Du bist schuld
In dem aktuellen Buch „The New Climate War“ des Klimawissenschaftlers Michael E. Mann, das unter dem Titel „Propagandaschlacht ums Kima“, von der DGS herausgegeben, auch auf Deutsch erhältlich ist, lautet der Name eines Kapitels „It’s YOUR Fault“. Mann beschreibt darin das Ergebnis einer jahrzehntelang durchgeführten „Marketingkampagne“, die es geschafft hat, die Verantwortung für die Bewältigung des drohenden Klimawandels nahezu vollständig auf die Schultern des Einzelnen zu legen. Schon lange, so Mann, wurde uns eingetrichtert, dass wir vor allem durch unser persönliches Tun und Lassen den Klimawandel verlangsamen können. Diese übermäßige Betonung des individuellen Verhaltens ist jedoch letztendlich eine bequeme Ablenkung von Schuld und Verantwortung der maßgeblichen Protagonisten und ein Hilfsmittel, Maßnahmen gegen den menschengemachten beschleunigten Klimawandel zu verzögern.
Es ist zwar unbestritten, dass jeder Einzelne durchaus etwas tun sollte, wenn nicht gar tun muss. Die entscheidenden Hebel finden sich jedoch nicht bei uns allen zuhause und in unserem Alltag, sondern auf einer höhergelegenen Ebene. Um bei der Schuldfrage zu bleiben: Wir sind durchaus schuld an der Verzögerung und Relativierung von Klimaschutzmaßnahmen, wenn wir die notwendigen systemischen Änderungen nicht eindringlich genug einfordern und uns immer wieder von netten Worten blenden lassen. Konkret bedeutet das in der aktuellen Situation des durch den BVerfG-Beschluss vom 30. April als untauglich erklärten Klimaschutzgesetzes der Bundesregierung, dass wir uns nicht von der scheinbar schnellen Einsicht in Berlin blenden lassen sollten. Denn wer genau hinsieht, erkennt schnell, dass lediglich ein paar Zahlen geändert werden sollen und die ökologisch notwendigen Maßnahmen nach wie vor weit in die Zukunft verschoben werden.
Zielsetzung ohne Instrumente zu ihrer Erreichung
Und das ist entscheidend: Es fehlt an den notwendigen Instrumenten, um die Ziele erreichen zu können. So ist nicht zu erkennen, dass es hier zu einem grundsätzlichen Umdenken kommt. Wenn aus überzeugten Marktradikalen auf einmal einsichtige Klimaschützer werden, dann ist das schlichtweg unglaubwürdig. Der notwendige Ausbau der Erneuerbaren wird genau von diesen Kräften und ihren Helfern im Parlament systematisch gebremst und verhindert und passt einfach nicht zu den Vorsätzen. Mal ganz abgesehen davon, dass niemand, der heute in der Verantwortung stehenden an seinen Erfolgen gemessen werden wird, da jene, die sich gerade selbst loben, die Umsetzung ihrer Beschlüsse ohnehin nicht mehr erleben werden. Würde der beabsichtigte Zeitplan nicht umgesetzt, die Politiker könnten dafür wohl nur noch posthum zur Verantwortung gezogen werden. Aus diesem Hintergrund heraus ist es dann nicht allzu schwer, ein solches Gesetz zu verabschieden. Das gleiche gilt sicherlich auch für das Pariser Klimaschutzabkommen. Ein wenig erinnert das Ganze an die guten Vorsätze von Sylvester, die gehen auch leicht über die Lippen. Übersetzt auf das Klimaschutzgesetz schwören alle: „In 40 Jahren verbrennen wir keine Kohle, Gas und Öl mehr“, wohl wissend, dass sie nur wenig dafür tun, dass es soweit kommt.
Um zurück zur Schuldzuweisung zu kommen: Michael Mann beschreibt in dem Buch ebenso auf lesenswerte Weise, wie Ablenkungskampagnen gar dazu führen, dass sich engagierte Klimaschützer gegenseitig beschuldigen und unter Druck setzen. Schnell wird an der Glaubwürdigkeit manches Mitstreiters gezweifelt und übersehen, dass es nicht darum geht als Klimaheilige dazustehen. Auch ziehen wir uns gerne in unser biologisch-dynamisches Schneckenhaus zurück und verzweifeln an der Welt, halten alle anderen für Heuchler, weil offensichtlich nur wenige da draußen den Ernst der Lage erkennen. Oder wir fallen immer wieder auf die gleichen Argumentationsketten herein, die uns weismachen, dass Klimaschutz entweder unsozial sein wird oder er - von der anderen Seite des politischen Spektrums betrachtet - unserer Wirtschaft schaden und unseren Wohlstand dahinraffen wird.
Uns ist schon immer etwas eingefallen
Aber ohne einen systemischen Wandel, der die wahren Verursacher zur Verantwortung zieht, wird es zu keiner Veränderung kommen. Zumindest zu keiner, wie wir sie benötigen. Auch wenn individuelles Handeln Teil der Lösung ist, muss es zu politischen Maßnahmen kommen die ernsthaft eine Dekarbonisierung unserer Gesellschaft angeht. Klar, der Widerstand gegen diese wichtigen politischen Maßnahmen ist enorm, sei es von rechts wie auch von links und ohnehin aus der Mitte der Gesellschaft. Ein probates Mittel der Verzögerung und Verschleppung ist im Übrigen das Versprechen einer Zukunft, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Dabei wird auf Innovationen gesetzt, die sicher kommen werden. Eine solch fatalistische Vorstellung negiert alles Vorhandene als nicht ausreichend und minderwertig. Sie untergräbt das Potential der Erneuerbaren, in dem sie stets zwei Schritte voraus ist und keine nahe Zukunft ohne Verbrenner und Großkraftwerke denken möchte. Dabei verspielt sie die Möglichkeiten eines noch möglichen Klimaschutzes indem sie das noch verfügbare Treibhausgasbudget fahrlässig, wenn nicht gar mutwillig verpulvert.
Diese Denke gilt es anzugehen. Der BVerfG-Beschluss kann dabei hilfreich sein. Denn es ist sicherlich nicht anzunehmen, dass sich Deutschland an Bhutan ein Beispiel nehmen wird und auch das Bruttonationalglück (GNH: Gross National Happiness) zum Staatsziel erklärt. Definiert ist GNH übrigens mit einer guten Regierungsführung, einer nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft, der Bewahrung kultureller Werte und dem Schutz der Umwelt. Auch ist es unwahrscheinlich, dass Suffizienz staatlich verordnet werden wird. Jedoch gibt es genügend andere Maßnahmen, für die unsere Volksvertreter sich einsetzen müssen. Denn es ist nicht der Schutz der wirtschaftlichen Interessen, auf den sie ihren Eid geschworen haben. Vielmehr wurden sie gewählt, um sich dem Wohl des Volkes zu widmen, dessen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden.
Matthias Hüttmann