Vom Überfluss zur Knappheit
Die Energiepolitik hat bisher die reale Verfügbarkeit der Energieressourcen vernachlässigt. Aus globaler Perspektive ist eine dramatische Verknappung fossiler Brennstoffe zu erwarten. Erdöl ist mit rund einem Drittel Anteil am weltweiten Endenergieverbrauch der wichtigste Rohstoff und der erste, der seinen Höhepunkt überschreitet. Gleichzeitig zeigen die erneuerbaren Energien ein viel schnelleres Wachstum, als selbst Optimisten vorherzusagen wagten. Der Energieautor Thomas Seltmann liefert in dieser dreiteiligen Serie einen Überblick über die absehbare Verknappung der konventionellen Energien und Ausbauszenarien für die Erneuerbaren, die im Auftrag der Energy Watch Group (EWG) erstellt wurden – unter dem Grundsatz „Energiepolitik braucht objektive Informationen“.
„Wir müssen sparen, sparen, sparen“, forderte im vergangenen Jahr Michel Mallet, der Deutschland-Geschäftsführer des Erdöl-Konzerns Total, im Spiegel-Interview die Ölverbraucher auf. Der steigende Bedarf in den Schwellenländern wird nur so zu decken sein, denn die Unternehmen finden nicht genug neue Vorkommen und trotz steigender Investitionen sinkt die jährliche Fördermenge. Dabei ist Total keine Ausnahme, sondern bestätigt die Erfahrungen der Wettbewerber.
IEA warnt neuerdings vor Ölknappheit
Selbst die Internationale Energie Agentur (IEA), als Regierungsorganisation die Interessenvertretung der 28 Hauptverbraucherländer und bisher eher Berufsoptimist in Sachen Energiesicherheit, warnt vor dramatischen Verknappungen und fordert eine radikale Wende in der Energiepolitik. Nobuo Tanaka, Chef der IEA, warnte in der Süddeutschen Zeitung: „Wenn die Nachfrage wieder anzieht, könnte es zu einem Versorgungsengpass kommen. Wir prophezeien sogar, dass dieser Engpass 2013 eintreten könnte.“ Laut IEA würde der Ölpreis dann den Höchststand vom Sommer 2008 noch übertreffen und bis zu 200 Dollar pro Barrel erreichen. „Wir könnten auf eine neue Krise zusteuern, deren Ausmaß die gegenwärtige übertreffen könnte“, warnt Tanaka.
Schon Ende 2008 spricht die IEA in ihrem „World Energy Outlook“ von einem jährlichen Förderrückgang um 6,7 Prozent in den bestehenden Feldern. Dennoch prognostiziert sie eine weitere Zunahme des weltweiten Ölverbrauchs um fast ein Viertel bis 2030, aber „mit welchen Ölquellen der steigende Bedarf gedeckt werden soll, wie viel die Förderung dieses Öls kosten werde und wie viel die Verbraucher dafür zu zahlen haben werden, ist jedoch äußerst ungewiss, möglicherweise ungewisser denn je“, so die IEA wörtlich.
Mit angeregt wurde die detaillierte Analyse vermutlich durch eine international vielbeachtete Studie für die Energy Watch Group (EWG) über die Zukunft der weltweiten Erdölversorgung. Demnach befinden wir uns derzeit am Höhepunkt der Fördermenge und müssen in den nächsten zwanzig Jahren mit einer Halbierung rechnen. Davon werden die Förderländer selbst einen immer größeren Anteil für ihre wirtschaftliche Entwicklung verbrauchen. Das Angebot für Importeure wie Deutschland wird also noch viel knapper sein. Als das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe im letzten Jahr Zahlen über den Rückgang der weltweiten Ölförderung im Jahr 2007 veröffentlichte, folgerte BGR-Präsident Hans-Joachim Kümpel daraus: „Erdöl wird der erste Energierohstoff sein, bei dem eine echte Verknappung durch die Endlichkeit der Ressource spürbar wird“.
