Schöner Schein
Green-Washing: Politik und Wirtschaft missbrauchen Erneuerbare Energien zur Imagepflege. Wie die grüne Kosmetik funktioniert und welche Folgen sie hat.
Das grüne Gewissen hat die Steckdose erobert. Ökostrom ist gefragt wie nie: 2008 stieg laut Fachzeitschrift Energie & Management die Nachfrage nach grüner Energie in Deutschland um 150 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ein Ende des positiven Trends ist nicht absehbar. Nach einer Umfrage von TNS Infratest aus dem vergangenen Jahr wollen 92 Prozent der Deutschen, dass der von ihnen genutzte Strom die Umwelt schont. Mehr als die Hälfte von Ihnen sind bereit, für klimafreundlichen Strom mehr zu zahlen.
Strom aus erneuerbaren Energien hat sein Müsli-Image abgelegt und ist inzwischen Mainstream. Was läge für Unternehmen und Politiker näher, als sich politisch korrekt mit grüner Energie zu schmücken. Klimafreundlich zu sein, verspricht Umsatz und Wählerstimmen. Wie sich beides perfekt kombinieren lässt, zeigt das Beispiel des im November aus dem Amt scheidenden, kalifornischen Gouverneurs Arnold Schwarzenegger. Der ehemalige Schauspieler hat aus dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat ein amerikanisches Zentrum für erneuerbare Energien gemacht. Allein die Liebe zur Natur hat ihn nicht zu diesem Schritt getrieben.
Während sich in Kalifornien trotz PR-Getöse tatsächlich etwas bewegt hat, bleibt es in anderen Regionen, Unternehmen oder Organisationen oft nur bei einem Feigenblatt. Für Verbraucher und Wähler ist kaum zu unterscheiden, ob es sich um einen ernsthaften Einsatz für die Umwelt handelt oder nur um Etikettenschwindel. Schuld daran sind Heerscharen von Marketingexperten, die Parteien und Konzernen einen grünen Anstrich verpassen. Fachleute nennen dies Green-Washing. Was vorher grau und schmutzig war, erstrahlt nach dem Werbe-Waschgang in grünem Glanz.
Geschickt nutzen die Imagekosmetiker einzelne Projekte, Produkte und Kampagnen, in der Hoffnung, der klimafreundliche Glanz wird alle Schattenseiten überstrahlen. Gerne greifen sie dabei auf erneuerbare Energien zurück. Ein Beispiel: Der US-Handelsriese WalMart kämpft seit Jahren mit dem Negativ-Image eines Ausbeuters und Umweltfrevlers. Um diesen schlechten Ruf loszuwerden, lässt der Konzern auf die Dächer einiger Supermärkte Solaranlagen schrauben. Die sollen 30 Prozent des Stromverbrauchs decken.
Auf den ersten Blick sieht alles vorbildlich aus: WalMart als Umweltpionier unter den Discountern. Bei näherem Hinsehen ist es kaum mehr als ein PR-Gag. Nur ein geringer Prozentsatz der Supermärkte nutzt Solarstrom und selbst wenn, stammt mehr als die Hälfte des Stroms aus konventionellen Kraftwerken.
Besonders pikant ist, dass die Solaranlagen für WalMart vom Ölkonzern BP stammen. Der Energieriese wirbt selbst mit seinen Tochterunternehmen, die ihr Geld mit Ökostrom machen. Der Slogan „Beyond Petroleum“ wabert durch unzählige BP-Werbespots. Dabei ist der grüne Ableger des Ölmultis ein Zwerg im Vergleich zum Hauptgeschäft mit Öl und Gas. 2008 machte BP 367 Milliarden Dollar Umsatz. Im gleichen Jahr investierte das Unternehmen lediglich 1,2 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien.
Das bisschen grüne Farbe kann nicht verdecken, dass BP in der Vergangenheit fahrlässig mit der Umwelt umgegangen ist. 2006 kam an die Öffentlichkeit, dass der Ölkonzern eine Pipeline zu einem Ölfeld in Alaska verrotten ließ. Aus den undichten Leitungen gelangte Öl ins Ökosystem des nördlichsten US-Bundesstaates. Ein Jahr zuvor starben 15 Menschen bei einer Explosion in einer texanischen Raffinerie des BP-Konzerns. Weitere 170 Menschen wurden verletzt. Ein unabhängiger Untersuchungsbericht kam zu dem Schluss, dass der Betreiber nachlässig bei der Wartung der Anlagen war. Green-Washing hat längst auch Deutschland erreicht. Ebenso wie BP nutzen auch die großen deutschen Versorger das grüne Label der erneuerbaren Energien. So wirbt RWE in gefühligen TV-Werbespots mit ökologisch korrekten Gezeitenkraftwerken. Die sind jedoch derzeit allenfalls angedacht. Noch fließt nicht ein Kilowatt Strom aus dem Meer. Im Gedächtnis der Fernsehzuschauer bleibt stattdessen der Eindruck, RWE sei ein Energiekonzern mit grünem Gewissen.
