Bundeswehrstudie zu Peak-Oil
Etwa ein Jahr nach der US-Armee (siehe SONNENENERGIE 4/2009 – Falken mit grünen Stiefeln) beschäftigt sich auch die deutsche Bundeswehr mit den geopolitischen Bedrohungen, die aus Klimaveränderungen und Ressourcenknappheit bei Erdöl, dem sogenannten Peak Oil herrühren können. Die Studie „Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert – Umweltdimensionen von Sicherheit“ des Dezernats Zukunftsanalye des Zentrums für Transformation der Bundeswehr soll die sicherheitspolitischen Implikationen einer Ressourcenknappheit auf dem Ölsektor aufzeigen.
Ressourcenknappheit gab es schon! Was ist neu?
Laut des Weltbildes der Bundeswehrstrategen sind in der Vergangenheit immer verschiedenste Konflikte ausgebrochen, deren Zustandekommen und Verlauf durch die Verfügbarkeit oder das bloße Vorhandensein von Rohstoffen beeinflusst waren. In den meisten Fällen waren die zum Teil auch militärisch geführten Ressourcenkonflikte jedoch regional begrenzt und nur eingeschränkt von internationalem Interesse. Für Erdöl aber auch andere strategischen Rohstoffe wie Lithium oder seltene Erdmetalle wird das in Zukunft nicht mehr gelten. Hauptfokus der Studie ist die Auswirkung eines Mangels an Erdöl. Laut den Autoren stellt ein globaler Mangel an Erdöl ein systemisches, gesellschaftliches Risiko dar, denn durch seine vielseitige Verwendbarkeit als Energieträger und als chemischer Grundstoff wird so gut wie jedes gesellschaftliche Subsystem von einer Knappheit betroffen sein.
Peak Oil führt zu geopolitischen Machtverschiebungen
In der Konsequenz dieser Tatsache attestieren die Autoren dem Thema ein zukünftig verstärktes internationales Interesse, weil gleichzeitig mit der Verknappung eine dauerhafte geografische Konzentration der Erdöllagerstätten und der Transportinfrastrukturen stattfindet und damit auch eine geopolitische Machtverschiebung in Richtung derer die Ressourcen haben. Eine Schlüsselrolle für die Beschreibung des Problemauslösers ist das Phänomen des Peak Oils. Dies ist ein Auftreten des globalen Fördermaximums von Erdöl. Hiernach kann die Förderung nicht mehr ausgeweitet werden. Den Zeitpunkt dieses Peak Oil beziffern die Autoren zwar auch nicht zeitlich genau und verweisen diffus auf eine Expertendebatte, die Außenstehenden kaum Möglichkeiten zur unabhängigen Meinungsbildung lasse, begreifen den Effekt jedoch als reell.
Die Bundeswehrstrategen stellen dennoch unumstößlich fest, dass es sicher ist, dass Erdöl endlich ist und ein Fördermaximum existiert. Da es in dieser Studie nicht um die zeitliche Einordnung, sondern die Wirkzusammenhänge nach einem Fördermaximum geht, ist eine Festlegung auf einen präzisen Zeitpunkt nicht notwendig. Allerdings besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Peak Oil bereits um das Jahr 2010 zu verorten ist und sicherheitspolitische Auswirkungen je nach Entwicklung der hierbei global relevanten Faktoren mit einer Verzögerung von 15 bis 30 Jahren erwartet werden können. Die gravierenden Auswirkungen begründen daher die Notwendigkeit, die potenziellen Implikationen für Deutschland zu untersuchen.