Die Quellen sprudeln spärlicher
Endlichkeit bedeutet jedoch nicht, dass die Quellen von einem auf den nächsten Tag versiegen. Die Frage lautet deshalb nicht „Wie lange reicht das Öl“, sondern „Welche Menge ist in welchem Zeitraum verfügbar“. Wissenschaftler haben im Auftrag der EWG diese Frage detailliert beantwortet. Ihre Vorgehensweise lässt sich am typischen Erschließungsverlauf eines Ölfeldes veranschaulichen: Mit der ersten Bohrung steigt die Erdölförderung zunächst schnell an und erreicht bald ihr Maximum. Mit der zweiten, dritten und weiteren Bohrungen steigt die Förderung zunächst trotzdem weiter, bis auch weitere neue Bohrungen die Förderrückgänge der bisherigen nicht mehr ausgleichen können und das Ölfeld insgesamt seinen Förderhöhepunkt (engl. „Peak“) überschreitet. Trotz immer mehr neuer Bohrungen geht dann die Ölförderung insgesamt zurück. Das Ergebnis ist eine sogenannte Glockenkurve (Bild 2).
Dieses Prinzip gilt nicht nur für einzelne Ölfelder, sondern auch für ganze Förderregionen und die gesamte weltweite Ölförderung, weil die Gesamtmenge des Erdöls, das in der Erdkruste entstanden ist, weitgehend bekannt ist.
Die drei Ölpeaks
Rückschlüsse für den weltweiten Förderhöhepunkt lassen sich aus dem historischen Verlauf ziehen. Schon Mitte der 1960er Jahre datieren die Geologen den Höhepunkt der weltweiten Erdölfunde, also die höchste in einem Jahr gefundene Ölmenge. Der erste Ölpeak liegt also bereits mehr als vierzig Jahre zurück.
Während die Neufunde zurückgingen, stieg der Verbrauch immer weiter. So war es keine Überraschung, dass nur zwanzig Jahre später, um das Jahr 1986, der jährliche Erdölverbrauch die jährliche Menge der neuen Funde übertraf. Unweigerliche Folge: Die verbleibende förderbare Ölmenge überschritt ihren Höhepunkt („Peak zwei“): Die Reserven gehen seitdem zurück. Heute verbrauchen wir vier bis fünfmal mehr als wir neu finden.
Die Diskrepanz dieser Fakten von den häufig publizierten Daten, beispielsweise der Ölindustrie, ist erklärbar. Der Unterschied liegt in der Betrachtungsweise. Die Zahlen der Ölunternehmen erfassen nur den kaufmännisch bewerteten Teil der Reserven und nähern sich den realistischeren Daten der Geologen einfach immer mehr an.
Kaum mehr als zwanzig Jahre nach dem „Peak zwei“ scheint nun der dritte, der Höhepunkt der weltweiten Erdölförderung erreicht. Dieser muss auf den Höhepunkt der Funde und den Höhepunkt der verbleibenden Reserven unweigerlich folgen, weil schließlich nach und nach alle Ölquellen ihren Höhepunkt überschreiten.
Teuere Ölförderung treibt Preise nach oben
Dagegen gibt es zahlreiche Stimmen, die behaupten, die Erdölförderung ließe sich noch nennenswert steigern. Oft wird geleugnet, dass Preissteigerungen beim Erdöl eine zunehmende Verknappung anzeigen. Das Problem sei nicht der Rohstoff, sondern mangelnde Investitionen. Dem widersprechen die Geschäftszahlen der Ölkonzerne wie Shell, dessen Ölförderung in den letzten Jahren um ein Fünftel sank, obwohl er die Investitionen in Ölsuche und Erschließung vervierfachte. Was dadurch jedenfalls steigt, sind Kosten und Ölpreis.
Neue Technologien haben es zwar ermöglicht, aus den bekannten Feldern mehr und schneller zu fördern. Doch große Neufunde waren und sind seit Jahrzehnten nicht mehr zu erwarten. Selbst die Erschließung ökologisch und technologisch problematischer Lagerstätten, wie die der Arktis oder kanadischer Ölsande, werden den Abwärtstrend nicht stoppen können.