Die Wirklichkeit ist weit weniger grün: 2008 erzeugte der RWE-Konzern insgesamt 216 Milliarden Kilowattstunden, davon stammten nur 2,4 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Verglichen mit den 14,8 Prozent Anteil für Ökostrom insgesamt in Deutschland, ist das RWE-Engagement geradezu lächerlich. Statt klimafreundlich vorweg zu marschieren, ist RWE der größte CO2-Erzeuger Europas. Hauptgrund dafür sind die Kohlekraftwerke des Konzerns.
PR-Aktionen wie die von RWE lassen sich noch vergleichsweise einfach enttarnen. Viel schwieriger wird es, wenn es sich scheinbar ausschließlich um Ökostrom handelt. Anders als viele Stromkunden vermuten, ist nicht überall wo „Öko“ drauf steht, auch „Öko“ drin. Oft ist nur das Etikett grün. Grund dafür ist der für Laien schwer zu durchschauende, internationale Energiehandel. Seit 2002 dürfen Versorger Ökostrom in zwei Bestandteile aufspalten und getrennt vermarkten. Die physische Energie geht als konventioneller Strom an die Börse, das virtuelle Öko-Prädikat wird als RECS-Zertifikat an andere Energiekonzerne verkauft. Die dürfen dann beispielsweise Kohlestrom als Ökostrom mit Hilfe der gekauften Zertifikate umetikettieren und auch so an den Endkunden verkaufen.
Der Etikettenschwindel ist nicht der einzige Nachteil des RECS-Systems. Weil skandinavische Wasserkraftwerke, die RECS-Zertifikate verkaufen, derzeit mehr Ökostrom erzeugen, als nachgefragt wird, besteht kein Anreiz, die erneuerbaren Energien in Europa auszubauen. Die Ökostrom-Zertifikate zu kaufen, ist für die Energiekonzerne billiger, als in Solar- oder Windkraftanlagen zu investieren.
Das geschickte Hantieren mit Etiketten beherrschen nicht nur die Energiekonzerne, sondern auch die Macher in der Politik. 2007 versuchte beispielsweise Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy Atomstrom in eine erneuerbare Energie umzuwidmen. Mit diesem Trick wollte er die für das EU-Mitglied Frankreich vorgeschriebene Quote für Ökoenergie ohne ein zusätzliches Windrad oder eine neu installierte Solarzelle erreichen. Lediglich sieben Prozent der verbrauchten Energie stammten zu dem Zeitpunkt aus erneuerbaren Energien. Sarkozy kam mit seinem Vorstoß zwar nicht durch, aber Frankreich durfte sich die mit den Atommeilern vermiedenen CO2-Emissionen auf die nationalen Klimaziele anrechnen lassen. Folge: Die anderen EU-Staaten müssen umso Treibhausgase einsparen, um die EU-Klimaziele zu erreichen.
Auch in Deutschland gibt es immer wieder Versuche, Atomstrom in grüne Energie zu verwandeln. So schrieb 2008 der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla auf der Internetseite seiner Partei: „Hinter verschlossenen Türen geben Grüne zu, dass wir auf absehbare Zeit nicht um die Ökoenergie Atom herumkommen und dass es sinnvoll ist, sichere Kernkraftwerke länger laufen zu lassen.“ Kernenergie vermeidet zwar CO2-Emissionen, ist aber unter dem Strich alles andere als nachhaltig. Der Rohstoff Uran ist endlich und die sichere Endlagerung des Atommülls ist keinesfalls geklärt. Viel mehr geht von unsachgemäßen Endlagern wie Asse eine große Gefahr für kommende Generationen aus. Experten schätzen die Sanierungskosten für das Atommülllager Asse auf etwa zwei Milliarden Euro.
Green-Washing diskreditiert ernsthaften Klima- und Umweltschutz. Jede scheinheilige PR-Aktion bringt die erneuerbaren Energien insgesamt in Verruf. Es ist nicht verwunderlich, wenn Steuerzahler den Eindruck bekommen, es handele sich beim Einsatz für Ökoenergie lediglich um eine teure Werbeveranstaltung der Politiker, die sich einen grünen Heiligenschein verschaffen wollen. Wählern und Verbrauchern bleibt nichts anderes übrig, als das Marketing von Unternehmen und Parteien kritisch zu hinterfragen.
Martin Gerth