Zu spät gehandelt?
Wirtschaftsminister Altmaier hat in der Klimapolitik Versäumnisse zugegeben, diese sollen aber rasend schnell aufgeholt werden. In den kommenden Monaten soll der Weg zur Klimaneutralität, oder wie er es formulierte, einer CO2-Neutralität, unumkehrbar gemacht werden. Dass er es ernst meint, macht der Minister an wegweisenden Beschlüssen wie dem Kohleausstieg oder auch dem neu eingeführten CO2-Preis fest. Man hätte zwar leider in den letzten Jahren auch Fehler gemacht und zu spät gehandelt und habe deshalb enormen Nachholbedarf, damit sei es jetzt aber vorbei. Das klingt ganz mächtig nach „mea culpa“ und „Asche auf mein Haupt“, glaubwürdig ist es nicht. Denn dahinter steckt wie üblich einmal mehr nur Inszenierung. Es gilt, das an der Klimakompetenz der Regierenden zweifelnde Volk abzulenken. Ähnlich ambitioniert nach vorne geprescht ist die EU. Bis 2050 will die Wirtschaftsgemeinschaft klimaneutral werden. Diese genau genommen gar nicht an die Umstände angepassten Ziele sind also schon mal gesteckt.
Man würde ja wenn man könnte
Aber all‘ das heißt leider noch lange nichts. Beispiel: Die von der Bundesrepublik verbindlichen Klimaschutzziele aus dem ratifizierten Klimaabkommen von Paris waren bislang das Papier nicht wert, auf dem sie festgehalten wurden. Wenn wir sie nun doch erfüllen sollten, dann schaffen wir das vielmehr trotz diverser Gesetzesmaßnahmen oder wegen der Pandemie. Denn Klimaschutz wird gebremst, beschränkt und gedeckelt wo es nur geht. Der Blick nach Brüssel zeigt ähnliches. Dort werden zwar Beschlüsse wie die Düngemittelverodnung gefasst, aber letztendlich einfach ignoriert. Daran ändert nicht mal eine Klage etwas, erst Strafzahlungen machen es möglich, dass sich etwa ein Landwirtschaftsministerium ernsthaft mit dem Umweltministerium unterhält. Oder die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED II), die Ende 2018 verabschiedet wurde. Sie steht für Prosumerfreiheit, Bürgerstromhandel und mehr. Das novellierte EEG 2021 lässt das ziemlich kalt. Aus welchen Fehlern man im Wirtschaftsministerium gelernt haben will, keine Ahnung.
Aber uns möchte Altmaier mit seiner Äußerung sinngemäß weiß machen, dass mehr als 15 Jahre lang versucht wurde, den Klimaschutz weltweit in einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller wichtigen Länder zu erreichen und dass dabei viel Zeit verloren ging, ohne dass etwas Durchgreifendes geschehen ist. Dass das auch sehr viel an unserer kultivierten „bad governance“ lag, wird in dem Zusammenhang besser nicht erwähnt. Auch hier ein prominentes Beispiel: Die Verkehrspolitik aus dem Hause Scheuer, die wohlwollend unterstützt durch die Kanzlerin, immer wieder bemüht ist, Emissionsreduktionsziele aufzuweichen und zu konterkarieren. Fazit: Wenn sich Bremser zum Vorreiter erklären, dann hat das schon etwas absurd Anmaßendes, nicht zu sagen Verlogenes.
Nur kein Wandel
Von Seiten des BMWi heißt es im Übrigen auch, dass nicht nur Verkehr und Heizungen, sondern auch die Industrie auf Kohle, Öl und Erdgas als Energiequelle verzichten sollen. Dafür muss jetzt wohl der Wasserstoff herhalten. Dass der zunächst einmal zu großen Mengen aus Erdgas erzeugt werden müsste, geschenkt! Die Gaspipeline hat damit wahrscheinlich auch nichts zu tun. Denn es würde ja wenig Sinn machen, mehr Gas ins Land zu pumpen, wenn man darauf verzichten will. Es geht wohl darum, den rhetorischen Spagat einer klimafreundlichen Großindustrie hinzubekommen, weil nur diese uns Wohlstand und ein hohes Niveau an sozialer Sicherung zu ermöglichen scheint. Auf Deutsch: Status quo in neuen Schläuchen.
Schauen wir mal über den Teich. Auch hier gibt es große Ambitionen. So verkündet der neu gewählte Präsident Biden, dass er künftig „Klimaschutz für alle“ machen möchte. Dabei gelte es, irgendwie kennt man das schon, im Kampf gegen den Klimawandel keine Zeit mehr zu verlieren. Zumindest dem Pariser Klimaschutzabkommen ist man noch am Tag seiner Amtseinführung wieder beigetreten. Auch wurden diverse, von seinem Vorgänger eingeführten Lockerungen von Umweltrichtlinien, wieder rückgängig gemacht. Ob es dabei auch global um mehr Umweltgerechtigkeit geht, wird man sehen. Zumindest sollen erst einmal Öl- und Gasbohrungen auf bundeseigenem Land unterbunden werden. Das obwohl Donald T. das gefrackte Gas in einem genialen Schachzug, ausgeheckt mit seinen Spezeln der fossilen Brennstoffindustrie, erst jüngst zum „Freedomgas“ erklärt hatte. Ob es stattdessen zu mehr erneuerbaren Freiheitsenergien kommen wird – mal sehen. Ein herrlich pathetischer Satz ist in dem Zusammenhang auch überliefert: „Wir können es tun. Wir müssen es tun. Und wir werden es tun“. Puh! das hört sich fast an nach: „Frage nicht was Du für Dein Land tun kannst, sondern was Dein Land für Dich tun kann“. Oh – da hab‘ ich jetzt aber wohl doch was verwechselt. Es sind ja wir und nicht die Regierenden, die etwas tun müssen. Wir die Verbraucher und Nutznießer des Wohlstands, wir müssen erst mal das Klima retten, dann erst kann auch unser Land etwas machen.
Apropos Fehler
Wenn man als Politiker nicht mehr weiterweiß, dann räumt man schon mal Fehler ein, aber die Verantwortung, die liegt dann doch woanders. Wie das geht, inszeniert Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer immer wieder perfekt. Im Zusammenhang mit der Corona-Politik sagte er kürzlich, dass er sich leider erst durch den Besuch mehrerer Kliniken in Sachsen im Dezember der Dramatik bewusst geworden sei. Dann ist er sich nicht zu schade anzufügen: „Ich hätte mir gewünscht, dass ich früher gewarnt worden wäre.“ Es bleibt die Frage, ob man auf Regierungsseite wirklich so unwissend ist wie man sich gibt und ob Krisen wirklich falsch eingeschätzt werden. Vielleicht ist es auch so, dass so mancher Minister den Wald vor lauter Lobbyisten nicht mehr sieht.
Und überhaupt: Müssen wir uns wirklich solch einen Unsinn anhören. Politiker die sich ahnungslos wie Scheuer, vergesslich wie Schäuble oder auch ehrbar wie Kohl geben, sind einfach unzumutbar! Ecology First! Das wäre der Slogan, der wichtig wäre.
Matthias Hüttmann