Infrastrukturtypen und Kommunikationsrollen
Die Netzintegration von Elektrofahrzeugen, Teil 6: Im letzten Teil dieser Serie wurde das Konzept der öffentlichen Stromstelle vorgestellt und es wurden einigen Aspekte aufgeführt, aus denen sich die Notwendigkeit eines im Fahrzeug integrierten Stromzählers ableitet. Zuvor haben wir die technische Vielfalt der Energieübertragung in das E-Fahrzeug dargelegt und vor allem auch den Unterschied zwischen dem Konzept des „Strom tankens“ und der „Netzintegration“ beschrieben. Diese Konzepte sollen hier nun vor dem Hintergrund der Kommunikation und Abrechnung noch einmal aufgegriffen werden.
Die Herausforderung
Es lohnt, sich hin und wieder das eigentliche Problem vor Augen zu führen. Ansonsten läuft man Gefahr mit einer vermeintlichen Lösung an den Anforderungen der Realität vorbeizulaufen.
Stellt man sich die elektrische Mobilität der Zukunft vor, so könnte ein — sicherlich extremes aber dennoch sehr interessantes — Nutzungsbeispiel für Elektrofahrzeuge wie folgt aussehen: Eine Familie reist mit dem Zug von der Innenstadt einer Metropole an einen Verkehrsknotenpunkt der Bahn. Auf den dortigen „Park-und-Ride“-Stellflächen, einem öffentlichen Raum, parken unter anderem auch die E-Autos des Mobilitätsanbieters, mit dem es zum geplanten Urlaubsort gehen soll. Die Leihfahrzeuge hängen dort an den gleichen öffentlichen Stromstellen, wie auch die anderen dort geparkten E-Autos.
Vom Bahnhof geht es mit dem Leih-E-Mobil auf der Autobahn in Richtung Berge. Aufgrund der Entfernung muss das Fahrzeug unterwegs noch einmal kurz an einer gewerblichen Autobahn-Stromtankstelle nachgeladen werden. Der Zielort ist eine Almhütte hoch oben in den Bergen, fern ab von jeglicher Infrastruktur. Die Energieversorgung der Alm erfolgt durch eine private Inselnetzanlage. Eine Solarstromanlage wird dort vom Hauseigentümer im Zusammenspiel mit einem Blockheizkraftwerk betrieben.
Im Idealfall kann das E-Mobil an all diesen Orten mit elektrischer Energie versorgt werden. Doch selbst wenn überall der gleiche technische Stromanschluss vorliegt (z.B. 400V-AC-dreiphasig) wird sich das Fahrzeug an jedem dieser Orte anders verhalten müssen, denn es liegen immer andere ökonomische und technische Rahmenbedingungen vor. Somit wird sich auch die Art und der Inhalt der Kommunikation unterscheiden.
Infrastrukturtypen
Das obige Beispiel einer fiktiven Urlaubsreise zeigt die drei unterschiedlichen Typen von elektrischer Infrastruktur in ihrem jeweiligen Umfeld. Jeder Typus hat seine Berechtigung und wird auch seinen Nutzerkreis finden. Im Zusammenhang mit der Thematik des Fahrstromzählers in unserem letzten Teil der Serie wurden die drei Typen bereits indirekt vorgestellt. Nun betrachten wir sie etwas genauer und vor allem unter ökonomischen Strukturaspekten. Wir unterscheiden folgende drei Typen:
- Privat – versorgt die eigenen Fahrzeuge.
- Gewerblich — versorgt die Fahrzeuge der Kunden
- Öffentlich — steht jedem Fahrzeug zur Verfügung
Private Infrastruktur
Die Gründe für den Bau von privater Ladeinfrastruktur können vielfältig sein. Meist haben sie aber damit zu tun, dass der Eigentümer dieser Steckdose — und mehr wird es in den meisten Fällen nicht sein — selber ein E-Fahrzeug benutzt. Die Infrastruktur steht in der Regel auf dem Grund und Boden des Autobesitzers.
