Vom Überfluss zur Knappheit
Teil 3 von 3: Erneuerbare wachsen schneller – energischer Ausbau notwendig: Das Wachstum der Erneuerbaren Energien hat die Prognosen der größten Optimisten übertroffen. Doch selbst das bisherige Ausbautempo wird nicht ausreichen, die absehbare Energielücke bei den konventionellen Energieträgern schnell genug zu schließen. Der Umstieg ist langfristig unumgänglich, aber auch insgesamt umso kostengünstiger, je schneller er erfolgt. Die Politik muss deshalb für Investitionen noch bessere Anreize schaffen, denn der wichtigste Rohstoff der Erneuerbaren ist das Geld.

Die reale Entwicklung der Windenergie übertrifft alle Prognosen bei weitem. Einzig die Prognose von Greenpeace kommt der realen Entwicklung nahe, Bildquelle: Agentur für Erneuerbare Energien

Bisherige Szenarien über den Ausbau Erneuerbarer Energien sind von der Realität oft um ein Vielfaches übertroffen worden. Das zeigt, was politischer Wille und geeignete Rahmenbedingungen bewirken können und wie sehr das Potenzial und die Geschwindigkeit technischer Entwicklungen unterschätzt wurden, Bildquelle: Agentur für Erneuerbare Energien
In den beiden vorangegangenen Teilen dieser Serie wurde die bereits begonnene Verknappung fossiler Energierohstoffe beschrieben. Fasst man die Analysen zu Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran zusammen, stehen wir kurz vor dem Scheitelpunkt der konventionellen Energieversorgung innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre. Erstmals in der modernen Industriegeschichte reichen diese Energieträger nicht mehr aus, um ein Wirtschaftswachstum anzutreiben, das unsere Ökonomie stabilisiert.
Gleichzeitig befinden sich die Erneuerbaren erst am Beginn ihres Wachstums. Sie können die Lücke aus steigendem Verbrauch und sinkender Verfügbarkeit fossiler Energieträger nur dann rechtzeitig schließen, wenn ihr Wachstum über alle bisherigen Szenarien hinaus beschleunigt wird. Prinzipiell folgt der Ausbau Erneuerbarer Energien der klassischen Wachstumskurve bei der Einführung neuer Technologien in drei Phasen:
- Zuerst die Anlaufphase mit einem relativ langsamen Wachstum, in der viel Entwicklung stattfindet, um die Techniken massentauglich zu machen und die Voraussetzungen für schnelles Wachstum zu schaffen.
- Danach folgt ein sich rasch beschleunigendes exponentielles Wachstum mit Massenproduktion.
- Mit Erreichen eines hohen Marktanteils, geht die Entwicklung dann in eine Sättigung über.
Der Klimaschutz greift zu kurz
Leider wurde die Erschließung der unbestritten einzigen langfristigen und unerschöpflichen Energiequellen über viele Jahre behindert statt gefördert. Erst der Klimaschutz gab den Erneuerbaren die notwendige Aufmerksamkeit. Dabei greift das Umweltargument zu kurz. Zu befürchten ist, dass die Frage der ausreichenden Verfügbarkeit von Energie schon bald die ökologischen Aspekte in den Hintergrund drängen wird. Die Verknappung fossiler Energien könnte zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Konflikten bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen. So warnt auch die Internationalen Energieagentur vor einer akuten Ölklemme, die jede wirtschaftliche Erholung in den nächsten Jahren zunichte machen könnte und gibt zu, dass man sich in der Vergangenheit über den Rückgang der Erdölförderung geirrt habe.
Die konventionelle Energiewirtschaft kann kein Interesse an einer realistischen Einschätzung der Ressourcensituation haben, denn wenn klar ist, dass wir vor einer absehbaren Verknappung stehen, findet der Umstieg aus rein ökonomischen Gründen viel schneller statt, als dies aufgrund des Rückgangs von Öl, Gas und Kohle ohnehin notwendig sein wird. Die Folge: Ein schneller Umstieg bedroht Geschäftsmodelle und Einnahmen der alten Energieindustrien. Der Umstieg auf Erneuerbare wird aber insgesamt umso kostengünstiger, je ambitionierter er erfolgt, auch weil die neuen Technologien sich dann umso schneller verbilligen, durch Massenproduktion und technischen Fortschritt.