OPEC – kein verlässlicher Geschäftspartner Deutschlands
Die Bundeswehrautoren führen aus, dass die Sicherheit von Aussagen über die Verfügbarkeit von Erdöl und entsprechende Ableitungen für das Eintreten eines globalen Peak Oil von mehreren Faktoren abhängen. Bedeutsam dabei ist, dass sie im Namen der Bundeswehr feststellen, dass die offiziell angegebene Höhe der OPEC-Reserven wegen intransparenter Datenerhebung und zum Teil politisch motivierter Falschangaben angezweifelt werden muss. Je höher ein OPEC-Mitglied die nationalen Reserven angibt, desto höher werden auch die von der OPEC zugeteilte Förderquote und damit der Exportgewinn. In der Reservenbewertung spielt es außerdem eine Rolle, nach welchen Schätzverfahren die Reservenzahlen berechnet worden sind. Prognosen der Förderentwicklung von Erdölfeldern auf Basis ursprünglich ausgewiesener Reserven wurden in der Vergangenheit oftmals zu niedrig angesetzt und mussten nach oben korrigiert werden. Kurzum wird festgestellt, dass die OPEC ein keineswegs verlässlicher Geschäftspartner Deutschlands sei.
Erdölförderung wird in absehbarer Zukunft den Bedarf nicht decken können
Im Namen der Bundeswehr stellen die Autoren fest, das die in der politischen Debatte oft als Heilsbringer genannten neuen Fördertechnologien sich zwar positiv auf die Bewertung der Reservemenge auswirken, trotzdem wird Erdöl in absehbarer Zukunft nicht mehr den zu erwartenden Bedarf decken können.
Angesichts der langen Zeiträume einer Anpassung im Energiesektor bis hin zu einer Energiewende ist bis heute notwendig, das Ausmaß der Abhängigkeit von Erdöl umfassend zu analysieren, auf dieser Grundlage mögliche Risiken rechtzeitig zu erkennen und Alternativen für die Nutzung fossilen Öls zu etablieren. Die Bundeswehr steht also auf Ökoenergien. Die vorliegende Studie soll jedoch vor allem dazu beitragen, Entscheidungsträger für die möglichen sicherheitspolitischen Konsequenzen, Risiken und Kaskadeneffekte zu sensibilisieren, die durch ein Überschreiten des globalen Erdöl-Fördermaximums entstehen können.
Dabei sind die beschriebenen Wirkzusammenhänge nicht im Sinne einer Zwangsläufigkeit zu verstehen. Es sollen vielmehr die unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Faktoren der Abha?ngigkeit von Erdo?l erfasst werden. Damit möchte man zu einem besseren Versta?ndnis der Systemrelevanz von Erdo?l und der daraus ableitbaren Bedeutung fu?r Deutschland beitragen. Es soll eine Landkarte der Konsequenzen erarbeitet werden, die der Politik den Handlungsdruck verdeutlicht.
Aufbau der Bundeswehr-Studie
Die Studie beschreibt die Bedeutung des Erdöls für Wirtschaftssysteme, den Prozess der Globalisierung, das internationale System sowie besondere Aspekte der Energiesicherheit Deutschlands. In einem Kapitel werden die Wirkzusammenha?nge bei einer moderaten Verlaufsform des Peaks erläutert. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit einem potenziellen Sonderfall, bei dem der sogenannte Tipping Point u?berschritten wird. In diesem Fall schlagen lineare Entwicklungen ins Chaotische um. Dies führt zu einem sicherheitspolitischem Worst-Case Szenario. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit den Konsequenzen der beschriebenen Entwicklungen fu?r Deutschland, bevor die Ergebnisse zusammengefasst werden.
Erdöl als Determinante der Globalisierung
Laut Bundeswehrstudie hängen 95% aller industriell gefertigten Produkte heute von der Verfügbarkeit von Erdöl ab. Erdöl ist nicht nur der Ausgangsstoff für die Produktion von Treib- und Schmierstoffen, sondern in Form von Rohbenzin auch für alle organischen Polymere (Kunststoffe). Es ist damit der wichtigste Rohstoff bei der Herstellung von so unterschiedlichen Produkten wie Pharmazeutika, Farbstoffen oder Textilien.