Von „Privat“ reden wir in diesem Zusammenhang auch dann, wenn es sich etwa um ein Unternehmen handelt, das seine eigenen elektrischen Lieferfahrzeuge aufladen möchte. Auch die Ladeinfrastruktur von Car-Sharing-Unternehmen ist nach dieser Definition als „Privat“ einzustufen. Im Vordergrund steht immer die Mobilität. Der Betrieb der Infrastruktur ist reines Mittel zum Zweck.
Die Kommunikation wird hier vor allem Aufgaben des Fuhrparkmanagements erfüllen müssen oder dem lokalen Energiemanagement dienen. Sie muss hierzu primär mit der vor Ort üblichen Unternehmensverwaltung oder der jeweiligen Haustechnik abgestimmt werden.
Wenn es ein Lastmanagement gibt, dann wird es sich nach den lokalen, für den Eigentümer geltenden Energiepreisen richten. Hat er z.B. ein eigenes Blockheizkraftwerk oder eine Solarstromanlage, so wird er sein Ladeverhalten eher an diesen Betriebsmitteln ausrichten als nach dem Strompreis an der Leipziger Strombörse.
Der Merksatz beim Typ „Privat“ lautet: „Meine Infrastruktur auf meinem Boden liefert meinen Strom für meine Elektrofahrzeuge“.
Gewerbliche Infrastruktur
Wenn ein Unternehmen gewerbliche Ladeinfrastruktur errichtet, so muss hier vom Grundsatz die Gewinnmaximierung im Vordergrund stehen. Auch wenn heute das übliche „Geschäftsmodell“ vorwiegend der werbewirksamen Präsentation des Investors und fast nie dem Vertrieb von Fahrstrom gilt, so ist unausweichlich, dass sich dies in Zukunft ändern muss. Denn sobald die reine Effekthascherei ihre Wirkung nicht mehr erzielt, muss sich der weitere Ausbau der Struktur durch den Absatz von Waren (z.B. Fahrstrom) finanzieren. Gelingt dies nicht, so ist „gewerbliche“ Infrastruktur auf Subventionen des Staates oder der Kommunen angewiesen und kann damit auch nicht mehr als „gewerbliche“ Unternehmung betrachtet werden.
Auch wenn der Infrastrukturtyp „Gewerblich“ nicht auf eine bestimmte Technik beschränkt ist, wird er sich am ehesten im Bereich der Schnellladung darstellen lassen. Wer nicht lange warten will, der ist bereit einen höheren Preis zu bezahlen. Um den Durchsatz, und damit auch den Gewinn, zu maximieren wird man hier hohe Ladeleistungen anstreben, um so die Verweildauer des einzelnen Fahrzeuges zu verkürzen. Damit bewegt sich dieser Typ ganz klar im Bereich „Strom tanken“. Ohne große lokale Pufferakkus hat diese Technik somit auch keinen Vorteil für die Integration von Erneuerbaren Energien, weil sie keine zeitliche Verlagerung der Lasten erlaubt.
Das Thema „Management“ wird hier primär unter dem Aspekt der Parkplatzverwaltung ablaufen. Kunden sollen solche Schnelllade-Parkplätze im Vorfeld buchen können. Zusätzlich sollen andere, kostenpflichtige Angebote im Paket gleich mit angeboten werden: z.B. der schnelle Internetzugang für den mobilen Handelsreisenden, der Tisch im Restaurant um die Ecke, usw.
Gewerbliche Infrastruktur wird sich immer die Standort-„Rosinen“ herauspicken wollen und wird dort zwangsläufig zu einem Infrastrukturmonopol. Man wird versuchen, konkurrierenden Stromanbietern den Zugang nur nach Zahlung einer „Marktabschottungsgebühr“ (Codewort: Roaming) zu gestatten, und der Betreiber wird vor allem auf seine Hoheit über die Abrechnungen achten, denn das ist eines der zentralen Monopole in dem Geschäftsmodell. Hier geht es primär um das „Bezahlen“.
Daraus ergibt sich automatisch, dass auch die in diesem Umfeld erforderliche Kommunikation auf diese zentralen „Mehrwertdienste“ abgestimmt werden muss.
All dies ist — ungeachtet welche Erfolgsaussichten man dem Ansatz in der Praxis einräumt — aus der Sicht der Struktur „gewerbliche Infrastruktur“ legitim, nachvollziehbar und letztlich logisch konsequent.
