Was bleibt?
Einmal im Jahr findet der Tag der Alleen statt. Dass es für eine solche Monokultur einen Aktionstag gibt, ist im Grunde auch gar nicht so wichtig. Alleen werden bekanntlich auch nicht an einem Tag im Jahr gepflanzt und ebenso wenig nur einmal jährlich genutzt.
Das gilt natürlich für alle Erinnerungstage. Der Tag der Alleen ist dennoch interessant, da dem Pflanzen von Bäumen im Besonderen durchaus etwas innewohnt. Es muss bei jeder Allee einmal Menschen gegeben haben, die es als schön oder wichtig ansahen, dass ein Weg oder eine Straße mit Bäumen eingefasst wird. Neu angelegt finden sich diese anmutigen Kompositionen im Übrigen meist nur noch in verkehrsberuhigten Zonen, als Straßenbegleitung haben sie ausgedient. Nicht nur dass sie mancher Verkehrsplanung zum Opfer gefallen sind, in unserer Hochgeschwindigkeitszeit sind sie schlichtweg zu gefährlich. Viele unter uns haben ihr Leben an einem Baum ausgehaucht, da dieser dem von der Fahrbahn abgekomme Fahrzeug nicht ausweichen wollte oder gar konnte.
Der Wald vor lauter Bäumen
Im Gegensatz zu Alleen sind Wälder zunächst einmal nicht menschengemacht. Der Einwurf, dass Wälder in unseren Breiten meist Holzplantagen sind, die vom Menschen geplant und geordnet werden, ist gewiss wichtig und richtig. Der Mythos des geheimnisvollen Waldes stammt daher sicherlich aus anderen Epochen. Denn in unseren heutigen Wäldern geht es letztendlich nur um die Gewinnung des Rohstoffs Holz, daher ist nicht nur die Pflanzung, sondern auch die dort als Pflege titulierte Vernichtung alles Unwillkommenen, alles anderes als Natur.
Natur ist mittlerweile ein sehr knappes Gut. Um klarer zu sein: der Begriff Wildnis wäre hier treffender. Und ursprüngliche Wildnis gar, die gibt es heutzutage so oft wie Stecknadeln in Heuhaufen. Die Natur, oder besser Kulturlandschaften mit Freiräumen für alle möglichen Spezies, hat freilich sehr viele positive Aspekte. Schließlich gestalten wir als bestimmendes Individuum auf dem Planeten Erde bekanntlich Räume, die durchaus einen Wert für die Umwelt haben. Sie haben recht, Umwelt, das ist wieder so ein schwammiger Begriff. Egal. In den Übergängen von Quasi-Wildniszonen und der Ödnis unserer geschaffenen Lebenswelten schlagen wir wichtige Brücken, die es uns erleichtern, die andere Seite zu verstehen und, das ist essentiell, zu akzeptieren und zu tolerieren. Wildnis ist deshalb der Bereich auf der Erde, um den wir uns weder kümmern noch sorgen sollten. Dies zu akzeptieren ist bekanntlich eine der schwierigsten Übungen für uns Kontrollfreaks.
Für die Nachwelt
Es ist schon immer faszinierend, darüber zu sinnen, was dieser oder jener Baum schon alles erlebt hat, aber auch darüber nachzudenken, was sich jemand einst bei der Pflanzung gedacht hat. Denn irgendwann wurden all diese Bäume gepflanzt oder alternativ als wild aufgegangene Pflanze bewusst nicht ausgerissen. Und so ist es nun mal: wer einen Baum pflanzt, wird nicht erleben, wie er sich entwickeln wird und was alles um ihn herum an Geschichte passieren mag. Dennoch ist es wichtig, Bäume zu pflanzen. Das auch in dem Bewusstsein, viel schneller als diese vom Erdboden verschwunden zu sein.
In der heutigen, immer weniger von perspektivischem Denken geprägten Zeit ist die Erwartungshaltung groß. Wir wollen immer alles sofort, zudem soll ein direkter praktischer Nutzen bestehen. Das färbt auch auf unser Leben abseits des Konsums ab. Dinge zu tun, die jenseits unserer Existenz wirken werden, das passt nur wenig in das Heute. So ist es schon bewundernswert, wenn Bäume, die hier nur exemplarisch für vieles andere stehen, gepflanzt werden. An diesen, an einen festen Standort gebundenen Lebewesen können sich Menschen und Lebewesen erfreuen, die es zu dem Zeitpunkt der Sprösslinge noch gar nicht gab. Vielleicht ist es am Ende viel konkreter als wir glauben. Denn nur wenn so etwas geschieht, kann es eine Zukunft geben, in der diese Pflanzen in ihrer ganzen Größe existieren. In der Waldwirtschaft pflanzen, pflegen und ernten unterschiedliche Generation. Es wird in die Zukunft gedacht, sich um die Gegenwart gekümmert und aus der Vergangenheit ernährt. Vorausschauendes Handeln ist schlichtweg die beste Antwort auf das Jammern, nichts tun zu können. Dazu zählt ebenso die Entsiegelung von Flächen, die Rückführung wertvoller Böden als CO2-Senke, die Herausnahme von Arealen aus dem Produktionskreislauf, etc. Denn, das zeigt uns die Geschichte nahezu stetig: viele Dinge wirken erst mit der Zeit. Es gibt viel zu tun, um ein stückweit unsterblich zu werden und die eigene Existenz noch ein wenig nachhallen zu lassen.
Es kann dauern
Bei der Wiedereinsiedlung von Spezies vergehen schnell mal Jahrzehnte, bis klar wird, ob sich die Mühe gelohnt hat. Ein prominentes Beispiel ist der Stör. Ein Fisch, der schon Klimawandel und Dinosaurier überlebt hat, vom Menschen jedoch stark beeinträchtigt wurde und wird. Hierzu müssen die Beteiligten quasi über den eigenen Schatten springen und über die eigene Lebensspanne hinwegblicken. Solche Arbeiten sind eben etwas für Zweckoptimist:innen, die sich nicht von Rückschlägen beeindrucken lassen. Denn solange irgendetwas nicht unwiederbringlich verschwunden ist, ist es noch nicht zu spät. Eine schon philosophische Frage sollte in dem Zusammenhang aber durchaus gestellt werden: ist es besser, auf jeden Eingriff zu verzichten, um keinerlei Wertung in die Naturkreisläufe zu bringen und zu vermeiden, dass es durch Fehleinschätzungen zu ungewollten Kettenreaktionen kommen kann? Was macht uns so sicher, dass wir nicht nur nach unserem Gusto reparieren und nur alles auf unseren zeitlichen Horizont hin betrachten? Ist es falsche Naturliebhaberei oder Verantwortung für das von uns Angerichtete? Beides ist sicher richtig. Am besten sollte nach und durch uns etwas Positives haften bleiben. Und ganz sicher: Es gibt jede Menge an möglichem Engagement, vieles davon auch im weniger sichtbaren Bereich.
Matthias Hütmann