Wirbel um die VDS 6023
Drohkulisse: Brände durch PV-Anlagen auf Dächern Die VdS 6023 ist im Februar 2023 erschienen. Der Verband der Sachversicherer (VdS) möchte mit der Publikation auf mögliche Gefahren bei der Installation von PV-Anlagen auf Dachflächen mit brennbaren Baustoffen hinweisen. Die nicht unumstrittene Richtlinie hat für teils recht heftigen Wirbel gesorgt, da sie teilweise eine Interpretation „befeuert“ hat, dass PV-Anlagen auf Dächern in jedem Fall brandgefährlich seien und am besten gar nicht mehr errichtet werden dürften.
Kapitel 1: SituationsbeschreibungHier führt die VdS 6023 über eine an sich korrekte Aussage ins Thema ein: „Im Fehlerfall geht von jeder elektrischen Anlage oder jedem elektrischen Betriebsmittel eine Brandgefahr aus.“ Sie baut dabei aber unnötig eine Drohkulisse auf.
Im zweiten Satz wird die jeder elektrischen Anlage innewohnende Brandgefahr zwar relativiert: „[…] Normen sowie […] Sicherheitsstandards sorgen dafür, dass die Verwirklichung der Gefahr unterhalb eines akzeptierten Risikos (Grenzrisiko) verbleibt und man von einer vorhandenen Sicherheit ausgehen darf.“. Weiter unten (2. Absatz) ist dann jedoch zu lesen: „Durch den Aufbau einer PV-Anlage auf einem Dach erhöht sich das Brandrisiko für das Gebäude.“. Auch wenn das zwar an sich richtig ist, gilt dass das akzeptierte Grenzrisiko nur im Fehlerfall überschritten wird, nicht im Normalbetrieb.
Im Weiteren wird jedoch nicht die Abwendung von Fehlerfällen betrachtet, sondern vielmehr verallgemeinert (5. Absatz): „Damit stellt sich grundsätzlich die Frage, ob PV-Anlagen auf den (Flach-)Dächern von Industrie- und Gewerbegebäuden oder kommunalen Einrichtungen errichtet werden dürfen.“ Diese Aussage wird mit einem Brandereignis in Wittmund am 02.06.2013 begründet, ohne auf die Umstände dieses Einzelfalls näher einzugehen. Auch ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg (siehe Kasten) zu diesem Brandfall, aus dem wenige Zeilen zitiert werden, stellt einen Einzelfall dar, auf dessen weitere Umstände nicht eingegangen wird. So entsteht der Eindruck, dass ein Anspruch auf Verallgemeinerung bestünde.
Einer Situationsbeschreibung, also einer Verallgemeinerung, gerecht wären erläuternde Ausführungen zum ersten Satz aus Abschnitt 3 gewesen: „In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Dachbränden, ausgelöst durch PV-Anlagen.“ Die VdS 6023 belässt es bei diesem einen Satz, die Aussage bleibt empirisch unbegründet. Andere Quellen kommen zu folgenden Aussagen: Um das Jahr 2015 kam es tatsächlich in etwa 210 Fällen zu Bränden mit Brandursache in der PV-Anlage, allerdings bei 1.300.000 installierten Anlagen. Das entspricht einer Quote von 0,016 %.1) Das Fraunhofer ISE kommt mit Zahlen aus 2013 auf eine soweit vergleichbare Quote von 0,006 %.2) Ohne solche relativierenden zusätzlichen Informationen, wird beim Leser die Aussage, dass „es immer wieder zu Dachbränden kam“ wahrscheinlich eher als bedrohlich im Gedächtnis bleiben.
Der vorletzte Satz hätte besser als Hauptaussage herausgearbeitet werden sollen: „Die Sachversicherungen müssen diese bestehenden Risiken bewerten, für sich Entscheidungen zur Versicherbarkeit des Risikos treffen und gegebenenfalls dem Kunden Möglichkeiten aufzeigen, das Risiko zu mindern.“ Mit der einleitenden Erkenntnis, dass das Risiko einer fehlerfreien PV-Anlage akzeptabel ist, läge der Schwerpunkt dann nämlich beim Erkennen von Fehlern und bei Maßnahmen zu deren Vermeidung. Anscheinend wird die VdS 6023 jedoch nicht so gelesen. Alle Rückmeldungen, die uns erreicht haben, drehten sich um die Drohkulisse und die Befürchtung PV-Anlagen auf Dächern seien brandgefährlich und die Gebäude darunter nicht mehr versicherbar.