Der Merksatz beim Typ „Gewerblich“ könnte wie folgt lauten: „Meine Infrastruktur am besten Standort liefert meinen Strom für eure Elektrofahrzeuge“.
Öffentliche Infrastruktur
Das dritte Konzept, die öffentliche Infrastruktur, stellt die größten Anforderungen. Sie befindet sich in der Regel im öffentlichen Raum, womit anders als beim Privatgelände nie eine physische Zugangsbeschränkung möglich ist. Das System ist somit der höchsten Vandalismusgefahr ausgesetzt.
Gleichzeitig verlangen die in Deutschland geltenden Gesetze, dass der Netzbetrieb und der Stromverkauf nicht durch das gleiche Unternehmen erfolgen dürfen („Unbundling“) und zudem der Netzbetreiber jedem Energieversorger die Nutzung seiner Infrastruktur zu den gleichen Konditionen erlauben muss. Eine Marktabschottung ist hier gesetzlich verboten.
Da sich im öffentlichen Parkraum meist sehr viele Stellplätze an einem Ort befinden, gibt es hier ein zentrales Problem. Denn es macht einen großen Unterschied, ob am Sonntag in der Nacht ein einziges E-Fahrzeug mit 20 kW laden will — kein Problem — oder ob am Montag Morgen um 7 Uhr, wenn der Zug der Berufspendler losfährt, schlagartig 100 E-Autos mit je 10 kW laden wollen. Letzteres entspricht der Leistung von einem Megawatt und übersteigt garantiert die maximale Leistungsfähigkeit des regionalen Ortsnetzes. Die Überwachung und Verwaltung der elektrischen Leitungskapazitäten wird hier zur zentralen Kommunikationsaufgabe. Wir sprechen vom aktiven Bandbreitenmanagement im Niederspannungsnetz.
Sind die anderen beiden Infrastrukturtypen eher durch egoistische Interessen motiviert, so steht in der Kategorie „Öffentlich“ das Allgemeinwohl im Vordergrund. Zum einen verbessern die zusätzlichen Stromstellen die Möglichkeiten der Netzintegration von E-Mobilen, was für die Aufnahme von Erneuerbaren Energien von Vorteil ist und somit auch hilft das Stromnetz für alle Bürger (Stromnutzer) stabiler zu machen. Die Kommunen können so dazu beitragen, dass die Klimaschutzziele schneller erreicht und zugleich die Versorgungssicherheit erhöht werden kann.
Auf der anderen Seite kann eine Kommune mit öffentlicher Infrastruktur zentrale Ziele der Stadtentwicklung mitgestalten. Man kann so die Entwicklung des ruhenden Verkehrs lenken, denn E-Fahrzeuge stehen bevorzugt dort, wo auch entsprechende Stromstellen sind. Die Kommune kann die E-Mobilität gezielt in einzelnen Stadtteilen voranbringen, in denen sie bestimmte, stadtplanerische Ziele verfolgt (z.B. der „Null-Emissions-Altstadtkern“).
Für den Infrastrukturtyp „Öffentlich“ wäre ein passender Merksatz: „Unsere Infrastruktur auf unserem Boden liefert jedermanns Strom an jedes beliebige Elektrofahrzeug“.
Semiöffentlicher Raum
Oft taucht in der Debatte auch der semiöffentliche Raum auf. Man versteht darunter Grundstücke, die einen Eigentümer haben (ein Kaufhaus, eine Schule, die Autobahnverwaltung, etc.) aber dennoch genau so wie öffentlicher Raum von jedem Bürger genutzt werden dürfen; zumindest wenn es um das Abstellen von Fahrzeugen geht.
In unseren Überlegungen wird der semiöffentliche Raum aber nicht gesondert behandelt, da er entweder in die Kategorie „Gewerblich“ oder „Öffentlich“ fallen kann, je nachdem, welche Art von Infrastruktur der Grundstückseigentümer dort errichten lässt. Unsere zentrale Forderung ist vor diesem Hintergrund nur, dass der Gesetzgeber dafür Sorge zu tragen hat, dass öffentliche Infrastruktur unter gewissen Auflagen auch im semiöffentlichen Raum errichtet werden darf.
