Der Ball ist rund - das Atom auch
Fußball und Kernkraft – eine knallige Verbindung: Jogis Jungs haben bekanntlich das Beste aus der WM-Reise nach Südafrika gemacht: Am Ende belegten sie den dritten Platz beim FIFA-World-Cup 2010. Ohne jegliches Elfmeterschießen. Und nicht einmal in die Verlängerung ging Team Deutschland. Dabei hatten sich die Berliner Kernkraft-Lobbyisten vom Deutschen Atomforum (DAF) ausdrücklich gewünscht: „Wir wollen Verlängerung! Spannung pur, Unentschieden, Verlängerung: Wer fit ist, der hat kein Problem mit einer Verlängerung.“ So konnten Fußballfans am 4. Juli in einer DAF-Werbung lesen. Auf dem Bild: Vier eher erschreckt schauende Menschen um die 20; eine junge Frau zeigte das V-Zeichen für „Victory“ („Sieg“).
Wer nicht nachdenkt, könnte diese Werbung einfach abhaken. Nach dem Motto: Die Nationalkicker sind eben besser, als DAF vermutet hatte. Vielleicht war die DFB-Kicktruppe auch deshalb so erfolgreich, weil sie im Schnitt gerade mal gut 25 Jahre alt war, könnte man meinen.
Doch so einfach geht das nicht. Denn das DAF-Team führt anderes im Schilde als Fußball: „Unsere Kernkraftwerke. Im Durchschnitt 28 Jahre jung und bereit für große Taten“, lautete der zweite Teil des Atom-Werbespruchs vom 4. Juli. „Die brauchen scheinbar immer länger, bis sie begriffen haben, dass das Spiel zu Ende ist“, fiel mir spontan dazu ein.
Hätten die DAF-Strategen sich nur den alten, teilweise wohl abgekupferten „Verlängerungs-“Werbespruch richtig und ganz bis ans Ende angehört. Darin fragte einst ein Schiri das Publikum: „Wollt Ihr Verlängerung? Wollt Ihr Elfmeterschießen? Was wollt Ihr dann?“ Die Antwort lautete schon damals „Maoam“ und nicht „AKW“. Und die wäre wohl auch heute so. Bekanntlich hält eine große Mehrheit in diesem, unserem Lande nichts von Verlängerung – vor allem bei Kernkraft.
Kurz vor der Fußball-WM hatte die DAF ihre Reklame-La-Ola angepfiffen mit Motiven, die an Mannschaftskabine oder Stadion erinnerten. „Das Zusammenspiel muss stimmen!“ hieß die erste Anzeige, geschmückt mit einer Taktiktafel. Dann folgten Kickerweisheiten wie „Der Ball ist rund“ oder „Bereit für große Taten.“
Am 26. Juni reichte es Theo Zwanziger: Weil sich der Deutsche Fußballbund DFB nicht gerne von Lobbyisten einspannen lässt, schon gar nicht ungefragt, schickte der DFB-Präsident dem Forum eine „Unterlassungsverpflichtungserklärung“ zu. „Die Nutzung der Kernkraft und gerade auch die Verlängerung der Laufzeiten werden öffentlich kontrovers diskutiert. Wir als Fußballverband können in dieser Diskussion keine Stellung beziehen“, begründete Zwanziger den juristischen Gegenangriff.
Die bayerisch-fränkische Sportreporter-Legende Günther Koch unterstützte den DFB: „Der Fußball ist stark genug, sich nicht von Lobbyverbänden den Ball abnehmen und deren Spiel aufzwingen zu lassen.“
Der DFB-Konter blieb zunächst ohne Wirkung. Erst nachdem der DFB juristische Schritte angedroht hatte, versicherte DAF den Fußballern, die vier kritisierten Anzeigen nicht mehr zu verwenden. Dann zogen sich die Kontrahenten in ihre Kabinen zurück.
Doch egal, wie lang die Pause dauert, die DAF-Kicker werden an ihrem Werbeangriff wenig Freude haben. Mit Günther Koch bin ich sicher: „Auch Fußballer und Fußballanhänger sind durchaus kluge Leute mit gesundem Menschenverstand.“
Oder wie es Grünen-Chefin Claudia Roth ausdrückt: „Weil die Atomkraft eine Technologie von vorgestern ist. Ganz im Gegenteil zur Spielweise des deutschen Teams: Neue Optionen und Taktiken haben sich klar durchgesetzt: Die durchsetzungsfähige Strategie für die Zukunft. Ein Vergleich mit den Erneuerbaren Energien liegt hierbei wahrlich näher.“
Für die vier ersten, vom DFB kritisierten Werbesprüche stellte der Atomverein vier neue Anzeigen im Web: „Die Mischung machts!“ – „Da, wenn’s drauf ankommt!“ – „Weltklasse!“ – und eben: „Wir wollen Verlängerung!“ Laut Fußballbund „sind die Rechte des DFB mit diesen aktuellen Motiven des DAF nicht betroffen.“
Und das, obwohl beispielsweise bei „Die Mischung machts!“ zu lesen ist: „Technik, Flexibilität und Ausdauer. Wie im Fußball kommt es auch bei der Energieversorgung auf die richtige Mischung an. Unverzichtbarer Bestandteil im Energiemix: Die Kernenergie“.
Für Josef Göppel eine Verdrehung der Tatsachen: „Deutschland kann auf acht alte und damit besonders störungsanfällige Atomkraftwerke verzichten – und hätte selbst dann noch eine ausgeglichene Bilanz“, hat der CSU-MdB aus dem Wahlkreis Ansbach ausgerechnet. Denn die vielzitierte „Stromlücke“ sei eine Schimäre: „Deutschland hat im ersten Quartal 2010 6,7 Prozent mehr Strom erzeugt als verbraucht“ – so viel, wie die sechs „durchschnittlich 28 Jahre jungen“ Reaktoren Biblis A und B, Neckarwestheim I, Isar 1, Philippsburg 1 und Grafenrheinfeld erzeugen.
Aber altes Denken stirbt scheinbar nie aus. Und zumindest bei Göppels Fraktionsfreunden von Guttenberg bis Merkel haben die DAF-Lobbyisten ja scheinbar genug Freunde, um ihre Atomspielchen weitertreiben zu können. Aber vielleicht schreiten ja Respektspersonen ein. Was beim Fußball das Schiedsrichtergespann, ist bei Atomkraft das Bundesverfassungsgericht.
Heinz Wraneschitz