Kapitel 2: Ausführungen von PV-Anlagen auf Dächern
Nachdem - beabsichtigt oder nicht - die Drohkulisse steht, und man sich fragt, ob PV-Anlagen überhaupt noch auf Dächern errichtet werden dürfen, nennt dieses Kapitel die relevanten Normen für Erst- und Wiederholungsprüfungen: DIN VDE 0100-712, DIN VDE 0100-600, DIN VDE 105-100 und DIN EN 62446-1 und -2. Diese etablierten Normen bilden die Basis für die Aussage aus Kapitel 2.1: „Ordnungsgemäß geplante, errichtete und regelmäßig instand gehaltene PV-Anlagen gelten als sicher.“ Die noch nicht etablierte aber am Markt bereits verfügbare Lichtbogenerkennung wird als Beispiel zur Erreichung des Schutzziels bei Dächern mit brennbaren Baustoffen angesprochen, falls ein solches Dach mit PV-Anlage als besonderes Risiko eingestuft werden sollte. Ihre Möglichkeiten werden nicht vertieft. Dies soll hier in aller Kürze nachgeholt werden: „Unter einem Lichtbogen versteht man eine [..] Gasentladung (Plasma) […], welche materialabhängig bei Vorliegen von Mindestwerten bei Strom und Spannung einen Stromfluss ermöglicht. Bei Gleichstromsystemen ist dieser Stromfluss nicht selbstverlöschend. Aufgrund der speziellen PV-Generatorkennlinie stützen PV-Anlagen im Fehlerfall auftretende Lichtbögen. Der Lichtbogenproblematik ist daher besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf Brandentstehungsrisiken zu widmen.“1)
Wechselrichterhersteller haben sich der Thematik angenommen und bieten zum Teil schon im Wechselrichter integrierte Maßnahmen zur Lichtbogenerkennung mit geeigneter Unterbrechung an. Diese erkennen sogenannte serielle Lichtbögen, wie sie etwa durch fehlerhafte DC-Steckverbinder oder Marderbisse in DC-Leitungen entstehen können. Ein solcher Wechselrichter schaltet im Fehlerfall die betroffenen Stränge ab um die Entstehung eines Brandes zu verhindern. Aktuell (Stand 11/2023) besteht in der EU keine normative Verpflichtung zum Einsatz einer Gleichstrom-Lichtbogenerfassung und -unterbrechung.
Kapitel 3: Übersicht von Maßnahmen zur Risikominimierung
Hier geht die VdS 6023 auf die Maßnahmen zur Risikominimierung ein, zunächst im Fließtext, dann als Aufzählung:
- Austausch einer brennbaren Dachdämmung gegen eine nichtbrennbare
- Aufbringen einer Kiesschicht (bzw. einer nicht brennbaren Trennschicht wie Kiesschüttung, Blech, Mineralfaserdämmstoff etc.)
- Fachgerechte Verlegung von DC-Leitungen, insbesondere Schutz vor dauerhaft anstehendem Wasser, vor Eisgang, vor Tierverbiss, vor UV-Einwirkungen
- Aktive Lichtbogenerkennung und -abschaltung
- Automatische Weiterleitung von Stör- und Betriebsmeldungen
- Aufgeständerte Kabelbühnen aus Metall
- Regelmäßige Instandhaltungsmaßnahmen und Prüfungen
- Kontinuierliche Datenfernüberwachung
- Striktes Vermeiden von auf dem Boden liegenden Leitungen und Steckverbindern
Wie so oft bei solchen und vergleichbaren Aufzählungen wären mehr „und“ und „oder“ hilfreich. Vor der Veröffentlichung der VdS 6023 genügte das fachgerechte Verlegen der DC-Leitungen in Kombination mit regelmäßigen Prüfungen. Hier bleibt unklar welche Maßnahmen zur Risikominimierung, bzw. welche Kombinationen genügen, um das akzeptierte Grenzrisiko zu sichern. Hier ist die Fachwelt gefragt, denn: Die Kosten überzogener, oder gar aller Maßnahmen, würden die Energiewende massiv ausbremsen. Alle wirtschaftlich tragbaren Maßnahmen sollten konsequent umgesetzt werden. Es müsste erklärtes Ziel der VdS 6023 sein, dass die Fachkraft die Maßnahmen zur Risikominimierung abwägen und auf das Dach, die PV-Anlage und die Umstände anpassen darf. Und das in Absprache mit dem Gebäudeversicherer. Der Versicherer sollte daher bereits in der Planungsphase eingebunden werden. Gemeinsam festgelegten Maßnahmen zur Risikominimierung sollten dokumentiert werden.
Zu den einzelnen Maßnahmen wäre weiter auszuführen: Umsetzbarkeit im Neubau und im Bestand unter Berücksichtigung von Kosten, Nutzen, Versicherbarkeit und Prämie mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit der PV-Anlage. Die DGS Franken will in die Richtung tätig werden und in einem späteren Artikel auf die Einzelmaßnahmen eingehen.
Kapitel 4: Normative Anforderungen
Das letzte Kapitel der VdS 6023 listet einige der wichtigsten PV-Normen auf. Sie sind etabliert und entsprechen (fast alle) den allgemein anerkannten Regeln der Technik. Wünschenswert wäre ein Abgleich bzw. eine gemeinsame Entwicklung der VdS 6023 zu diesen zwei Normen: VDE 0100-712 mit Lichtbogendetektion, Moduloptimieren und Batteriespeichern, sowie E DIN EN 63027 (VDE 0126-27) mit Gleichstrom-Lichtbogenerfassung und -unterbrechung in photovoltaischen Energiesystemen.
