Wohnen in Zeiten des Klimawandels
Wärme - Lärm - Luftqualität: Akute Hilfe ist nötig. Alle Studien und Veröffentlichungen stellen infrage, dass mit den vorhandenen Maßnahmen die von Parlament und Regierung beschlossenen Ziele erreicht werden. Denn in der Regel werden diese Ziele lediglich durch die Entwicklung des Primärenergieverbrauchs in Industrie, Landwirtschaft, Haushalten und Bauwesen definiert. Der Primärenergiebedarf und -verbrauch ist zum ersten Mal seit 1990 unter den Zielwerten geblieben, dank Corona - aber auch weiterhin im Gebäudebereich nicht.
Die Politik sieht dies nicht, vor allem die CDU mit ihrem Kanzlerkandidaten Armin Laschet sagt: „Wir machen die Politik, die nötig ist“ (03.08.2021) - und die AFD ohnehin nicht. Nur sieht die Realität anders aus: nicht nur Flutkatastrophen, Waldbrände, Ressourcen- und Energieverschwendung bedrohen uns mehr denn je. Ebenso leiden wir zunehmend an akuten, immer massiver und deutlicher werdenden Beeinträchtigungen unserer Lebenswelt durch Luftverschmutzung, Überhitzung und Lärm, vor allem in den Städten. Denn nicht „der Planet wird zerstört“ (Bundesumweltministerin Svenja Schulze zum neuen IPCC-Report), sondern die Lebensbedingungen auf ihm, nicht nur für Menschen.
Die drei großen Plagen der Städte
Neben der Überhitzung der dicht besiedelten Stadtkerne gehören die Lärmbelastungen und die Luftverschmutzung, letzteres vor allem wegen des zunehmenden Straßenverkehrs, zu den großen Problemen unseres Wohnens.
Plage 1: Wärme
Die größte Gefahr, insbesondere für das Leben ärmerer, älterer und gesundheitlich vorbelasteter Menschen stellt aber die zunehmende Aufheizung von Gebäuden und Außenräumen in städtischen Zentren dar, verharmlosend „Hitzeinsel-“ oder „Heat-Island-Effekt“ genannt. Besonders problematisch sind dabei vor allem die nach 1970 oft in Stahlbeton und mit Wärmedämmstoffen errichteten Gebäude, und allgemein in Neubaugebieten.
Die Sonne, und zu 70% auch das Tageslicht, heizen tagsüber die Beton- und Dämmmassen neuerer Gebäude auf. Ebenso geschieht dies auch bei energetisch nachträglich isolierten Gebäuden. Wände und Dächer erhitzen sich mit Zeitversatz bis spät in die Nacht zunehmend. Verstärkt wird dies zudem durch die immer größer gewordenen verglasten Flächen, nicht nur bei Bürogebäuden. Hinzu kommt die starke Zunahme sogenannter „Tropennächte“, in denen die Temperatur nachts nicht unter 20 °C fällt: In den 1950er Jahren wurden bundesweit durchschnittlich zwei Tropennächte registriert, seit der Mitte der 2000er Jahre waren es schon mehr als acht, in den Hitzesommern 2018 und 2019 jeweils 16. Im Jahr 2050 wird die Durchschnittstemperatur voraussichtlich nochmals um 1,2 °C höher liegen als heute, im Sommer gar um 1,7 °C steigen. Das bedeutet aber auch eine noch stärkere Anzahl von Tropennächten und „Heißen Tage“ mit Temperaturen über 30 °C. In Berlin könnte es statt 7 bis 10 dann 20 solcher Tage geben, in Köln statt bisher etwa 20 bis zu 42, in Stuttgart könnten es sogar 70, statt der heutigen etwa 30 heißen Tage sein. Aber selbst in kleineren Städten wie Bamberg, Würzburg oder Regensburg wären es statt 8 bis 9 schon 15 bis 19 „Heiße Tage“. 2050 werden Temperaturen über 40 °C regelmäßig auftreten. Dazu kommen Oberflächentemperaturen von 45 °C auf Asphalt und bis zu 60 °C auf Dachflächen.