„Wir sollten das Öl verlassen, bevor es uns verlässt“, kommentiert IEA-Chefökonom Fatih Birol diese Entwicklung und wird nicht müde zu betonen, dass die „Ära des billigen Öls vorbei“ sei, denn allein um den derzeitigen Bedarf auch in Zukunft zu decken, müssten in den nächsten zwanzig Jahren „vier neue Saudi Arabien neu erschlossen werden. Es wäre naiv zu erwarten, dass der Ölpreis sinkt.“
Allzu lange haben die Manager in Politik und Wirtschaft Warnungen übergangen. So war die Ölpreis-Explosion vor der Finanzkrise nur ein Vorgeschmack und womöglich die Nadel, die den Finanzmarktluftballon zum Platzen brachte. In Zukunft wird sich die Schere nach zwei Seiten öffnen und die Frage aufwerfen: Wie können wir den steigenden Bedarf decken und gleichzeitig den Rückgang der Erdölförderung ausgleichen?
Trügerischer Hoffnungsträger Erdgas
Erdgas gilt als saubere Alternative, selbst bei Umweltschützern. Dies zeigt sich auch im steigenden Verbrauch. Allein in Deutschland hat der Erdgasverbrauch in den letzten zwanzig Jahren um die Hälfte zugenommen. Weltweit stammt rund ein Fünftel der verbrauchten Endenergie aus Erdgas. Doch die Hoffnung auf neue Pipelines ist trügerisch. Denn Erdgas wird nach dem Erdöl der nächste knappe Energierohstoff, auch weil die Reserven überschätzt werden und die Förderung nicht ausreichend wachsen kann.
Die existierenden stabilen Lieferbeziehungen geraten ins Wanken, weil zum wachsenden Verbrauch in den traditionellen Verbraucherregionen (Nordamerika, Europa und Südostasien) aufstrebende Wirtschaftsmächte wie Indien und China hinzukommen. Dabei sinkt die eigene Förderung in den Haupt-Verbraucherländern, während in den Haupt-Förderländern der eigene Bedarf zunimmt. Die Verknappung ist also absehbar.
Europas Gasförderung sinkt
So hat in fast allen europäischen Ländern die Gasförderung ihren Höhepunkt überschritten – außer Norwegen, das aber den Förderrückgang in den anderen Staaten nicht ausgleichen kann. Selbst in Großbritannien ist die Fördermenge seit 2000 um 40 Prozent gesunken (Bild 5). Die „Interconnector-Pipeline“, die Großbritannien mit dem europäischen Festland verbindet und ursprünglich schottisches Erdgas exportieren sollte, dient deshalb längst zum Import von Erdgas auf die Insel.
Und selbst in Norwegen ist das Ende des Erdgas-Booms greifbar nah. Trotz Erschließung neuer Felder wird auch dort um 2015 das Fördermaximum überschritten werden. Während damit in Westeuropa die Gasförderung in den nächsten zwanzig Jahren um mehr als die Hälfe sinkt, wird der Gasbedarf wohl weiter steigen. Seit 2000 nahm er um zehn Prozent zu.
Die Hoffnung bringen neue Pipelines aus dem Osten: North-Stream (Ostsee-Pipeline), South-Stream und Nabucco heißen die neuen Nabelschnüre der westeuropäischen Gasversorger. Doch diese Hoffnung könnte sich als dreifach trügerisch erweisen:
- Erstens reichen selbst die bisher geplanten und zum Teil noch nicht einmal im Bau befindlichen Röhren nicht aus, die absehbare Versorgungslücke zu schließen. Es müssten zwei- bis drei Mal so viele sein.
- Zweitens sind die Gaslieferungen durch diese wenigen Röhren noch keinesfalls gesichert. Denn nicht alle dafür notwendigen Felder sind bereits erschlossen und andere Abnehmer aus Asien melden eigenen Bedarf an.
- Drittens verschlingen Planung und Bau der aufwändigen Infrastruktur Milliardensummen und benötigen jahrelangen zeitlichen Vorlauf, der durch politische Konflikte mit Transit- und Anrainerstaaten und soziale Konflikte in diesen Ländern selbst noch verzögert werden kann.
In Russland herrscht akuter Gasmangel
Beispiel Russland: Es ist zwar heute der größte Erdgas-Förderstaat der Welt und hat den offiziellen Angaben zufolge die größten Reserven. Aber die meisten großen erschlossenen Felder haben ihr Fördermaximum bereits überschritten. Die laufend neu erschlossenen Felder können zwar den Förderrückgang bremsen, nicht jedoch die steigende Nachfrage decken.