Wind wächst schneller als erwartet
Dass dies plausibel ist, zeigen zwei Analysen der Energy Watch Group (EWG). Zentrale Erkenntnis: Erneuerbare Energien können viel schneller viel mehr zur Energieversorgung beitragen als oft vermutet wird – aber genau das muss gewollt werden. Schon bisher übertraf das Wachstum selbst die Hoffnungen der Optimisten. Rudolf Rechsteiner, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der EWG und Schweizer Parlamentarier, untersuchte das am Beispiel der Windenergie. In den 80er Jahren hatte es noch jeweils sechs Jahre gebraucht, bis sich die installierte Gesamtleistung verdoppelte. Seit 1998 sind es im Mittel nur noch drei Jahre. Im Jahr 2008 wurden erstmals 100.000 Megawatt installierte Leistung überschritten. Schreibt man das weltweite Wachstum der Windenergie und der Stromnachfrage fort, wird ab dem Jahr 2019 mehr als die Hälfte aller weltweit neu gebauten Kraftwerksleistung in Windkraftanlagen installiert. Schon bis 2037 könnten die Erneuerbaren Energien aus Sonne, Wind und anderen Quellen sogar die vollständige Stromversorgung weltweit übernehmen, wenn die Entwicklung ungebremst weitergeht.
Bereits heute kann in vielen Regionen eine Kilowattstunde Windstrom für 6 bis 8 Eurocent erzeugt werden, an sehr guten Standorten sogar für noch weniger. Damit ist Windenergie unter neuen Kraftwerken häufig die günstigste Stromerzeugungstechnik. In den letzten 25 Jahren wuchs die Produktivität von Windturbinen um das Hundertfache und die durchschnittliche Leistung einer einzelnen Turbine um über tausend Prozent. Internationale Konzerne wie General Electric, Siemens, Areva, Alstom und Suzlon sind in die Technologie eingestiegen, ihnen folgt eine wachsende Zahl chinesischer Unternehmen.
Globales Ausbauszenario für Strom und Wärme
Das Institut ISUSI hat für die EWG im „Renewable Energy Outlook REO-2030“ die Ausbaumöglichkeiten in den Bereichen Strom und Wärme im Rahmen eines bislang einzigartigen Szenarios näher untersucht. Dieses Szenario ist keine Prognose. Es zeigt also nicht auf, was eintreten wird, sondern was unter bestimmten Bedingungen möglich wäre: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien kann sehr viel schneller und mit deutlich geringeren Investitionen erfolgen, als manche glauben. Vertreter der untersuchten Energiesparten halten selbst das ambitioniertere der beiden im REO-2030 ausgeführten Szenarien für sehr zurückhaltend und kritisieren, dass viel versprechende Technologien, die gerade in der Entwicklung stecken, noch gar nicht berücksichtigt seien.
Definiert wurden Investitionsbeträge pro Kopf der Bevölkerung, unterschieden nach den Regionen der Welt. Die getroffenen Annahmen führen im Jahr 2030 zu einem Anteil der Erneuerbaren Energien an der Gesamtversorgung mit Elektrizität und Wärme von mindestens 29 Prozent. Der Deckungsgrad beim elektrischem Strom ist dabei höher als der bei der Wärme. So liegt der Erneuerbaren-Anteil im Jahr 2030 für den Wärmebereich bei 16 Prozent gegenüber 62 Prozent für den Strom, von dem die Windkraft knapp die Hälfte liefert.
Das erscheint zunächst wenig, doch wurden für den Energieverbrauch die unrealistischen Annahmen „World Energy Outlook“ der Internationalen Energieagentur (IEA) entnommen, obwohl die EWG nicht davon ausgeht, dass konventionelle Energieträger im dafür erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen werden. Bezieht man deshalb die Anteile auf den derzeitigen Verbrauch weltweit, ergibt sich schon ein Anteil von über 40 Prozent der Erneuerbaren im Jahr 2030.
Hoher Deckungsgrad, moderate Investitionen, geringe Energiekosten
Derartig hohe Deckungsgrade bei vergleichsweise moderaten Investitionssummen wurden selbst von den Wissenschaftlern der Energy Watch Group nicht erwartet. Das heißt: Mit politischem Willen ließe sich mehr erreichen. Und: Sollte der Energieverbrauch nicht steigen, sondern stabilisiert oder gesenkt werden, wäre auch noch schneller mehr erreichbar.
Mehr als drei Viertel der Deutschen wünschen sich eine Vollversorgung aus Erneuerbaren Energien. Zugleich aber zweifelt die Hälfte der Bundesbürger an der technischen Realisierbarkeit dieses Ziels. Die Professoren Mark Z. Jacobson and Mark A. Delucchi von den US-Universitäten Stanford und Davis untersuchten die Machbarkeit und Kosten einer vollständigen Umstellung der weltweiten Energieversorgung auf Erneuerbare Energien 1). Ergebnis: Innerhalb von zwanzig Jahren könnten Sonne, Wind- und Wasserkraft den gesamten Verbrauch decken. Die Umstellung auf strombasierte Systeme würde dabei aufgrund der höheren Effizienz rund ein Viertel des prognostizierten Verbrauchs einsparen.
