Mittelspannungs-Richtlinie 2008
Wer seit 1. Juli 2010 eine Photovoltaikanlage, ein Windkraftwerk oder ein Biogas-BHKW über 100 Kilowatt zur Netzeinspeisung beim Netzbetreiber anmeldet, sollte tunlichst die Mittelspannungsrichtlinie 2008 (MR) des Energieversorger-Verbands BDEW einhalten. Sonst könnte es Schwierigkeiten geben: Entweder, die Einspeisung wird nicht genehmigt, oder es gibt keine EEG-Vergütung.
Ein großes Problem für Photovoltaik-Anlagen: Zumindest zum Redaktionsschluss der SONNENENERGIE gab es kaum Wechselrichter (WR), welche die Vorgaben der MR erfüllen. Was bedeuten könnte: Für solche Ökokraftwerke ab 100 kWp, die die MR nicht einhalten, gibt es keine Vergütung für den eingespeisten Regenerativstrom. Oder der Netzbetreiber verweigert schlichtweg den Anschluss des Kraftwerks. Das lässt sich zumindest aus §9 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) herauslesen: Das EEG verhilft der MR zu Quasi-Gesetzescharakter.
Wechselrichter: Fehlanzeige
Denn beleibe nicht alle Wechselrichterhersteller sind für die MR bereit. Einer verkündete im April 2010 – also zwei Monate vor Start der MR: „Nun erfüllen drei Geräte die Vorgaben der aktuellen Mittelspannungsrichtlinie.“ Doch die liegen im zweistelligen Kilowattbereich: Dabei werden oft große PV-Anlagen mit vielen kleineren Wechselrichtern ausgestattet. Und wenn diese die neuen Einspeisebedingungen nicht mehr erfüllen, dann gibt es wohl auch keine EEG-Vergütung.
„Die BDEW-Richtlinie schreibt vor, dass PV-Wechselrichter mit einer Blindleistung betrieben werden können. Der Netzbetreiber gibt entweder einen festen oder variablen Sollwert vor, der innerhalb von zehn bis 60 Sekunden erreicht werden muss“, erklärt ein Hersteller eine weitere Vorgabe der MR. Der Grund: „Wechselrichter verfügen über ideale Voraussetzungen für die Netzregelung“, wie es vom Wechselrichter-Weltmarktführer SMA heißt. SMA erklärte schon vor 1?½ Jahren: „Ab Mitte 2010 geht keine Anlage ohne Anlagenzertifikat ans Netz.“ Was auf jeden Fall für neue Solarstromkraftwerke über ein Megawatt Spitzenleistung stimmt. Denn in die dürfen nur noch WR mit so genanntem „Einheiten-Zertifikat“ eingebaut sein. Und auch die Gesamtanlage muss ein „Anlagen-Zertifikat“ aufweisen.
Zertifizierer – woher nehmen?
Doch an ein Testat eines „akkreditierten Zertifizierers“ oder den Gutachter selbst zu kommen, ist recht schwierig. Eigentlich geht das nur über die „DAkkS“, die „Deutsche Akkreditierungsstelle“, die auch fast niemand kennt. Denn die DAkkS GmbH gibt es erst seit 1.1.2010: Vorher gab es eine ganze Reihe von Akkreditierungsorganisationen. Diese Art von Zertifizierung klingt nach teuer – und ist es wohl auch. So berichtet ein Anlagenbetreiber der BSZ, alleine für die Erstellung eines Zertifizierungsangebots habe eine akkreditierte Institution 1.000 Euro verlangt. Zumal es zurzeit nur einige wenige Solar-Zertifizierer gibt. Weshalb Gutachter bis zur endgültigen Akkreditierung durch die DAkkS bis Ende 2011 auch ohne offizielle Zulassung arbeiten dürfen – dank einer Übergangsregelung.
Für die Qualität und Sauberkeit des künftigen Netzes sind die neuen Regeln wichtig: Immerhin müssen nach Berechnungen der Solarwirtschaft bis 2020 allein etwa 60 Gigawatt Solarstrom aufgenommen werden. Und weil dem Anlagenbetreiber laut EEG verhinderte Einspeisemengen durch die Netzgesellschaft vergütet werden müssen, ist der Einnahmeausfall für die Betreiber vernachlässigbar. Doch für die Investition spielt es schon eine Rolle, wenn für den Netzbetreiber zur externen Überwachung und Regelung genau definierte, zusätzliche Anlagenschnittstellen geschaffen werden müssen.
Mehr Blindleistung aus dem Wechselrichter
Zudem müssen Wechselrichter in höheren Leistungsklassen eingebaut werden. Zwar wirkt sich das geforderte zusätzliche Bereitstellen von Blindleistung nicht auf den vergüteten, eingespeisten Strom („Wirkleistung“) aus. Doch der Wechselrichter muss mehr Scheinleistung produzieren – die geometrische Summe aus Wirk- und Blindleistung. Was größerer Geräte bedarf: Diese Kosten werden nicht durch eine höhere Einspeisevergütung gedeckt; anders als bei Windkraftwerken, wo Blindstrom als sogenannte „Systemdienstleistung“ extra vergütet werden soll.