Als Ausgangsstoff für verschiedene Treibstoffarten ist Erdöl eine Grundvoraussetzung für den Transport großer Warenmengen über lange Strecken. Containerschiffe, Lastkraftwagen und Flugzeuge bilden neben der Informationstechnologie das Rückgrat der Globalisierung. Die internationale Arbeitsteilung, der viele Länder ihren heutigen Wohlstand verdanken, wäre ohne den kostengünstigen Warentransport im heutigen Umfang nicht denkbar. Auch regional und lokal hat die ölbasierte Mobilität unseren Lebensstil geprägt. Das Leben in Vorstädten, mehrere Kilometer von der Arbeitsstelle entfernt, wäre für viele Menschen ohne die Verfügbarkeit eines Autos nicht möglich. Die klassische Vorstadt verdankt ihre Existenz also ebenfalls zu einem gewissen Grad dem Erdöl.
Bedrohung an der Zapfsäule – Preissteigerung ist systemisches Risiko
Eine starke Verteuerung des Erdöls stellt ein systemisches Risiko dar. Die Bedeutung von Öl liegt in einigen Subsystemen klar auf der Hand. Die gesamte Bandbreite möglicher Herausforderungen, die sich aus dem Überschreiten des Peak Oil ergeben, ist für die Autoren nicht zu überschauen. Deutlich wird jedoch, dass die internationale Gemeinschaft, aber auch jeder Einzelstaat ein vitales Interesse an der Sicherung eines Zugangs zu Öl hat. Heute ist dies relativ noch leicht über den Weltmarkt möglich, die Gefahr des Peak Oil liegt deshalb nicht darin, dass es kein Öl, sondern dass es kein billiges Öl mehr gibt. Dies bedroht die deutsche Wirtschaft und den Wohlstand.
OPEC zeigt sich kooperativ ... wegen der Präsenz des US-Militärs in Arabien
Die OPEC, das maßgebliche Kartell am Ölmarkt, zeigt sich in Krisen zumeist kooperativ: Die beiderseitige Abhängigkeit der Exporteure und der Importeure, verbunden mit einer beträchtlichen Präsenz des US-Militärs im arabischen Raum, fördert eine – zumindest marktwirtschaftlich betrachtet – günstige Atmosphäre. Andererseits zeigt sich auch immer wieder, welche strategische Bedeutung dem Erdöl beigemessen wird und wie weit internationale Akteure gehen, um ihre ressourcenpolitischen Ziele zu erreichen. Konflikte sind selten monokausal und so lässt sich auch die konkrete Bedeutung von Ressourcen für deren Zustandekommen nicht immer zweifelsfrei herleiten.
Rohstoffe wie Erdöl oder Erdgas lassen sich aber auch nur bedingt durch kleine Gruppierungen nutzbar machen. Die Infrastruktur, die zur Förderung und zum Verkauf von Öl notwendig ist, setzt ein stabiles (staatliches) Umfeld voraus. Es reicht nicht, das Ölfeld zu beherrschen, auch der Transportweg und etwaige Umschlagplätze wie Seehäfen müssen frei zugänglich sein. Auch fehlte für Erdöl und Erdgas bislang ein funktionierender internationaler Schwarzmarkt. Ob sich dies bald ändern wird, lassen die Autoren offen.
Meine Pipeline? – Dein Problem! Sicherheitspolitik und Versorgungssicherheit
Laut der Bundeswehrstudie lassen sich Konflikte nicht mehr begrenzen. Anschläge auf Pipelines in Saudi-Arabien sind auch und vor allem das Problem der Industrieländer, deren Versorgungssicherheit ja auf dem Spiel steht. Zum anderen können Konflikte nicht auf eine militärische Ebene begrenzt werden. Die eventuell als ungerecht empfundene Verteilung von Ressourcenreichtum kann ein Auslöser von Konflikten sein. Dementsprechend müssen angepasste Lösungen unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden Mittel gesucht werden.
