Tun und nichts lassen: Das moralische Risiko
Im englischsprachigen Raum gibt es den Begriff des „Moral Hazards“. Bei uns ist er weniger geläufig. Wird er als moralisches Risiko übersetzt, hilft das nicht groß weiter. Eine Definition ist da schon verständlicher: Sie beschreibt den Moral Hazard als den fehlenden Anreiz, sich vor Risiken zu schützen, sobald einen etwa eine Versicherung vor möglichen Folgen schützt. Ganz nach dem Motto: So schlimm wird es schon nicht werden und wofür gibt es denn die Medizin, die Technik und meine Haftpflichtversicherung. Ohnehin haben wir als Zivilisation heutzutage auch unsere Umwelt unter Kontrolle, die Natur längst gezügelt.
Moralische Hasardeure
… genau, das trifft es schon besser. Was dann passiert, sind die unbedachten, oder in Kauf genommenen Folgen von eingegangenen Risiken. Durch eine gewisse Vollkaskomentalität kommt es schließlich zu einem verantwortungslosen und fahrlässigen Verhalten, was sich in höheren Kosten für die Allgemeinheit niederschlägt. Im gesellschaftlichen Diskurs wird eine solche Kollektivierung des individuellen Risikos - auch durchaus bewusst - mit dem Freiheitsbegriff vertauscht. Opportunismus wird zum Codex, da Einzelne nicht für ihr risikoreiches Verhalten haften müssen. Die Auswirkungen auf das Heute und vor allem unser aller Morgen werden immer noch zu wenig thematisiert. Vielmehr wird soziales Verhalten und Solidarität gerne zu Einschränkung und Verbot umgedeutet.
Lösungswege für Klimaschutz
Bedenken bezüglich eines Moral Hazards werden auch häufig im Zusammenhang mit der technischen Entnahme von Treibhausgasen (CO2-Sequestrierung, CCS) oder Geoengineering-Maßnahmen geäußert. So wird davor gewarnt, dass ehrgeizige Klimaschutzmaßnahmen weniger verfolgt werden könnten, wenn etwa, wie beim Solar Radiation Management (SRM), das einfallende Sonnenlicht durch das Einbringen von Aerosolen in die Stratosphäre reduziert wird und es zu einer „abrupten“ Abkühlung der globalen Temperaturen kommt. Jedoch sollte nicht übersehen werden, dass wir wohl um eine Art Klimaanpassung gar nicht mehr herumkommen. Alle noch so ambitionierten Ziele, sollten sie überhaupt realisiert werden, können die Klimakatastrophe höchstens dämpfen. Wir sind auf dem Pfad der Ignoranz einfach schon viel zu lange unterwegs. Andererseits, das ist ebenso essentiell: Kein „Technofix“ wird uns zurück in die Wohlfühlzone des Holozäns zurückbeamen. Diese paradiesische Phase des Weltklimas wird so schnell nicht mehr zurückkehren. Ohne eine Abkehr von unserer Lebensweise der letzten Dekaden wird es nichts.
Und es wird viele Generationen dauern. Zu lange haben wir an diffuse Versprechungen in die Zukunft geglaubt. Schließlich fiel uns ja schon immer etwas ein, die technischen Entwicklungen sind derart rasant, dass es wohl nur eine Frage der Zeit sein wird, dass eine technologieoffene Lösung es ermöglicht, unseren Lebensstil weiter wie gewohnt zu betreiben. Aber auch ein irrationaler Innovationsglaube sollte uns nicht so weit blenden, dass wir eine Anpassung an den menschengemachten Klimawandel für möglich halten. Je heißer, desto teurer, schwieriger, letztlich unmöglich wird diese Anpassung. Die Geschwindigkeit der vorgenommenen Anpassungen kann mit der Geschwindigkeit der Veränderung nicht mithalten.
Rationale Klimapolitik
Wir müssen folglich beides tun, unseren Ressourcen- und Energiehunger reduzieren und gleichzeitig für Worst-Case-Szenarien gewappnet sein. Natürlich immer mit dem Wissen, dass Experimente mit der Natur zu schweren, unabsehbaren Folgen führen können.
Der Klimaökonom Gernot Wagner, der zu Klimarisiken und Klimapolitik forscht, hat sich in seinem Buch „Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln“ ausführlich mit solarem Geoengineering beschäftigt. Er kommt zu dem Schluss, dass solche Maßnahmen keineswegs ein Ersatz von Klimaschutz sein dürfen. Jedoch sei es aber schon so spät, dass es wohl nur eine Frage des „wann und nicht des ob“ ist, dass wir darauf zurückgreifen müssen.
Denn, so sieht es leider aus, wollen wir die naheliegenden Transformationen nicht umsetzen. Statt die Erneuerbaren mit oberster Priorität auszubauen, wird alles nur Denkbare an Hirnschmalz dazu verwendet, die bestehenden Strukturen der molekülbasierten Energiewelt aufrechtzuerhalten, auch wenn uns dabei wohl mittelfristig die grüne Farbe ausgehen wird, mit der wir alles anmalen.
Exkurs Entropie
Die oberste Direktive aus dem fiktiven Star-Trek-Universum von Gene Roddenberry ist grob das prinzipielle Verbot aller Maßnahmen, die geeignet sein könnten, natürliche Entwicklungen zu verändern, selbst wenn dies unter den besten Absichten oder unbemerkt geschähe. Das ist natürlich reine Theorie. Allein durch unsere Existenz tragen wir ständig dazu bei, dem Universum darin zu helfen, einen Zustand größtmöglicher Unordnung zu erreichen. Wir sind ein Baustein im großen Ganzen und in gewisser Weise das Gegenteil der Vorstellung, dass es im Universum eine Art göttliche Ordnung gibt.
In der Physik spricht man von Entropie. Sie beschreibt, vereinfacht gesagt, dass auch das von uns bewohnte System, immer das Bestreben hat, sich zu einem Zustand der größtmöglichen Vielfalt und Komplexität hin zu entwickeln. Und ist erst mal etwas in Unordnung gebracht worden, so lässt es sich nicht wieder ordnen. Das, was wir als Unordnung wahrnehmen ist in Wahrheit eine Ordnung höherer Komplexität. Die Natur verabscheut Homogenität, diese bietet keinen Raum für Evolution.
Fazit
Wir können und müssen die Entropieerhöhung nicht stoppen, sie ist in gewisser Weise letztlich auch nur unser Blick auf Dinge, die wir nicht verstehen, ein „Maß für die Unkenntnis der Zustände aller einzelnen Teilchen“. Aber uns zügeln, das können wir allemal.
Matthias Hüttmann