In Russland selbst herrscht akuter Gasmangel. Russlandweit soll es zahlreiche Kraftwerke geben, die nicht ausreichend von Gazprom beliefert werden können. Und auch für andere Unternehmen gibt es Gas nur auf Zuteilung. Der russische Energieexperte und ehemalige Vize-Energieminister Wladimir Milow schätzt die Förder- und Lieferschwierigkeiten von Gazprom so hoch ein, dass er einen absehbaren Gasmangel von 100 Milliarden Kubikmeter befürchtet. Das entspricht der Menge, die Deutschland pro Jahr aus Russland bezieht.
Um die russische Gasförderung im notwendigen Umfang auszuweiten, wären große Investitionen nötig, in noch unerschlossene Gasfelder nördlich des Polarkreises, im Meer und im Osten, vor allem in kleine Vorkommen, die abseits des Transportnetzes liegen. Stattdessen importiert Russland selbst bereits Erdgas aus dem Kaukasus und investiert in Kohleförderung und Kohlekraftwerke, um den eigenen Verbrauch zu senken.
Engpässe schon in den nächsten Jahren
Optimismus verbreiten derzeit die Erfahrungen mit Gasförderung aus sogenannten „unkonventionellen Lagerstätten“. Dort liegt das Erdgas in wesentlich geringerer Konzentration und unter niedrigem Druck vor. Der Aufwand ist deshalb viel höher als bei konventioneller Erdgasförderung. Trotzdem konnte in den USA die Binnenversorgung damit in den letzten Jahren stabilisiert werden, auch wenn dies absehbare Engpässe wohl nur kurzfristig verschieben kann. Die Fördermenge sinkt bei unkonventionellen Lagerstätten nämlich noch schneller und ob die Erfahrungen der USA auf andere Regionen der Welt übertragbar sind, muss die Zukunft erst noch zeigen.
Von den heute geschätzten Erdgasreserven liegt mehr als die Hälfte in Russland, Iran und Katar. Die Zukunftshoffnung stützt sich vor allem auf ein einziges großes Gasfeld im Arabischen Golf, dessen nördliche Hälfte („South Pars“) im Iran und dessen südliche Hälfte („North Field“) in Katar liegt. Die Schätzungen über dort vorhandene Erdgasmengen sind höchst zweifelhaft und vermutlich viel zu hoch.
Doch selbst wenn man die offiziellen Reserveangaben zugrunde legt, bleiben technische, wirtschaftliche und politische Hindernisse. Die weltweite Erdgasförderung dürfte deshalb um das Jahr 2025 ihr Fördermaximum erreichen, so die Experten von der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH in Ottobrunn. Wenn aber der Verbrauch weiter steigt und die Transportprobleme nicht schneller gelöst werden, ist in Europa wie in anderen Regionen der Welt schon in den nächsten Jahren mit Engpässen zu rechnen. Genaueren Aufschluss darüber soll eine Studie geben, die von EWG-Wissenschaftlern derzeit vorbereitet wird.
Im zweiten Teil der Serie erfahren Sie mehr über die Versorgungssituation bei Kohle und Uran und im dritten Teil über die Ausbaumöglichkeiten erneuerbarer Energien.
Über die Energy Watch Group (EWG)
Das internationale Netzwerk von Wissenschaftlern und Parlamentariern erarbeitet unabhängig und überparteilich globale Studien über die Verknappung der fossilen Energieressourcen und Uran sowie Ausbauszenarien für die erneuerbaren Energien. Die Analysen liefern Politik, Medien und Öffentlichkeit wichtige Basisinformationen für eine langfristig sichere und kostengünstige Energieversorgung. Studien und ergänzende Materialien unter www.energywatchgroup.org kostenlos zum Download.
Das gemeinnützige Projekt wird getragen von der Ludwig-Bölkow-Stiftung in München-Ottobrunn und finanziert sich aus zweckgebundenen Zuwendungen. Für eine ausführliche Studie zur Gasversorgung und gezielte unabhängige Politikberatung benötigt das Projekt dringend weitere (steuerbegünstigte) Zuwendungen.
Thomas Seltmann