System Change sofort?!
Es hat sich Großes getan in der deutschen Bundespolitik. Es gibt ein Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Das ist wahrhaftig eine kleine Revolution. War es doch ein ungeschriebenes Gesetz, dass die sich im internationalen Wettbewerb befindende deutsche Wirtschaft vor allzu großen Klimaschutzvorgaben geschützt werden musste.
Für Klimaschutz gab es ein Umweltministerium, dass sich auf Klimakonferenzen mit dem Thema beschäftigen durfte. Jenes Ministerium war etwa für das Verfassen von Klimaschutzberichten zuständig. Diese dokumentieren unter anderem den Stand der Umsetzung von Klimaschutzprogrammen. So konnten darin auch Maßnahmen aufgeführt werden, die es ermöglichen sollten, die völkerrechtlichen Verpflichtungen, zu denen sich Deutschland aufgrund der Klimarahmenkonvention von Paris verpflichtet hatte, zu erfüllen. So weit so gut. Nach dem Verfassen der Klimaschutzberichte wurden diese vom Wirtschaftsministerium nochmals überarbeitet, sprich abgeschwächt, relativiert und verwässert. Das Umweltministerium war zu der Zeit eine Art Vorzeigebehörde, die letztendlich vom Wirtschafts- und auch Finanzministerium schullehrerhaft korrigiert werden musste.
Das könnte jetzt anders werden. Die Unvereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und Klimaschutz wurde jetzt per Akklamation zur Notwendigkeit deklariert. Ob das funktionieren kann, wird sich zeigen. Dass es funktionieren muss ist unstrittig. Schließlich gibt es auf einem unbewohnbaren Planeten keine Wirtschaft mehr, da es keine Kunden mehr gibt, die Konsumprodukte kaufen können oder auch wollen. Denn die Klimakatastrophe ist keineswegs vergleichbar mit einem Wiederaufbau nach einem Krieg oder einer Naturkatastrophe. Die Klimakatastrophe ist ein Dauerzustand.
Schnell aber nicht überhastet
Das Problem ist hausgemacht. Nach Jahrzehnten der Unbeweglichkeit im politischen Handeln sind die dringend umzusetzenden Maßnahmen groß und unangenehm. Dazu lässt sich eingefahrenes Denken innerhalb der politischen Klasse nicht so schnell umkehren, Änderungen umzusetzen und das Hinterfragen von Prozessen fällt schwer. Unterhalb der regierenden Politik sitzen die ausführenden Mitarbeiter:innen, die alle schon lange dabei sind. Überzeugungsarbeit ist auch hier notwendig und zeitintensiv. Es kann also schon aus rein praktischer Sicht nicht alles sofort geändert werden.
Daher ist es durchaus angebracht, nicht allzu sehr auf jede unterlassene Gesetzesänderung zu schauen. Das schließt eine kritische Begleitung der politischen Prozesse aber keineswegs aus. Aber die Handelnden voreilig als Wendehälse zu titulieren ist voreilig und nicht ganz fair, immerhin müssen viele Widerstände überwunden und auch eigene neue Abläufe eingeübt werden. Und es gibt durchaus Hoffnung für eine neue Politik. Schließlich muss die SPD beweisen, dass sie sich mit ihren Ideen alle die Jahre nur nicht gegen die CDSU durchsetzen konnte. Die Grünen möchten nicht nur als diejenigen dastehen, die im Bundestag gute Oppositionsarbeit machen konnten und gute Ideen hatten, aber nie gehört wurden. Und schließlich die FDP. Sie steht ja wortwörtlich für den Willen, gut zu regieren, da sie für sich ausschließt, schlecht regieren zu können. Gerade die teils widersprüchliche Konstellation dieser drei Parteien ermöglicht die Chance, Hürden zu überwinden, da diese ja schon innerhalb der Koalition bestehen. Es gilt für alle drei Parteien, einen gemeinsamen Weg zu finden.
Nicht päpstlicher als der Papst
Besonders die ökologische Bewegung besitzt in ihrer DNA eine sehr kritische Haltung zu Regierenden. Das nutzen Spalter gerne aus, indem sie die gewählten Protagonisten schnell als Heuchler diffamieren. Dieser Keil dient dazu, die Aufmerksamkeit von der Notwendigkeit systemischer Veränderungen und politischer Maßnahmen abzulenken. Da werden Wirtschaftsliberale schnell zu Ökofundamentalisten, jahrelange eigene Verfehlungen werden dabei gerne ausgeblendet. Um von den eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken, wird dabei gerne die Strategie „irgendwas bleibt immer hängen“ gefahren. Dabei ist jedes Mittel recht. So wurde Greta Thunberg vorgeworfen, dass ihr Boot, mit dem sie den Atlantik überquerte, um am UN-Klimagipfel teilzunehmen, zum Teil aus nicht recycelbarem Plastik bestand. Mag dieses Beispiel noch so dumm wirken, die Strategie wird sicherlich noch so manche Blüten treiben. Deshalb: Lasst sie erst mal regieren, der Gegenwind, den sie erfahren werden wird, je ambitionierter ihre Politik sein wird, ohnehin zunehmen.
Matthias Hüttmann