Die drei Bausteine der technischen Netzintegration
Die Netzintegration von Elektrofahrzeugen, Teil 7: In der letzten Ausgabe dieser Serie wurden die unterschiedlichen Szenarien vorgestellt, in denen ein Ladevorgang erfolgreich ablaufen muss. Die beiden identifizierten Extrembeispiele waren der öffentliche Großparkplatz und die Almhütte ohne Anschluss an das Stromnetz. Sind am Großparkplatz umfangreiche Regelwerke der Energiewirtschaft sowie der entsprechenden Gesetzgebung und Regulierung zu beachten, so gibt es auf der Alm eigentlich keine „harten“ gesellschaftlichen Vorgaben. Wenn der Besitzer der Almhütte Strom hat, dann kann man sein E-Auto aufladen und wenn er keinen Strom hat, dann geht es nicht. Auf der Almhütte wird es vermutlich auch kein Internet und meist auch kein zuverlässiges Mobilfunknetz geben. Digitale Kommunikation zur Aussenwelt darf somit für den eigentlichen Ladevorgang des Fahrzeuges nicht erforderlich sein. Damit ist die Almhütte eigentlich der einfachere Fall, wenn es um die Klärung der zwingend erforderlichen Kommunikationstechnik bzw. der Steuerungssysteme und -verfahren für einen Ladevorgang geht. Technisch entspricht das Inselnetz aber dennoch in sehr vielen Aspekten dem Großparkplatz. Denn im Gegensatz zu den Fragen der Bezahlung des Stroms sind die Gesetze der Physik an beiden Orten identisch. Deshalb werden wir uns gedanklich in diesem Teil unserer Serie erst einmal der Almhütte zuwenden.
Das Stromnetz
Obwohl es uns überall umgibt, ist das Stromnetz und seine Funktionsweise für die meisten Menschen ein Mysterium. Ein relativ gutes Gedankenmodell ist der Vergleich mit einem Wassersystem. Der oft zitierte „Stromsee“ ist als Analogie jedoch weniger hilfreich. Besser ist da das Bild von einem verzweigten Rohrleitungsnetz (Stromnetz) in dem man versucht die Höhe des Wasserstandes (die Stromspannung) auf einem konstanten Niveau zu halten. In diesem Gedankenspiel liegt das Rohrnetz vollkommen waagerecht und ist nie ganz voll. Es gleicht eher einem Kanalisationsnetz als den Trinkwasserleitungen, die immer unter einem Druck stehen.
Ein Stromproduzent erhöht die Spannung (den „Wasserpegel“) und ein Verbraucher reduziert die Spannung. Im Prinzip fließt die Energie (das Wasser) vom „Berg“ ins „Tal“ (siehe Grafik 1). Die Fließgeschwindigkeit entspricht dann der Stromstärke und wenn man diese mit dem Pegelstand multipliziert, erhält man die transportierte Leistung.
Da alle Leitungen miteinander verbunden sind, versucht sich der Pegel immer im gesamten System auf eine einheitliche Höhe einzustellen. Dies erfolgt aufgrund der physikalischen Gesetze und somit ohne jegliches Zutun von Verbraucher oder Produzent.
Doch jedes Leitungsnetz hat einen inneren Widerstand, der immer zu Verlusten führt. Im Wassersystem wäre es die Tatsache, dass je nach Material und Verbindungstechnik die Rohre nie ganz dicht sind und somit immer eine bestimmte Menge an Wasser aus dem System entweichen kann. Im Stromnetz ergibt sich ein Abfallen der Spannung ebenfalls aufgrund eines Widerstandes, doch dieser ist hier abhängig vom gewählten Kabelmaterial und dem Leitungsdurchmesser.
Das Wechselstromnetz
In einem Gleichstromnetz wäre die Wasseroberfläche glatt. Doch es hat für ein großes Stromnetz technische Vorteile, wenn man die Energie nicht gleichmäßig, sondern in einer Wellenform in das System einbringt. Im Wechselstromnetz schwankt somit der „Pegel“ (die Spannung) mit einer bestimmten Frequenz. Der Verbraucher wäre im Gedankenbild nicht einfach nur ein Loch im Rohrnetz, sondern eher ein Ventil, dass durch eine an der Oberfläche schwimmende Boje auf und zu gezogen wird. Die Stromverbraucher sind für eine saubere und klar definierte Welle gebaut worden und damit auch auf diese angewiesen. Für eine saubere Welle müssen jedoch alle Einspeiser im gleichen Takt arbeiten, denn ansonsten arbeiten sie gegeneinander und die Energie würde verpuffen (die Wellen würden sich gegenseitig aufheben).
