ein weiteres Virus sein, wird aber auf jeden Fall durch den Klimawandel kommen. Hier haben wir gefühlt noch viel mehr Zeit als beim Corona-Virus, doch wird uns diese Krise mit viel größerer Wucht treffen und wir werden diese dann auch nicht mehr korrigieren können, wenn wir jetzt nicht handeln.
"Stay Home" hat mehrere Wochen funktioniert -"Save Resources" muss jetzt dauerhaft unsere Verhaltensweise prägen!
Durch die Coronakrise wissen wir, dass der Staat durchaus fähig ist, zu reglementieren. Der hohe Preis für die Umstellung des Systems wird sehr hoch sein, es gibt dennoch keine Alternative, wenn wir flächendeckendes großes Leid verhindern wollen. Für unser Klima ist zu hoffen, dass der Staat sich seine Handlungsstärke erhält und wichtige Maßnahmen im Kampf gegen eine weitere Erderwärmung konsequent verfolgt - beginnend mit der seitens der Wissenschaft so eindringlich geforderten sinnvollen CO2-Bepreisung.
boettger@dgs.de