Jeder Neubau belastet die Ökobilanz
Erkenntnis der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB): Als ich vor Jahrzehnten an der TU Berlin mein Vordiplom absolvierte, sagte der Dekan und erste Professor für Bauwirtschaft in Deutschland, Karlheinz Pfarr, zu mir: nehmen Sie sich nicht zu wichtig. „Im Zeitraum Ihrer gesamten beruflichen Tätigkeit werden dem Gebäudebestand weniger als zwei Prozent an neuen Gebäuden hinzugefügt werden“.
Energie- und Ressourcenverbrauch
Dennoch „ist der Bausektor ursächlich für 40 % des Energieverbrauchs und für über 50 % des Abfallaufkommens in Deutschland. (...) Gleichzeitig steigt die Siedlungs- und Verkehrsfläche noch immer um über 50 Hektar pro Tag an“1), wie die erste Broschüre „Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude“ des wiedereingerichteten Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen anführt.
Nach den Angaben des Umweltbundesamtes vom 20. Juni 2022 stiegen insbesondere die CO2-Emissionen 2021 wieder um 4,5 % an2).
Wenn man bedenkt, dass Deutschland weltweit mit 9,4 t CO2–Äquivalenten pro Kopf weltweit den zweiten Platz, übertroffen nur durch die USA mit 17,7 t CO2-Äquivalenten pro Kopf einnimmt und China, die USA, die Europäische Union und Indien mehr als 50 % aller Treibhausgasemissionen verursachen – nimmt man Russland, Indonesien, Brasilien und Japan hinzu sind es 65,4 % aller Emissionen weltweit, die diese zu verantworten haben – der Rest der Welt gerade einmal ein Drittel also.
Der immer noch gelegentlich zu hörende Satz „wir können doch da gar nichts ausrichten“ ist also grundfalsch, im Gegenteil: schon, wenn nur die USA und Europa, die das Entstehen des jetzigen Klimawandels infolge ihrer rasanten technologischen Entwicklung im 19. Jahrhundert zu verantworten haben, in sich gehen würden und 50 % der Emissionen - und der Rohstoffverbräuche einsparen, wahrscheinlich wäre einiges noch möglich, sonst wohl kaum.
Die Menschheit ist in Gefahr
„L’humanité en péril - Virons de bord toute! (Die Menschheit in Gefahr – alle umkehren!) lautet der Originaltitel einer jetzt auch in deutscher Übersetzung erschienenen Studie der Archäozoologin und vielprämierten Krimiautorin Fred Vargas. Titel der deutschen Ausgabe: „Der Klimawandel - ein Appell (wir müssen jetzt handeln um das Klima zu retten).“ Sagt das nicht schon alles, wie einseitig – um nicht zu sagen oberflächlich – wir Deutsche die Probleme nehmen!
Wen wundert es da noch, dass der rasante weltweite Rohstoffverbrauch und die umfassende und nachhaltige (!) Zerstörung der Lebensbedingungen bei uns nicht thematisiert wird – was hat das denn mit dem Klimawandel zu tun?
Zwei Vorträge
In der vergangenen Woche habe ich zwei Vorträge zum Thema „Nachhaltiges Bauen“ hören dürfen:
Den ersten hielt der hervorragende Kollege aus dem Büro Vandkunsten Architects, Kopenhagen, Søren Nielsen. Wir hatten ihn auf meine Anregung nach Karlsruhe eingeladen. Er zeichnete ein völlig neues Bild der Möglichkeiten des Umgangs mit Bauten des Bestandes, aber auch mit Neubauten auf der Basis der Wieder- und Andersverwendung von Materialien, was oftmals eine ganz neue Wahrnehmung und Ästhetik mit sich bringt. Wobei gerade dieses Architekturbüro von je her für seine sozialen Konzepte (‚Co-Housing’) und großartige Modernisierungen und Umbauten wie Neubauten bekannt ist. Das ist komplett umdenken und verantwortlich denken, wie es nottut, überall!