Doch bei Solarstrom läuft es genau anders herum: Bekanntlich sanken hier die Vergütungen zum 1. Juli 2010 außer der EEG-Reihe stark. Und zeitgleich trat die Mittelspannungsrichtlinie 2008 in Kraft.
Leistung: Mehr Schein als Wirk
Der Betrag der Scheinleistung (S) ist die geometrische Summe aus Wirk- (P) und Blindleistung (Q)
Formel: S2 = P2 + Q2
Das bedeutet: Fordert der Netzbetreiber genauso viel Blindleistung vom WR, wie der an Wirkleistung ins Netz einspeist, dann ist die Schein-Nennleistung des Wechselrichters 1,41-fach größer zu bemessen als für reine Wirkleistungsproduktion.
Einheiten-Zertifikat oder Anlagen-Zertifikat – das ist hier die Frage
Auf Seite 57 der MR ist diese Festlegung erläutert: „Bis zu einer Anschlussscheinleistung SA der Erzeugungsanlage von maximal 1 MVA und einer Länge der Leitung vom Netzanschlusspunkt bis zu der/den Erzeugungseinheit(en) von ? zwei Kilometern reicht ein Einheiten-Zertifikat für jeden Erzeugungseinheiten-Typ aus. Sofern nicht alle Anforderungen der Richtlinie mit dem Einheiten-Zertifikat nachgewiesen wurden, ist das richtlinien-konforme Verhalten mit einem Anlagen-Zertifikat nachzuweisen.“
Was bedeutet: Alle Anforderungen der Richtlinie, die nicht von den WR erfüllt werden, müssen mit dem Anlagenzertifikat eigens belegt
ERGÄNZUNG zu dem im Heft erschienenen Artikel:
Mittelspannungsrichtlinie – auch bei Bioenergie nicht ohne
Aufgepasst: Die „Mittelspannungsrichtlinie 2008“ (kurz MR) des Energieversorger-Verbands BDEW gilt im Wesentlichen auch, wenn ein neues Biogas- bzw. Pflanzenöl-BHKW ans 10- oder 20-kV-Stromnetz angeschlossen werden soll. Wie berichtet, müssen Errichter von Photovoltaikanlagen oder Windkraftwerken seit 1. Juli 2010 die neue MR einhalten.
Mögliche Konsequenzen: Der Stromnetzbetreiber kann entweder schlichtweg den Anschluss verweigern. Oder der Anlagenbetreiber bekommt KEINE EEG-Vergütung für den eingespeisten Regenerativstrom. Denn parallel zur MR - offiziell „Technische Richtlinie Eigenerzeugungsanlagen am Mittelspannungsnetz 2008“ - des BDEW wurde auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG angepasst.
In §9 des EEG 2009 steht: „AnlagenbetreiberInnen sind verpflichtet, Anlagen, deren Leistung 100 kWp übersteigt, mit einer technischen oder betrieblichen Einrichtung zur ferngesteuerten Reduzierung der Einspeiseleistung bei Netzüberlastung ... auszustatten, auf die der Netzbetreiber zugreifen darf.“ Das EEG verhilft der MR also teilweise zu einer Art Gesetzescharakter.
Für Biogas- oder Pflanzenölanlagen gelten niedrigere Forderungen als für Wind- oder Solarkraftwerke: Zurzeit genügt, wenn der Netzbetreiber die Möglichkeit hat, die Leistung des Aggregats in mehreren Stufen fernzusteuern. Die dazu nötigen elektronischen Geräte und Schnittstellen muss der Anlagenbetreiber aber vorhalten: In Deutschland ein Problem, bei einer dreistelligen Zahl von Netzgesellschaften mit jeweils eigenen Bedingungen.
Noch benötigen Bio-BHKW kein Zertifikat, wie es für die anderen Erneuerbaren Stromerzeuger gilt. Der Grund ist laut VDMA, dem Verband der Maschinen- und Anlagenhersteller: „Für die Verbrennungsmotoren (BHKW) ist eine Zertifizierung für die statische Spannungshaltung ist derzeit nicht verfügbar. Kein Hersteller verfügt über ein gültiges Zertifikat gemäß BDEW-MR.“ Und: „Eine Forderung eines solchen Zertifikates zum derzeitigen Zeitpunkt würde einem „Anschlussverbot“ für Erzeugungsanlagen mit Verbrennungsmotoren gleichkommen.“
Den Mehrkosten, die sich teilweise am Preis niederschlagen, stehen auf der anderen Seite die Zusatzerträge gegenüber: Die Netzgesellschaft muss laut EEG dem Anlagenbetreiber „verhinderte“ Einspeisemengen bezahlen.
Doch BHKW-Anbieter sollten sich nicht ausruhen. Inzwischen sind „die erforderlichen Schritte für eine schnellstmögliche Anwendung auch für Erzeugungsanlagen mit Verbrennungsmotoren vereinbart“, ist beim VDMA zu lesen. Also nur eine Gnadenfrist für Bio-BHKW.
Heinz Wraneschitz