Die zukünftigen Akteure auf dem Spielfeld der Energiesicherheit werden nicht nur Nationalstaaten sein. Substaatliche Akteure werden wegen ihres zunehmenden Potenzials für gefährliche Überraschungen an sicherheitspolitischer Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig nimmt das Gewicht der Nationalstaaten im internationalen System zu: Nur Staaten können wegen der umfassenden Bandbreite ihres politischen Instrumentariums den sicherheitspolitischen Anforderungen einer komplexer werdenden Welt genügen. Vor dem Hintergrund dieses heterogener werdenden Akteurfeldes wird es deshalb nach einem Peak Oil auch zu mehreren Konfliktebenen kommen: Förderländer stehen Nachfragern gegenüber, marktwirtschaftliche Systeme konkurrieren wieder mit Planwirtschaften, Entwicklungsländer werden direkt abhängig von den Industrieländern und Ölkonzerne bekommen einen hohen Einfluss auf die internationale Politik.
Aspekte der deutschen Energiesicherheit
Eine häufig verwendete Definition von Energiesicherheit ist die der verlässlichen Versorgung einer Volkswirtschaft zu vernünftigen Preisen. In Bezug auf Erdöl stand lange – und für Importeure folgerichtig – die Reduzierung von politischen Abhängigkeiten zur Abwehr von Knappheiten im Mittelpunkt der Diskussionen. Neuere Studien erweitern dieses Konzept um Aspekte wie:
- Umwelt- und Klimaschutzziele, die potenziell andere Anforderungen an eine nachhaltige Energiepolitik stellen,
- technologische Rahmenbedingungen für die Transformation von fossilen zu post-fossilen Gesellschaften,
- Unsicherheiten bezüglich der Entwicklung der Energienachfrage, zum Beispiel durch Rezessionen inklusive der damit verbundenen Risiken für Förderländer oder auch
- die Konditionierung nationaler Energiepolitik durch die Einbindung in supranationale Organisationen.
Der Peak Oil beträfe alle hier genannten Aspekte der Energiesicherheit in sehr grundsätzlicher Art und Weise. Zentraler Ausgangspunkt für die weitergehenden Diskussionen ist der zu erwartende Angebotsschock, das heißt die Erschwernis einer verlässlichen Versorgung Deutschlands mit Erdöl durch Importe. 60 Prozent der deutschen Öllieferungen kommen aus Ländern, die ihre nationalen Peaks schon hinter sich haben. Auch wenn die verbliebenen Ressourcen und Reserven von Deutschlands wichtigstem Handelspartner Russland den Ausfall der europäischen Zulieferer ausgleichen könnten, ergibt sich damit nicht zuletzt aus Gründen der Diversifizierung der Herkunftsländer die Notwendigkeit zu einer Schwerpunktverlagerung. Der „Bericht der Bundesregierung zur Öl- und Gasmarktstrategie“ von 2008 mit seiner Strategie zur Sicherstellung der Versorgung Deutschlands mit Erdöl berücksichtigt die Möglichkeit des Peak Oil nicht.
Analyse von Aspekten des Peak Oil ...
Die Studie nimmt eine detaillierte Analyse der Aspekte von Peak Oil vor, die sich mit großen Auswirkungen auf die globale Wirtschafts- und Politikordnung niederschlagen werden.
... der Handel wird weniger
Die Autoren der Bundeswehr Studie stellen fest, dass Öl zu einem entscheidenden Faktor in der (Neu-) Gestaltung der internationalen Beziehungen wird. Der Anteil des auf dem globalen, frei zugänglichen Ölmarkt gehandelten Erdöls wird hiernach zugunsten des über binationale Kontrakte gehandelten Öls abnehmen. Wirtschaftskraft, militärische Stärke oder der Besitz von Nuklearwaffen werden zu einem vorrangigen Instrument der Machtprojektion und zu einem bestimmenden Faktor neuer Abhängigkeitsverhältnisse in den internationalen Beziehungen.