Die Autoren legten besonderen Wert darauf, nur die ökologisch vorteilhaftesten Energiequellen zu berücksichtigen. Trotzdem liefern in dem Szenario die meisten schon nach zehn Jahren billiger Energie als ihre konventionellen Vorgänger. Die Umstellungskosten summieren sich auf 100.000 Milliarden US-Dollar. Demgegenüber stehen im selben Zeitraum fossil-atomare Brennstoffkosten in Höhe von mindestens 110.000 bis 155.000 Milliarden US-Dollar, wie Dr. Werner Zittel für die Energy Watch Group ermittelte 2).
Auch andere in letzter Zeit veröffentlichte Analysen weiterer Institutionen bestätigen diese Erkenntnis, dass der schnelle und konsequente Umstieg auf Erneuerbare Energien insgesamt billiger ist als die Fortsetzung des Bisherigen. Die Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien ist damit längst kein umweltpolitisches Wunschprogramm mehr, sondern wirtschaftspolitische Notwendigkeit.
Kein Wettbewerb mit Energieeffizienz
Wer glaubt, Energieeinsparung und deren effiziente Nutzung wären der Schlüssel zur Energiewende und müsste somit Vorrang haben, übersieht die perfekte Synergie beider Ansätze. Energie, die nicht verbraucht wird, muss natürlich nicht bereitgestellt werden. Aber die Erneuerbaren Energien konkurrieren gar nicht mit Einsparinvestitionen, sondern können und müssen gleichzeitig mit diesen umgesetzt werden, nämlich dort wo heute Energie verschwendet wird. Das sind in erster Linie die Industrieländer mit ihren energiefressenden Industrien und Konsumwirtschaften. Auch deshalb will die Europäische Union im Rahmen ihrer Klimaschutzziele bis zum Jahr 2020 den Energieverbrauch um 20 Prozent reduzieren.
Vielfach behindern aber Subventionen für die alten Energien nicht nur den Umstieg auf Erneuerbare, sondern vor allem mehr Effizienz in der Nutzung. Gerade in Schwellenländern wird der Verbrauch von Energie in gut gemeinter „Entwicklungshilfe“ hoch subventioniert. Dabei sind Energiesubventionen das wirkungsvollste Hindernis für Energieeinsparung. Nur wo Energiepreise wenigstens die wahren Kosten widerspiegeln, gehen Verbraucher sparsam damit um.
Langfristig ist Energieeinsparung schlicht eine rechnerische Frage. Fast keine Effizienzmaßnahme ist kostenlos, während die Erneuerbaren Energien immer billiger werden. Im Einzelfall ist also immer zu rechnen: Was ist billiger, die Investition in erneuerbare Energiebereitstellung oder die Investition in Energieeinsparung? Und schließlich verbraucht die Herstellung verbrauchsärmerer neuer Produkte und Einspartechnologien selbst auch Energie. In der Übergangsphase zu den Erneuerbaren Energien sollte der sparsamere Umgang mit Energie immer besonders im Blick bleiben, jedoch nicht alternativ, sondern gleichzeitig mit dem Ausbau der Erneuerbaren.
Der entscheidende Rohstoff ist das Geld
Die entscheidenden Widerstände gegen die Erneuerbarer Energien haben strukturelle Gründe, denn die Erneuerbaren Energien unterscheiden sich von den rohstoffgebundenen Energien auch durch ihre Finanzierungsstruktur. Diese Widerstände müssen durch politische Maßnahmen und andere Rahmenbedingungen aufgelöst werden. Der Ausbau der Energiegewinnung aus Wind, Sonne, Biomasse und Erdwärme ist nämlich nicht durch den Umfang von Lagerstätten begrenzt wie bei Kohle, Öl, Gas und Uran, sondern hauptsächlich von den Investitionen in die Energiegewinnungs-Anlagen abhängig.
Ob die Ausbaumöglichkeiten schnell genug genutzt werden, ist nicht in erster Linie eine Frage der Potenziale oder der Technologien, sondern abhängig vom politischen Willen und von den Investitionsbedingungen. Das deutsche Erneuerbare-Energien-Gesetz zeigt, wie effektiv der Ausbau beschleunigt werden kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Und es zeigt, dass Prognosen, die sich am augenblicklichen technischen und wirtschaftlichen Potenzial orientieren, viel zu pessimistisch sind, denn: Sie unterschätzen bei weitem die Macht politischer Rahmenbedingungen, die Dynamik der Massenfertigung und den Entwicklungseifer der Ingenieure.
Thomas Seltmann