Das Klima und wir, Henne und Ei
„Ach wie schön, ist das Holozän“. So titelten wir hier schon einmal. Ja, dieser vermeintliche Reim tut weh, aber darum ging es damals gar nicht. Wir wollten damit lediglich plakativ ausdrücken, dass wir in einer für uns idealen Klimasituation leben, in der, oder besser dank der, wir uns als Menschen prächtig entwickelt haben. Und auch wenn unser Dasein auf der Erde womöglich eine temporäre Erscheinung ist, für uns besteht dieser klimatische Zustand bereits eine gefühlte Ewigkeit. Wir sitzen schon immer im Paradies, wenn es auch mal andere Zeiten gab. Während Eiszeiten kamen und gingen, Spezies auftauchten und ausstarben, lernten wir, bzw. unsere Vorfahren, dazu und wussten uns anzupassen. Etwa lehrte uns ein Kälteeinbruch am Ende der letzten Eiszeit vor 12.000 Jahren, wie Pflanzen anzubauen sind und Landwirtschaft zu betreiben ist.
Was kam zuerst?
Beschäftigt man sich mit dem menschengemachten, beschleunigten Klimawandel, prägen speziell die letzten Jahrzehnte unser Wissen bezüglich unseres Einflusses auf das Klima. Stellvertretend für diese zeitliche Einordnung steht hier die sogenannte „Große Beschleunigung“. Denn seit den 1950er Jahren ist eine dramatische, in der Geschichte beispiellose Zunahme von menschlicher Aktivität in vielerlei Hinsicht zu beobachten. In diesem Modell der Großen Beschleunigung werden zwölf gesellschaftlich-wirtschaftliche (sozio-ökonomische) Megatrends zwölf ökologischen (Erdsystem-) Megatrends zur Seite gestellt. Damit werden die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die lebensstiftenden Ökosysteme unseres Planeten deutlich gemacht.
Auch das allseits bekannte Hockeyschlägerdiagramm der globalen Erwärmung von Michael E. Mann und Kollegen fokussiert die Dramatik unserer Klimamanipulation auf die jüngste Zeit. Erstmals 1999 veröffentlicht, visualisiert es den Temperaturverlauf des letzten Jahrtausends auf der nördlichen Hemisphäre. Seinen Namen hat es im Übrigen erhalten, da seine Form der eines Eishockeyschlägers ähnelt.
Aber genau genommen ist das nur die halbe Wahrheit. Denn seit etwa 6.000 Jahren sind die globalen Temperaturen erstaunlich stabil. Genau genommen befindet sich die Erde jedoch schon seit dieser Zeit in einer Phase der langsamen Abkühlung und es sollte eigentlich in die nächste Eiszeit übergehen. Das hat den Paläoklimaforscher William Ruddiman1) nicht in Ruhe gelassen. In jahrelanger akribischer Arbeit hat er nachgewiesen, dass wir Menschen nicht erst während der industriellen Revolution in den letzten zwei Jahrhunderten die Kontrolle über das Klima übernommen haben. Tatsächlich haben wir dies bereits vor mehr als 6.000 Jahren getan.
Wie haben wir das gemacht? „Einfach“ indem wir Landwirtschaft betrieben und Wälder abgeholzt haben, aber auch indem wir zur Verbreitung von Seuchen beigetragen haben. Denn, so Ruddiman, hätte, verglichen mit vergangenen Zyklen von Eis- und Zwischeneiszeiten, unser Planet schon vor rund 9.000 Jahren langsam damit beginnen müssen, von einer warmen zwischeneiszeitlichen zu einer kalten eiszeitlichen Ära zu wechseln. Jedoch blieben die globalen Temperaturen fast völlig gleich, normalerweise hätte sie um etwa 1°C abkühlen müssen. Die Theorie von Ruddiman: der natürliche Abkühlungstrend wurde durch eine geringe, aber nicht zu vernachlässigende, vom Menschen verursachte Erwärmung durch Treibhausgase kompensiert. Die zunehmende Abholzung der Wälder für die Brandrodung in Eurasien und Nordamerika setzte immer größere Mengen CO2 in die Atmosphäre frei. Auch wenn der CO2-Ausstoß zeitweise infolge von Pandemien sogar etwas zurückging, ist bereits seit etwa 6.000 Jahren ein stetiger, langfristiger Anstieg der CO2-Werte zu beobachten. Gleichzeitig verbreitete sich in China der Reisanbau, wodurch eine Zunahme an Methanemissionen aufkam.
Alle Hebel in Bewegung gesetzt
Der Unterschied zu heute: Wir haben die Pegel dramatisch aufgedreht und emittieren massive Mengen an Treibhausgasen. Um zu dem Titel dieses Textes zu kommen: Der Mensch wurde durch das Klima zu dem, der er ist, er hat aber auch das Klima zu dem gemacht, das es ist. Betrachtet man die Historie, so wird umso deutlicher, wie sensibel das Klima auf unser zügelloses Verhalten reagiert. Denn, um es mal plakativ zu beschreiben: Die wenigen Menschen, die damals auf der Erde herumturnten, nahmen bereits Einfluss auf das große Ganze. Dabei fuhren sie ja noch keine SUVs, holzten keinen Regenwald für die Viehzucht und Sojaanbau ab, kannten die Vielfliegerei nicht und mussten nicht alle paar Jahre ihre elektronischen Begleiter durch neue ersetzen und vieles mehr. Es waren vor allem Landwirte, weniger Jäger, vielmehr Sammler. Dies gilt es zu verstehen, wenn über die Notwendigkeit und Effekte von Klimamaßnahmen gesprochen wird.
Eines wird dadurch deutlich: Wir können uns keine weiter Verzögerung und keinerlei Ausbremsen von Klimschutzmaßnahmen leisten. Wir müssen den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung besser begreifen. Bereits heute leiden viele Menschen unter der Sorglosigkeit weniger, die ihr Tun ganz nach dem Motto „Das habe ich mir verdient“ rechtfertigen. Jedoch haben sich die davon Betroffenen keineswegs ihre Lebenssituation verdient.
Fußnote
1) Ausführlich in der in Kürze erscheinenden deutschen Ausgabe von „Our Fragile Moment“ (Moment der Entscheidung, oekom-Verlag) von Michael E. Mann. Bei William F. Ruddiman ist es in „Plows, Plagues, and Petroleum: How Humans Took Control of Climate“ (Princeton University Press) nachzulesen
Matthias Hüttmann