Wir werden für Stadtbewohner, Arme und andere Bedürftige öffentliche Kühlräume benötigen. Bereits unter den jetzigen Klimabedingungen gibt es in Berlin jährlich 1.400 Hitzetote und „nur“ 65 Verkehrstote.1)
Die zusätzliche Installation von Klimageräten ist bereits jetzt stärker im Steigen begriffen und wird entsprechend weiter zunehmen, womit der Stromverbrauch rasant zunehmen und die zusätzliche Installation von Photovoltaik bei weitem übertreffen wird.
Plage 2: Lärm
Die Lärmbelastung in innerörtlichen Straßen durch den Automobilverkehr hat nicht nur quantitativ, sondern auch in der Lautstärke durch die vorherrschenden glatten Putz- und Glasfassaden sehr stark zugenommen, trotz geringerer Motorenlärmemissionen neuerer Fahrzeuge. Ab 40 km/h Fahrgeschwindigkeit sind jedoch die Abroll- und Windgeräusche dominant, auch bei Elektrofahrzeugen.
Plage 3: Luftqualität
Die nicht nur durch den Straßenverkehr verursachte Luftverschmutzung ist in Innenstädten nicht oder kaum zu beseitigen. Die Aufheizung der Gebäudefassaden führt zu einer Schmutzumwälzung durch die hierbei entstehenden Luftbewegungen von den wärmeren, licht- bzw. sonnenzugewandten Seiten, über die Straßenräume hinweg zu den kühleren, nicht licht- oder sonnenbeschienenen Fassaden mit ihren Fenstern und Balkonen.
Nachhaltige Abhilfemöglichkeiten
ARUP, eines der bedeutendsten Ingenieur- und Planungsbüros hat bereits vor etwa zehn Jahren mit verschiedenen, weltweit angelegten Studien begonnen, die Veränderungen und Beeinträchtigungen der Lebensbedingungen auf allen fünf Kontinenten des Planeten zu untersuchen und zu beschreiben. Diese sind unabhängig von beschlossenen Klimaschutzzielen und Klimaschutzmaßnahmen und werden unsere Lebensverhältnisse bestimmen, zumal sie schon seit Jahrzehnten die Lebensbedingungen, vor allem in Städten prägen.
Die Studien hierzu wurden unter dem Titel „Living Cities“ veröffentlicht. Die Teilstudie „Green Building Envelopes“ (Grüne Gebäudehüllen) beschreibt die klimatischen Veränderungen weltweit, vor allem auch die sehr unterschiedlichen Temperaturdifferenzen zwischen innerstädtischen und Umlandtemperaturniveaus. ARUP schlägt deshalb umfassende Begrünungen - nicht nur von Gebäudedächern, sondern auch von Gebäudefassaden und städtischen Außenräumen als – sogar nachhaltige - Verbesserungs- und Problemlösungsmöglichkeiten vor.2)
Der „Bundesverband Gebäudegrün“ veröffentlicht ebenfalls Fachbroschüren auf seinen Internetseiten - auch zu „Solar-Gründächern“, die mehreres sollen: Strom erzeugen, Feuchtigkeit binden und damit Dach, Photovoltaik /Solarthermie (bzw. sogar PVT) kühlen und deren Leistung bis zu 20% steigern können.3)
In ganz Europa, Australien, Asien und vor allem Nordamerika werden seit ungefähr zehn Jahren zunehmend Projekte mit begrünten Gebäuden realisiert und geben Hoffnung, wenigstens in diesem Bereich erfolgreich – und nachhaltig – Besserung und Abhilfe zu schaffen.
All dies kann jedoch lediglich eine Kompensation von – durch den Klimawandel potenzierten – Problemen darstellen und keine Reduzierung der selben.
Hinrich Reyelts