Noch ein Hinweis zum Status der VdS-Richtlinie. Es handelt sich nicht um eine gesetzliche Anforderung und auch nicht per se um eine allgemein anerkannte Regel der Technik. Für Letzteres müsste sie anerkannt, bekannt, richtig, brauchbar und bewährt sein. Obwohl die Richtlinie also unverbindlich ist, was in der Richtlinie auch explizit benannt wird, wiegt sie dennoch insofern schwer, als ein Versicherer an einem sehr langen Hebel sitzt, wenn er aufgrund der Richtlinie den Fortbestand einer Gebäudeversicherung einschränkt oder gar verweigert. Im „Kleingedruckten“ einer Versicherungsbedingung kann sie vertraglich vereinbart werden. In einem solchen Fall müsste sie vollumfänglich zur Anwendung kommen.
Anhang A: Dachaufbauten Brandeigenschaften
Dieser Anhang bietet eine grobe Orientierung über die Wahrscheinlichkeit einer selbstständigen Brandausbreitung bei einigen gängigen Dachabdichtungen und Dachdämmungen. Die Risikoeinschätzung obliegt dem Versicherer. Auch hier besteht die Gefahr einer Überbewertung der gewählten Darstellung. Es wird nicht zwischen den Wahrscheinlichkeiten einer selbstständigen Brandausbreitung und einer Brandentstehung selbst unterschieden. Für eine Risikoeinschätzung müsste aber beides bewertet werden. Es verwundert, dass die Versicherungswirtschaft ein Risiko minimieren will, was sie nicht kommuniziert, denn Statistiken zu Bränden und Brandursachen legt sie bis dato nicht vor. (Stand 11/2023)
Anhang B: Mögliche Defekte an PV-Komponenten
In diesem letzten Teil wird aus einem IEA Report zitiert. Dabei werden ausführlich Defekte beschrieben, die entweder direkt oder zusammen mit einem Folgefehler zu einem Brand führen können. Die Zusammenstellung ist durchaus sinnvoll und hilfreich für Sachverständige in der qualitätssichernden, begleitenden Anlagenabnahme (Inbetriebnahme), bei der wiederkehrenden Prüfung oder der Fehlersuche. Ihr Bezug zur Überschrift der Richtlinie, „Photovoltaik-Anlagen auf Dächern mit brennbaren Baustoffen“, müsste jedoch besser dargestellt werden, dass alle beschriebenen Defekte unabhängig von Dach oder Freifläche und auch unabhängig von der Brennbarkeit der Baustoffe des Daches sind.
Fazit
Lutz Erbe, Sachverständiger in der Schadenverhütung der VGH Versicherungen Hannover, schrieb in der Zeitschrift Elektropraktiker (2/2023) in seinem Fazit unter einem Artikel ebenfalls zur VdS 6023 sehr treffend: „Diese oben genannten Maßnahmen können das Risiko der Brandentzündung durch eine PV-Anlage minimieren. In Abhängigkeit vom konkreten Dachaufbau, Inhalt und Wert des Objektes können von den Versicherungsunternehmen einzelne Maßnahmen oder deren Kombinationen als brandschutztechnische Voraussetzung für die Installation einer PV-Anlage auf einem Gewerbe-/ Industrieobjekt gefordert werden.“ Und genau so sollte die VdS 6023 auch verstanden werden. Damit vor allem Versicherer sich von der Frage lösen, ob PV-Anlagen auf den Dächern überhaupt errichtet werden dürfen, bzw. überzogene Forderungen stellen, empfiehlt es sich insbesondere das erste Kapitel mit verbesserter Zielführung zu formulieren und im dritten Kapitel auf die Einzelmaßnahmen tiefer einzugehen.
OLG Urteil 13 U 20/17
Konkret wird im Urteil die Aussage eines angehörten Sachverständigen folgendermaßen wiedergegeben: „Angesichts des Umfangs der auf dem Dach konkret angeschlossenen Photovoltaikanlage mit 390 Modulen gebe es zahlreiche Schalter, Leitungen und Verbindungsstellen als Gefahrenquellen. Die Zahl der Verbindungen sei bei einer solchen Anlage so groß, dass das Entstehen von Zündquellen zwingend zu erwarten sei.“ Wenn diese Aussage so richtig wäre, müsste man bei jeder PV-Anlage im dreistelligen kWp-Bereich „zwingend“ einen Brand aufgrund der „zahlreichen Schalter, Leitungen und Verbindungsstellen“ annehmen. Bei einer fachgerecht installierten und regelmäßig gewarteten PV-Anlage ist die Aussage schlichtweg falsch. Wobei hier weder dem Sachverständigen noch dem Gericht ein Vorwurf gemacht werden soll, sondern der fehlenden kritischen Auseinandersetzung.
Fußnoten
1) „Leitfaden Bewertung des Brandrisikos in Photovoltaikanlagen und Erstellung von Sicherheitskonzepten zur Risikominimierung“, TÜV Rheinland Energie und Umwelt, Fraunhofer ISE, Branddirektion München, DGS und andere, Juli 2015
2) „Aktuelle Fakten zur Photovoltaik in Deutschland“, Fraunhofer ISE, 27.09.2023
Björn Hemmann