... Aufwertung der Förderländer
In einer Situation des globalen wirtschaftlichen Umbruchs in Folge des Peak Oil sind die verbleibenden Exportländer in einer vorteilhaften Lage: Ihre Industrien können mit relativ moderaten Ölpreisen rechnen und die Haushalte profitieren von steigenden Gewinnen aus Ölexporten. Die relative Bedeutung der Förderländer im internationalen System wächst. Diese nutzen die entstandenen Vorteile, um ihre innen- und außenpolitischen Gestaltungsräume auszubauen und sich als neue oder wieder erstarkende regionale, gegebenenfalls sogar globale Führungsmächte zu etablieren.
... Liberalisierung wird aufgehoben
In gewissem Sinne wird damit die Liberalisierung der Ölmärkte nach den Krisen der 1970er Jahre wieder aufgehoben. Viele Förderländer hatten nach den Ölkrisen westliche Ölkonzerne, die faktisch die Kontrolle über die nationalen Ölressourcen ausgeübt hatten, enteignet. Das Ergebnis war aber zunächst nicht eine wachsende Marktmacht der einzelnen Förderländer, sondern eine Stärkung der Marktmechanismen und die erstmalige Schaffung eines funktionierenden globalen Ölmarktes. Insbesondere das Aufbrechen der vertikalen Integration der Ölindustrie, das heißt die Kontrolle der gesamten Wertschöpfungskette von der Förderung des Öls bis hin zum Betrieb von Tankstellen durch einen einzelnen Konzern, führte zu einer deutlichen Entspannung am Ölmarkt, die unter den damals gegebenen Umständen in beiderseitigem Interesse von Produzenten und Konsumenten war.
... New Seven Sisters streben nach Monopol
Vor dem Hintergrund einer nun abnehmenden Zahl relevanter Ölexporteure, der wachsenden Bedeutung der „New Seven Sisters“, also großer Ölkonzerne aus Entwicklungs- und Schwellenländern, und ihrer finanziellen Potenz, sind alle Bedingungen für die erneute Bildung von Monopolen gegeben.
Ressourcennationalismus ist der Ausdruck eines legitimen Interesses der Bevölkerung an einem gerechten Anteil am Reichtum des eigenen Landes. Mit einer Verstaatlichung von Ölfirmen bei gleichzeitiger up- bzw. downstream-Expansion wüchse aber auch die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung von Abhängigkeiten.
... politische Verknappung
Mit dem Bewusstsein um die Überschreitung des Peak Oil und angesichts des natürlichen, gewinnorientierten Strebens von Staaten nach eigenen, möglichst nachhaltigen Vorteilen kann es zu einer gezielten Einschränkung des Angebots kommen, beispielsweise um das nicht geförderte Erdöl nachfolgenden Generationen des eigenen Landes zu erhalten. Je klarer wird, wie knapp Erdöl tatsächlich ist, desto stetiger werden die Preise des Erdöls und damit die Gewinne der Förderländer steigen. Das Kalkül des „Political Peakings“ würde umso nachvollziehbarer werden. Dieses „Political Peaking“ würde die Peak-Oil-induzierte Verknappung des Angebots und die damit zusammenhängende Preissteigerung weiter verstärken. Dieses Verhalten ist bereits jetzt zu beobachten. Bereits im April 2008 hat König Abdullah von Saudi-Arabien verfügt, dass damals neu entdeckte Quellen nicht erschlossen werden sollen.
... Verschwendung als Entwicklungspolitik
Ähnliche Auswirkungen hat ein Trend, der vor allem in industriell weniger gut entwickelten Förderländern zu beobachten ist. Hier wird im Land gefördertes und raffiniertes Öl unter dem Weltmarktpreis angeboten, zum Beispiel um die eher ineffizient arbeitende Industrie wettbewerbsfähiger zu machen oder um die Bevölkerung an den Reichtümern des Landes zu beteiligen. Es ist zu beobachten, dass diese Preisverzerrung zu steigendem Inlandskonsum führt, damit die Exportmengen verringert und allgemein einen ineffizienten Umgang mit Öl fördert. Eine solche Dynamik führt dazu, dass die Exporte langsamer steigen als die Produktion, beziehungsweise im Falle eines Peaks die exportierten Ölmengen noch schneller fallen als die produzierten. Dies kann nach einem Peak das Sinken der globalen Fördermengen ebenfalls zusätzlich beschleunigen.