In unserem Stromnetz herrschen je nach Leistungsebene unterschiedliche Spannungen. Im Hausnetz sind es 230 Volt und im europäischen Verbundnetz 380.000 Volt. Doch überall im ganzen Netz, an jeder Steckdose in ganz Europa, hat man im Normalfall die gleiche Frequenz von 50 Schwingungen pro Sekunde (Hertz).
Frequenzabweichungen
Im Gegensatz zum Wasser, das durch sein Gewicht auch eine Trägheit mit sich bringt, vollziehen sich im Stromnetz alle Änderungen nahezu ohne jede Zeitverzögerung und das selbst über extrem weite Entfernungen.
Während also im Wassernetz ein Ungleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch erst nach einiger Zeit auffällt wird es im Stromnetz sofort sichtbar. Wenn das Angebot größer ist als die Nachfrage, dann erhöht sich die Frequenz, da sinnbildlich weniger Bojen die Wellenausbreitung dämpfen als im Gleichgewichtszustand. Die zweite Variante ist, dass mehr Nachfrage vorliegt als momentan angeboten wird. Hier sinkt dann die Frequenz entsprechend.
Aufgrund der schnellen Reaktion im Stromnetz kann man sagen, dass praktisch zu jeder Millisekunde im ganzen Jahr Angebot und Nachfrage ausgewogen sein müssen. Ist das nicht der Fall, so beginnt die Frequenz vom Sollwert abzuweichen. Grafik 2 zeigt einen typischen Tagesverlauf im Stromnetz. Es fällt auf, dass Frequenzschwankungen absolut normal sind.
Als interessante Randbemerkung sei hier kurz auf die roten Markierungen hingewiesen. Diese zeigen die großen Abweichungen von über 50 Millihertz, die mit einer erstaunlichen Genauigkeit immer zu vollen Stunden auftreten. Der Grund hierfür sind weder die berühmten Kühlschränke, die in der Fernsehwerbepause geöffnet werden und dann schlagartig zu einem Verbrauchsanstieg führen, noch die Windräder, deren Angebot unvorhersehbar zurückgeht, weil „pünktlich zur vollen Stunde“ der Wind mal kurz nicht bläst. Eines der größten Probleme im Stromnetz ist schon lange der Stromhandel und das nicht nur wegen der undurchsichtigen Art in der dort Strompreise manipuliert werden können. Es ist schlicht die Tatsache, dass an den Strombörsen Strom immer für ganze Stundenscheiben gehandelt wird und somit zu jeder vollen Stunden relativ unkoordiniert große Verbraucher und große Erzeugungsanlagen abgestellt oder hochgefahren werden.
Regelenergie und Kommunikation
Damit ein unerwartetes Ungleichgewicht das Stromnetz nicht zum Zusammenbruch bringt, werden sogenannte Regelenergiedienstleistungen bereitgestellt. Verschiedene Akteure verpflichten sich bei Bedarf entweder kurzfristig Strom zu erzeugen oder auf den Verbrauch zu verzichten.
Die gerade im Erneuerbaren System auftretenden Angebotsschwankungen zwischen Sommer und Winter fallen nicht unter den Begriff der Regelenergie. Hier ist eher eine Planung des zu bauenden Kraftwerksmixes erforderlich. Doch sobald man in die Größenordnung von Stunden kommt, beginnt das technisch komplexe Feld der Regelenergie. Einige Details hierzu finden Sie in Grafik 3.
Sehr große Regelenergiemengen werden auch heute noch per Telefon angefordert. Hier dauert es oft viele Minuten bis eine Reaktion erfolgt. In anderen Bereichen bleibt jedoch keine Zeit zum Telefonieren, da sofort gehandelt werden muss. Das Schöne am Stromnetz ist jedoch, dass man eigentlich gar nicht viel reden muss, denn „das Netz“ redet mit allen, die zuhören wollen. Schaut man z.B. auf die Netzfrequenz, so kann man sofort sagen, ob Europa einen Strommangel oder einen Überschuss hat. Es gibt deshalb auf der Basis der Netzfrequenz klar festgelegte Verhaltensregeln, die eine bestimmte Reaktion vorschreiben. Selbst die netzgekoppelte Photovoltaikanlage muss sich an solche Regeln halten.
