Die Kunst des Einforderns
Zum Redaktionsschluss liefen sowohl die Koalitionsgespräche in Berlin als auch die Klimaschutzkonferenz in Glasgow. Wie auch immer diese Verhandlungen auch enden mögen, gibt es grundsätzliche Überlegungen zur Bedeutung dieser Prozesse: Das Zitat, das Politik auch immer die Kunst des Machbaren sei, wird gerne Angela Merkel zugeschrieben. Stöbert man jedoch ein wenig mehr in diversen Quellen, dann stößt man auf weitere ähnliche Formulierungen. So ist von Otto von Bismarck der Satz „Politik ist die Kunst des Möglichen“ überliefert. Aber auch der italienische Industrielle Giovanni Agnelli (FIAT) soll schon vor längerer Zeit eine derartige Weisheit geäußert haben. Folglich ist es keine neue Erkenntnis, dass es ein weiter Weg in der Politik ist, größere Veränderungen zu bewirken. Dennoch sollte bedacht werden, dass Staatsführung keineswegs immer nur aus einer Aneinanderreihung fauler Kompromisse besteht und es durchaus häufig zu überraschenden Wendungen kommt. Denn ist Politik nicht mehr in der Lage, Kompromisse zu machen, wird sie schlichtweg handlungsunfähig. Letztendlich sind Kompromisse in einer heterogenen Gesellschaft oder auch der Weltgemeinschaft unverzichtbar.
Zum Wohle Aller
Die Kunst zu Beschlüssen zu kommen, die einer möglichst breiten Mehrheit gerecht werden, lässt sich sehr gut anhand des Begriffs des Gemeinwohls beschreiben. Denn Gemeinwohl ist etwas, dass möglichst vielen Mitgliedern eines Gemeinwesens zugutekommen soll. Hier sieht man schon, dass es auch beim Wohlergehen um Mehrheiten geht und nicht alle damit glücklich sein werden. Mehrheiten sind jedoch immer noch deutlich sozialer als bloße Einzel- oder Gruppeninteressen, da sie sich intensiver auf den Begriff des Gemeinschaftseigentums berufen. Übersetzt ins Heute, Stichwort internationale Vereinbarungen und Klimakonferenzen: Um die Katastrophe noch abwenden zu können gilt es zu der Erkenntnis zu gelangen, dass alle begrenzten Ressourcen wie Atmosphäre, Meere oder Böden völkerrechtlich verbindlich geregelt werden müssen. Das wäre ein grundlegender Wandel und eine Abkehr der in der Ökonomie geläufigen „Common-Pool-Ressourcen“, die als Gemeinschaftseigentum von jedem in Anspruch genommen werden können. Wohin diese Vorstellung geführt hat ist hinlänglich bekannt. Deshalb müssen alle diese Ressourcen zu einem gemeinsamen Eigentumssystem (Common Property System) der Menschheit werden. Damit wäre der Zugriff nicht mehr frei, da es sich um keine öffentlichen Güter mehr handelt. Um klimapolitische Ziele zu erreichen, bedarf es verbindlicher Nutzungsrechte, da nur so der Erhalt und Verbrauch des gemeinsamen Eigentums geschützt ist. Ändert man nichts an den Eigentumsverhältnissen, kommt es unweigerlich zu Überlastung, Überbeanspruchung, Verschmutzung und letztendlich Zerstörung.
Fortschrittsregierung?
Über die Koalitionsverhandlungen der vermeintlich bevorstehende Ampelregierung dringt nicht viel nach außen, jedoch zeigen sich gerade Umweltverbände und Klimaaktivisten immer wieder enttäuscht. Das ist aufgrund der dramatischen globalen Lage auch mehr als verständlich. Viel zu wenig an wichtigen Transformationen scheinen auf der Agenda zu stehen, viel zu viel an unreguliertem Markt droht zu kommen. Jedoch sollte man Koalitionspapiere nicht mit planwirtschaftlichen Vorgaben verwechseln. Letztendlich bewegen sich die Koalitionäre nicht im luftleeren Raum, sondern müssen auf globale Herausforderungen reagieren und mit Entwicklungen umgehen, die nur schwer vorherzusehen sind (siehe auch Kommentar "Wir haben das unterschätzt" in dieser Ausgabe). So konnte die letzte Regierung wohl kaum mit einer Pandemie planen und auch nicht die Dynamik einer Klimaschutzbewegung vorhersehen. Der Handlungsdruck, dass muss immer wieder klar sein, muss von außen, sprich von der Zivilgesellschaft, kommen. Dass die Regierung das Schiff schon schaukeln wird, wäre naiv und letztendlich auch unverantwortlich, Kontrolle ist stets notwendig.
So ist zu hoffen, dass sich die Politik auf Bundesebene auch nach Ende der Koalitionsverhandlungen noch dynamisch anpasst und es auch beim politischen Liberalismus zu einem mehr an Verantwortung der Besitzenden kommt. Dabei gilt es auch zu berücksichtigen, keine rein anthropozentrische Sicht auf die Umwelt und Natur zu entwickeln. Eine der zu lösenden Fragen ist es deshalb, wie kommende politische Aktivitäten einem möglichst breiten und sozioökologisch ausgelegten Begriff des Gemeinwohls unterworfen werden können. Auch wenn es nicht einfach ist, soziale und ökologische Fragen möglichst dicht miteinander zu verbinden, ist das sicherlich der Schlüssel für eine gemeinsame Zukunft.
Matthias Hüttmann