... Verstärkte Konkurrenz der Nehmerländer
Für Öl importierende Länder bedeutet eine verstärkte Konkurrenz um Ressourcen gleichzeitig verstärkte Konkurrenz um die Gunst der Förderländer. Letzteren eröffnet sich damit ein „Window of Opportunity“, das sie zur Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher oder ideologischer Ziele nutzen können. Da dieses Zeitfenster aber aufgrund abnehmender Reserven, erschwerter Förderbedingungen und der fortschreitenden Transformation vieler Länder zu weitgehend post-fossilen Wirtschaften nur für einen begrenzten Zeitraum offensteht, könnte es zu einer offensiveren Durchsetzung eigener Interessen seitens der Förderländer kommen. Die jeweiligen Agenden dieser Länder, die hierbei für die Dauer der Transformation westlicher Industriestaaten zu post-fossilen Gesellschaften in den Mittelpunkt des Interesses rücken würden, sind ebenso unterschiedlich wie die Förderländer selbst.
Konzernen fallen Märkte weg. Gefördertes Rohöl wird beispielsweise nicht an den Meistbietenden verkauft, sondern an andere Konzernteile weitergeleitet. Global gesehen werden damit Marktmechanismen eingeschränkt und es kommt auch zu Ineffizienzen bei der Verteilung der Ressource. Insbesondere Unternehmen in Staatsbesitz priorisieren zunehmend die physische Verfügbarkeit von Ressourcen gegenüber einem gewinnmaximierenden und effizienten Gebrauch. Dieses Phänomen ist nicht auf in Förderländern ansässige Firmen beschränkt, sondern lässt sich ebenso bei Firmen aus Importländern beobachten.
... Neue Akteure haben andere Moral
Im Rückblick traten die nationalen Ölkonzerne der aufsteigenden Schwellenländer erst relativ spät als relevante Akteure auf dem internationalen Ölmarkt auf. Als beispielsweise China Anfang der 1990er Jahre vom Nettoexporteur von Erdöl zum Nettoimporteur wurde, waren die ergiebigsten der noch frei zugänglichen Ölquellen bereits von den westlichen Ölkonzernen besetzt bzw. wurden in Form von Joint Ventures gemeinsam mit den nationalen Ölkonzernen erschlossen (insbesondere in der Region des Persischen Golfs). Die westlichen Konzerne und die nationalen Konzerne der Förderländer hatten die „Spielregeln“ des Ölmarktes festgelegt. Firmen wie die chinesische CNPC mussten sich Gebieten zuwenden, die noch nicht erschlossen waren oder aus politischen Gründen von anderen Firmen gemieden wurden. Dies verlangte nach neuen Spielregeln und eigenen Ansätzen, zum Beispiel der Ausweitung der von China seit jeher propagierten Politik der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten auf die afrikanischen oder zentralasiatischen Handelspartner.
... Energiediplomatie ist kostenintensiv
Insgesamt wird staatliche Energiediplomatie heute als sehr kostenintensiv eingestuft. Zum einen werden regelmäßig Investitionsentscheidungen getroffen, die unter privatwirtschaftlichen Bedingungen nicht gefallen wären. Die Exploration neu entdeckter Vorkommen mag den physischen Bedarf decken, die Explorationskosten sind jedoch oft höher als der Marktpreis. Zum anderen entstehen schwer zu beziffernde politische Kosten durch die Zusammenarbeit mit vom Rest der Welt geächteten Regimen. Durch den Peak Oil ändert sich genau dieses Kalkül zugunsten von ressourcenpolitisch expansiven Schwellenländern wie China. Mit den zu erwartenden steigenden Ölpreisen verbessert sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis intensiver und teilweise aggressiver Energieaußenpolitik beträchtlich.