Rollenspiele und Szenarien
In der Bild 2 sind im oberen Systembild die einzelnen Akteure (bzw. Rollen) benannt, zwischen denen eine Kommunikation stattfinden muss. Das Blockbild darunter soll an sechs beispielhaften Szenarien aufzeigen, dass die Rollen sich je nach Infrastrukturtyp in der Realität auf unterschiedliche Weise in den jeweiligen (juristischen) Personen wiederfinden und vor allem auch bündeln können.
- S1: bei einer öffentlichen Infrastruktur auf privatem Grund (z.B. am Bahnhof) ergibt sich im Zusammenspiel mit einem Leasing-E-Mobil, dass einen integrierten Fahrstromzähler hat, das insgesamt komplexeste Gebilde. Jede Rolle entfällt auf einen anderen Spieler und somit herrscht in diesem Szenario das größte Potential für Wettbewerb. Gleichzeitig wird hier das komplexeste Kommunikationssystem benötigt.
- S2: Bei einem Privatwagen fallen Autobesitzer und Autofahrer zusammen. Wenn die Stadtwerke auch noch die Infrastruktur betreiben und der Autofahrer gleichzeitig von dort seinen Fahrstrom bezieht, so reduziert sich die Zahl auf vier Akteure. Aufgrund des Unbundling (Trennung von Stromnetz und Vertrieb) nehmen jedoch die beiden Sparten der Stadtwerke klar getrennte Rollen ein.
- S3: an einer gewerblichen Stromtankstelle, die auf fremden Grund steht, kann es durchaus Wahlfreiheit bei den Energieversorgern geben. Die können wiederum ihre Produzenten frei wählen. Das Messwesen wird die gewerbliche Stromtankstelle jedoch unter eigener Kontrolle behalten wollen.
- S4: Wenn ein Fahrstromversorger seinen eigenen Strom auf seinem Tankstellengelände an die E-Mobile seiner Kunden ausliefert, dann reduziert sich die Zahl der Akteure auf zwei. Da sich der Fahrstromversorger hier nicht im öffentlichen Raum befindet, besteht auch kein Zwang zur juristischen Trennung der einzelnen Bereiche, wie etwa bei S2.
- S5: Carsharing-Anbieter werden meist ihren eigenen Abrechnungsservice anbieten, da der Kunde in der Regel „Zeit“ oder „Entfernung“ bezahlt, aber nicht Strom.
- S6: auf der Almhütte mit Inselnetzbetrieb fallen alle Rollen zusammen. In diesem Minimalszenario können alle Bestandteile optimal und individuell aufeinander abgestimmt werden.
Wozu Kommunikation?
Vor allem das letzte Szenario sollte uns bekannt vorkommen. So wie die Almhütte heute sah die Realität im Jahr 1900 aus. Damals hatte das Elektrofahrzeug noch einen großen Marktanteil. Die Stromnetze waren in der Regel Inselnetze und die Technik befand sich, aus heutiger Sicht, auf einem sehr einfachen Stand. Doch obwohl es keine Computer und kein Internet gab, war man in der Lage, Elektrofahrzeuge aufzuladen und damit die Besorgungen des Alltags zu erledigen. Die Lösungen von damals waren einfach, aber krisenfest.
Technische Kommunikation soll heute vor allem Dinge bequemer und schneller machen. Kommunikation dient nicht nur den Geschäftstmodellen, manchmal ist sie das zentrale Geschäftsmodell. Das Szenario S1 zeigt, dass durch Kommunikation auch maximale Wahlfreiheit entsteht und sich somit der Wettbewerb unter den Marktteilnehmern erhöhen lässt. Das alles erfolgt aber zum Preis von steigender Komplexität.
Das Spielfeld reicht von maximaler Krisenfestigkeit bis zum maximalen Wettbewerb um Komfort und niedrige Preise. Wenn die Kommunikationslösung die beiden Extremfälle lösen kann, so kann man auch alle Zwischenformen abdecken. Wie eine solche Lösung aussehen könnte, soll im nächsten Teil dieser Serie aufgezeigt werden.
Tomi Engel