So wie die Frequenz den globalen Zustand des gesamten Netzes beschreibt, liefert die Netzspannung eine Information über den lokalen Zustand. Und je genauer man auf die exakte Form der Wellen oder die Geschwindigkeit von Änderungen achtet, desto mehr kann man über den Netzzustand erfahren.
Das Stromnetz einer Almhütte
Sofern es auf unserer fiktiven Almhütte ein Stromnetz gibt, so wird man sich auch dort mit all den geschilderten Aspekten auseinandersetzen müssen. Auch die Almhütte braucht Regelenergie. In sehr kleinen Netzen werden bestimmte Probleme sogar noch schneller sichtbar und noch schneller zu einer „Krise“.
Unsere energieautarke Almhütte hat ein Stromnetz mit einem kleinen Windrad am Berghang, einer Solarstromanlage auf dem Dach und einem kleinen Blockheizkraftwerk im angrenzenden Schuppen. Als Regelenergiekraftwerk tritt hier meist ein netzgekoppelter Batteriespeicher in Aktion. Auch in diesem Stromnetz muss das Angebot genau der Nachfrage entsprechen. Schaltet man also das elektrische Bügeleisen an, so muss genau die dafür benötigte Energie bereitgestellt werden — nicht mehr und nicht weniger.
Elektroautos sind keine Bügeleisen
Im Vergleich zu anderen Stromverbrauchern bietet ein Elektroauto viele Vorteile. Es kommt automatisch mit einem Stromspeicher, denn ohne Akku fährt ein Elektroauto nicht. Zudem sind hier der eigentliche Stromverbrauch (das Laden) und des Erbringen der Dienstleistung (das Fahren) voneinander entkoppelt. Im Gegensatz zum Bügeleisen ist es bei einem Elektroauto vollkommen egal, wann und mit welcher Leistung der Stromverbrauch erfolgt. Hauptsache, der Akku ist voll sobald man mit dem Fahrzeug fahren will.
Ein Elektroauto eignet sich somit optimal zum Ausgleichen von Angebotsschwankungen im Stromnetz, weil es viele Freiheitsgrade der Anpassung der Nachfrage bietet. Wie in vorherigen Teilen dieser Serie schon erörtert, gilt dies natürlich nur, wenn das Elektroauto nicht an einer Stromtankstelle betankt wird, sondern wenn der Energieübergang im Rahmen einer Netzintegration erfolgt.
Prognose und Planung (1)
Auf der Alm ist es immer gut, wenn man weiß, wie das Wetter wird und was man in der nächsten Zeit alles erledigen muss. Mit einfachen technischen Hilfsmitteln kann man das potentielle Energieangebot auch im kleinen Umfeld hinreichend genau planen. Man kennt die typischen Verbraucher und man kennt die Leistungsfähigkeit der Erzeugungsanlagen und des Regelenergiesystems.
Nun wäre es natürlich unklug, wenn das Elektroauto genau dann seinen Akku aufladen würde, wenn der hauseigene Regelenergieakku in einer windlosen Sommernacht fast leer ist. Hier müsste notgedrungen das Blockheizkraftwerk anspringen und würde, ohne sinnvolle Nutzung der Abwärme, kostbaren Biokraftstoff verbrennen, den man immer mühevoll zur Alm hochbringen muss.
Dass in zehn Stunden die Sonne wieder vom Himmel herunterbrennen wird, weiss das E-Auto leider nicht (Grafik 4). Diese Information muss von außen kommen.
Die manuelle „Lastverlagerung“ besteht heute meist darin, dass man das E-Auto erst am sonnigen Mittag in die Steckdose steckt oder diesen Vorgang einer Zeitschaltuhr überlässt. So kann man auch mit dummen Elektroautos „reden“.
Im Zeitalter der Computer würde man sich natürlich intelligente Autos wünschen. Diese haben einen berührungsempfindlichen Bildschirm auf dem man nicht nur den Radiosender sondern auch den gewünschten Ladezeitpunkt auswählen kann. Noch automatischer kann dieser Vorgang ablaufen, wenn das Auto erkennt, wo es ist und vor Ort nachfragt, was denn ein sinnvoller Ladezeitpunkt wäre. Hierzu könnte es sich bereits heute problemlos über gängige Hausfunknetze (WLAN, Bluetooth, Zigbee, Z-Wave, Homeplug, ...) mit einer privaten, häuslichen Regelenergiezentrale verbinden und entweder genaue „Ladezeiten“ erfragen oder sich Informationen zu zeitvariablen „Stromtarifen“ besorgen. Diese sind auf einer Alm zwar eher fiktive Kosten, beschreiben aber dennoch mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit die Zeitpunkte an denen ein Energieüberschuss oder ein Energiemangel erwartet wird.