Wenn es zu schnell geht – Das Tipping Point Szenario
Die Überschreitung des Fördermaximums von Erdöl (Peak Oil) kann vor allem dann dramatische Konsequenzen für die Weltwirtschaft haben, wenn ein Unterversorgungsszenario so schnell vorliegt, dass eine Anpassung nicht möglich ist. Das Ausmaß dieser Konsequenzen wird sich nicht nur durch einen Rückgang des Wachstums der Weltwirtschaft messen lassen. Die Ausführungen der Autoren zeigen, dass auf der Skala möglicher, Peak-induzierter Wachstumseinbußen ein Tipping Point existiert, der von einer langsamen und vorhersagbaren Systematik in eine rasche und chaotische Entwicklung führt.
Das Phänomen der Tipping Points in komplexen Systemen ist aus der Mathematik seit langem unter dem Begriff „Bifurkation“ bekannt. In letzter Zeit wird vor allem im Bereich der Klimaforschung auf mögliche „Kipp-Prozesse“ hingewiesen. Tipping Points zeichnen sich dadurch aus, dass bei ihrem Erreichen das System nicht mehr proportional auf Änderungen reagiert, sondern chaotisch. So hätte eine geringe Änderung der Temperatur an einem solchen Punkt einen drastischen Effekt auf ein Ökosystem. Der Golfstrom würde also nicht proportional zur Erderwärmung langsamer, sondern stoppt plötzlich ganz. Ebenso setzt der Monsun ab einem gewissen Punkt aus und wird nicht einfach nur schwächer.
Intuitiv mag es eher einleuchten, dass eine Phase langsam sinkender Ölfördermengen zu einer ebenso langsam sinkenden Wirtschaftsleistung führt. Der Peak Oil würde einfach das Wohlstandsniveau für eine Weile zurückdrehen, während derer dann technologische Lösungen gefunden werden könnten. Diese Intuition täuscht: Ökonomien bewegen sich innerhalb eines engen Bandes relativer Stabilität. Innerhalb dieses Bandes sind Konjunkturschwankungen und andere Schocks möglich, die Funktionsprinzipien bleiben aber die gleichen und sorgen für neue Gleichgewichte innerhalb des Systems. Außerhalb dieses Bandes reagiert aber auch dieses System chaotisch.
Im Gegensatz zur Klimaforschung lässt sich in der Volkswirtschaftslehre zumindest eine Grenze dieses Bandes klar benennen: Ein ökonomischer Tipping Point besteht dort, wo – zum Beispiel in Folge des Peaks – die Weltwirtschaft auf unbestimmbare Zeit schrumpft. In diesem Fall wäre eine Kettenreaktion die Folge, die das Wirtschaftssystem destabilisiert und damit allen weiteren sicherheitspolitischen Ableitungen den analytischen Rahmen entzieht.
Der Verlauf eines chaotischen Tipping Point Szenarios
Schritt 1: Die Gesamtfördermenge von Erdölprodukten sinkt.
Der Peak Oil tritt ein und der Rückgang der Fördermengen konventionellen Erdöls kann zumindest in absehbarer Zeit nicht vollständig durch Fördersteigerungen aufgefangen werden. Der Ausdruck „absehbar“ ist hier von besonderer Bedeutung. Er führt im Endeffekt zu einem Verlust des Vertrauens in Märkte.
Schritt 2: Kurzfristig reagiert die Weltwirtschaft proportional zum Rückgang des Ölangebots.
- Steigende Ölpreise senken den Konsum und den Output. Es kommt zu harten Rezessionen.
- Der steigende Anteil der Transportkosten verteuert alle gehandelten Waren. Die Handelsvolumina gehen zurück. Für einige Akteure brechen lediglich Einnahmequellen weg, andere können sich lebensnotwendige Nahrungsmittel nicht mehr leisten.