Der zweite Vortrag der vergangenen Woche, den mein Nachfolger als Vorsitzender der Kommission für Nachhaltiges Bauen der Architektenkammer Baden-Württemberg, Volker Auch-Schwelk auf Einladung der Architektenkammer hielt und die hochkomplexen, absolut anspruchsvollsten, von der DGNB aufgestellten Forderungen bezüglich Nachhaltigkeit von Baustoffen vorstellte und an exklusiven Neubaubeispielen zeigte. Es war kein einziger Altbau dabei!
Was nützt uns das, wenn wir überleben wollen
Wir müssen den Gebäudebestand ertüchtigen, angemessen modernisieren, umbauen, anbauen, aufstocken, nachverdichten wo es geht - und gleichzeitig auch gebäudetechnisch mit maximalem Einsatz regenerativer Energie- und Wärmeversorgung umrüsten.
Dies alles auch gegen die oft immer noch grundsätzlichen Widerstände der Denkmalpflege.
Wie inzwischen auch die großen deutschen wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen, angefangen mit dem Wuppertalinstitut und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, fordern, muss es bei den immer überfälligeren und immer dringlicher gewordenen Handlungskonzepten im Kern um die Rettung der Lebensbedingungen nicht nur der Menschheit sondern notwendigerweise auch aller Pflanzen und Tiere gehen. Da hilft eine Steigerung der Effizienz bei Produktion, Energie- und Ressourcenverbrauch, wie sie große Teile der Politik immer noch propagieren sehr, sehr wenig, im Gegenteil: Die Erhöhung der Effizienz hat zu einer erhöhten Wertschöpfung und dadurch zu höheren Gewinnen und einem entsprechenden Wirtschaftswachstum geführt, und führt weiterhin und verstärkt dazu.
Effektivität statt Effizienz
Und dies führt logischerweise unter dem Strich nicht zu einer Verringerung, sondern einer Steigerung von Ressourcen- und Energieverbrauch. Dies betrifft insbesondere den Wasserverbrauch von Landwirtschaft (70 %) und Industrie (20 %) - die Haushalte sind nur für 10 % verantwortlich.
Allein die rasant zunehmende Lithiumgewinnung für die Batterien von Elektrofahrzeugen beansprucht 90 % der Wasserreserven Südamerikas und zerstört hierdurch Vegetation und Lebenswelt in großen Bereichen Südamerikas, ebenso wie die Tierzucht weltweit dies für die Fleischproduktion tut. Über 43 Milliarden Rinder weltweit – also ca. 5 pro Kopf der Weltbevölkerung und auch nicht viel weniger Schweine und andere Tiere verbrauchen bis zu 90 Prozent des Trinkwassers vieler Länder. Die Produktion von einem Kilo Rindfleisch zum Beispiel erfordert unvorstellbare 13.500 Liter Wasser. In voraussichtlich 20 Jahren wird es kein Trinkwasser mehr geben. Eine Einsparung von mindestens 13 % ist notwendig um den Haushalten die weltweit benötigte Wassermenge zu garantieren.
Dies wäre durch Aufbereitung von häuslichen Abwässern durchaus machbar, wie das Beispiel Israels mit 70 % Recycling zeigt. Auch die weitere Kontamination von 31 % des Grundwassers durch Pestizide und Nitrate muss gestoppt werden – auch wenn die landwirtschaftlichen Erträge dann drastisch sinken.
In den weitgehend bereits leergefischten Weltmeeren wird es zudem in 20 Jahren keine Fische mehr geben.2)
In all diesen Statistiken fehlt der immense Rohstoff- und Wasserbedarf für die Herstellung von Baustoffen, für die Beton-, Metall- (insbesondere von Stahl und Aluminium) und die Ziegelherstellung. Hinzukommt die industrielle Produktion von Maschinen und Fahrzeugen: China, die USA, die EU und Indien verbrauchen insgesamt allein ca. 80 % aller Ressourcen und sind deshalb allein schon für über 50 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich.3)
Fußnoten
1) BMWi,“Hoher Energieverbrauch des Gebäudesektors“ (2014) und Statistisches Bundesamt (Destatis) Juni / November 2021
2) Fred Vargas, Der Klimawandel - ein Appell
3) David Nelles /Christian Serrer, Die Klimalösung
Hinrich Reyelts