Bandbreitenmanagement (2)
Moderne E-Mobile werden Ladeleistungen von 11 kW und mehr bieten. Doch wenn man so ein Fahrzeug in das Netz einer Almhütte integriert, dann wird sofort klar, dass es nie mit 11 kW laden darf, wenn die Erzeugungsanlagen in Summe nur z.B. 3 kW anbieten können. Die Tatsache, dass sowohl der Ladestecker und das Autoladekabel mühelos 22 kW übertragen können, ändert nichts an der Tatsache, dass das Kabel von der Almhütte zum Parkplatz nur für 2 kW ausgelegt ist. Zudem kann sich die Begrenzung auch mit der Zeit ändern. Hängt am gleichen Kabel auch noch die Waschmaschine, so reduziert sich während deren Betrieb die maximale für das E-Auto verbleibende Leistung noch weiter. Von all diesen Einschränkungen weiss das E-Auto aber leider nichts. Auch diese Informationen müssen von aussen kommen.
Bei dummen Elektroautos fliegt in solchen Fällen leider immer sofort die Haussicherung. Sie wissen nichts und man kann es ihnen auch nicht sagen. Dies führt in der Regel zur Überlastung von bestimmten Stromkreisen und damit umgehend zum Auslösen des Leitungsschutzes (die Sicherung).
Intelligenten Autos kann man mitteilen, wo die Grenzen liegen. Wenn sie dann auch noch ihre Ladeleistung stufenlos anpassen können, wären sie in der Lage sich innerhalb der vorgegebenen Grenzen — die sich oft auch noch über die Dauer eines Ladevorgangs ändern können (Grafik 5) — optimal zu verhalten.
Wie bei der groben Lastplanung sind auch hier technisch verschiedene Lösungen denkbar. Letztlich unterscheidet sich dieser Aspekt von der Lastplanung vor allem dadurch, dass die Zeitintervalle kürzer werden und neben den Grenzen des Gesamtsystems nun auch noch die Grenzen eines ganz bestimmten Kabelstrangs hinzukommen.
Dynamische Netzstützung (3)
Schaltet nun jemand spontan den Wasserkocher an, während das E-Auto lädt und die Waschmaschine arbeitet, so entsteht auf der Alm ein neues Problem. Im Prinzip läuft die Stromproduktion optimal und das Kabel zum Auto ist auch nicht überlastet. Dennoch fehlt jetzt kurzfristig elektrische Leistung. Auf der Alm wird ein Wasserkocher damit vergleichbar zu einem gewaltigen Stahlwerk im normalen Stromnetz. Diese Überlastung gleicht einem Wasserrohrbruch und wird im Netz unmittelbar zu einem Spannungseinbruch führen. Wenn kein Netzteilnehmer hier unverzüglich netzstützend entgegen wirkt, also zusätzliche Leistung einspeist oder auf die Entnahme von Leistung verzichtet, bricht das Stromnetz binnen kürzester Zeit komplett zusammen.
Die notwendige Information, das SOS-Signal, wurde faktisch durch das Stromnetz an alle Teilnehmer kommuniziert. Diese müssen eigentlich nur auf den „Pulsschlag“ des Netzes hören. Genau für solche Situationen wurde auf der Alm der Regelenergieakku eingebaut. Dieser könnte nun zusätzliche Leistung bereitstellen. Damit würde man nun aber den kostbaren, vor allem für die Nachtstunden zwischengespeicherten Strom anzapfen.
Eine zweite Option wäre, dass das Elektroauto in dieser Situation spontan seine Ladeleistung so weit zurückfährt, bis wieder ein stabiler Zustand erreicht ist. Sobald das Teewasser heiß ist, kann das Auto seinen normalen Ladevorgang wieder fortsetzen. Die Dauer der Beladung des Akkus verlängert sich durch so ein Ereignis nur unwesentlich. Für die Stabilität des Stromnetzes und den Komfort der Almbewohner hätte das intelligente und netzstützende Verhalten des Elektroautos aber einen großen Beitrag geleistet.
Im nächsten Teil werden wir die gleichen drei Bausteine noch einmal betrachten, dann aber am Beispiel des Großparkplatzes und mit einem stärkeren Fokus auf die tatsächlichen technischen Lösungen.
Tomi Engel