- Staatshaushalte geraten unter extremen Druck. Die Ausgaben für die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung (Verteuerung der Nahrungsmittelimporte) oder Sozialausgaben (steigende Arbeitslosigkeit) konkurrieren mit den notwendigen Investitionen in Erdölsubstitute und Green Tech. Die Einnahmen sind durch die Rezession und die notwendigen Steuererleichterungen dabei erheblich gemindert.
Schritt 3: Mittelfristig bricht das globale Wirtschaftssystem und jede marktwirtschaftlich organisierte Volkswirtschaft zusammen.
- Die Wirtschaftssubjekte realisieren die dauerhafte Kontraktion und müssen von einer nachhaltig schrumpfenden Weltwirtschaft ausgehen.
- Tipping Point: In einer auf unbestimmte Zeit schrumpfenden Volkswirtschaft werden Ersparnisse nicht investiert, weil Unternehmen keine Gewinne machen. Unternehmen sind auf unbestimmte Zeit nicht mehr in der Lage, Fremdkapitalkosten zu zahlen oder Gewinne an Eigenkapitalgeber auszuschütten. Das Bankensystem, die Börsen und die Finanzmärkte insgesamt brechen zusammen.
- Die Finanzmärkte sind das Rückgrat der Weltwirtschaft und ein integraler Bestandteil moderner Gesellschaften. Alle anderen Subsysteme haben sich co-evolutionär mit dem Wirtschaftssystem entwickelt. Eine Desintegration kann deshalb nicht im Rahmen des heutigen Systems analysiert werden. Es würde sich ein völlig neuer Systemzustand einstellen.
Zur Verdeutlichung sollen trotzdem einige theoretisch plausible Konsequenzen skizziert werden:
- Banken verlieren ihre Geschäftsgrundlage. Sie können Einlagen nicht verzinsen, weil sie keine kreditwürdigen Unternehmen finden
- Vertrauensverlust in Währungen. Der Glaube an die Wert erhaltende Funktion des Geldes geht verloren. Es kommt erst zu Hyperinflation und Schwarzmärkten, dann zu einer tauschwirtschaftlichen Organisation auf lokalem Level.
- Kollaps von Wertschöpfungsketten. Arbeitsteilige Prozesse basieren auf der Möglichkeit des Handels mit Vorprodukten. Die Abwicklung der dazu notwendigen Geschäfte ohne Geld ist extrem schwierig.
- Kollaps ungebundener Währungssysteme. Wenn Währungen ihren Wert in ihrem Ursprungsland verlieren, sind sie auch nicht mehr gegen Devisen eintauschbar. Internationale Wertschöpfungsketten kollabieren ebenfalls.
- Massenarbeitslosigkeit. Moderne Gesellschaften sind arbeitsteilig organisiert und haben sich im Verlauf ihrer Geschichte immer weiter ausdifferenziert. Viele Berufe haben nur noch mit der Verwaltung dieses hohen Komplexitätsgrades zu tun und nichts mehr mit der direkten Produktion von Konsumgütern. Die hier angedeutete Komplexitätsreduktion von Volkswirtschaften hätte in allen modernen Gesellschaften einen extremen Anstieg der Arbeitslosigkeit zur Folge.
- Staatsbankrotte. In der beschriebenen Situation brechen Staatseinnahmen weg. Die Möglichkeiten der Verschuldung sind stark begrenzt.
- Zusammenbruch kritischer Infrastrukturen. Weder die materiellen noch die finanziellen Ressourcen sind für die Aufrechterhaltung der Infrastrukturen ausreichend. Erschwerend kommen die Interdependenzen von Infrastrukturen untereinander und mit verschiedenen Subsystemen hinzu.
- Hungersnöte. In letzter Konsequenz wird es eine Herausforderung darstellen, Nahrungsmittel in ausreichender Menge zu produzieren und zu verteilen.
Teil 2 in der kommenden Ausgabe zeigt die möglichen Probleme und Lösungsansätze.
Dr. Jan Kai Dobelmann