Die Auswirkungen einer Ölknappheit
Teil 2 der Analyse der Bundeswehr- Studie „Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert – Umweltdimensionen von Sicherheit“. Teil 1 hatte sich unter anderem ausführlich mit den Auswirkungen von Peak Oil und möglichen chaotischen Entwicklungen, wie dem Tipping Point Szenario, befasst. Teil 2 zeigt weitere Konsequenzen.
Anlayse der Folgen des Peak Oil ...
Die Studie nimmt eine detaillierte Analyse der Folgen von Peak Oil vor, die sich mit großen Auswirkungen auf die globale Wirtschafts- und Politikordnung niederschlagen werden.
... Volatilität und Vertrauensverlust
Bei sich verändernden Interessen und Prioritäten könnte eine zunehmende Konditionierung der Lieferbeziehungen entlang der Bedürfnisse der Förderländer zu wechselnden Allianzen und insgesamt abnehmender Stabilität zwischen Importeuren und Exporteuren führen. Während Abnehmern ein grundsätzliches Interesse an stabilen, langfristigen Beziehungen unterstellt werden kann, wäre eine Volatilität (Schwankung von Finanzmarktparametern wie Aktienkursen und Zinsen) der Bindungen für Anbieter dann opportun, wenn sie ohne nachhaltige wirtschaftliche Nachteile und mit politischer Einflussmaximierung einherginge. Dies wäre dann der Fall, wenn sich die Volatilität der Lieferbeziehungen nicht in einer Volatiliät der Exportgewinne niederschlüge.
... Moral-Hazard Verhalten
Energiediplomatie rückte in der jüngsten Vergangenheit zunehmend in den politischen Fokus, wobei in Abwesenheit funktionierender Marktmechanismen ein Staat verliert, wenn der andere gewinnt. Diese Sichtweise wird durch die Peak-Oil-These gestützt, wenn sich die auf dem freien Markt gehandelten Ölmengen relativ verringern. Obwohl es im Allgemeinen internationalen Interesse wäre, mit Hilfe von Energiediplomatie die Marktkräfte zu stärken und so die Effizienz bei der Verteilung knapper Ressourcen zu steigern, ist mit dem in diesem Zusammenhang bekannten Moral-Hazard- Verhalten einzelner Akteure zu rechnen. Für den einzelnen Staat gibt es selbst bei funktionierenden Märkten Anreize, sich auf Kosten der Allgemeinheit und mit Hilfe politischer Mittel Vorteile zu sichern. Die hieraus resultierende Unsicherheit aller Akteure könnte sich negativ auf die Vertragstreue und Verlässlichkeit in den internationalen Energiebeziehungen auswirken.
... Geheimdiplomatie für Energiepolitik
Zum Schutz von Öllieferungen und bilateralen Abkommen erscheint auch eine Intensivierung der Geheimdiplomatie plausibel. Angesichts der skizzierten Voraussetzungen und der zu erwartenden Zunahme von Misstrauen und Unsicherheit würde ein freier und transparenter Zugang zu nationalen Energieressourcen, Märkten und Handel mit Energiedienstleistungen zunehmend unwahrscheinlicher.
... Strategie wirtschaftlicher Abhängigkeit
Mit politischen Ansätzen wie der Öl- und Gasmarktstrategie zielt die Bundesregierung schon heute darauf ab, durch enge Verflechtungen mit wichtigen Energielieferanten eine Situation zu schaffen, in der eine hohe wirtschaftliche Abhängigkeit entsteht. Gleichzeitig werden Bezugsquellen und Transitrouten diversifiziert, zum Beispiel durch den Bau der Ostseepipeline „Nord Stream“. Rohstoffvorhaben der deutschen Wirtschaft werden über Hermes-Bürgschaften gefördert und abgesichert. Ebenfalls von großer Bedeutung für die bilateralen Energiebeziehungen sind Initiativen zur Schaffung von Transparenz, um zu funktionierenden Märkten beizutragen. Vor dem beschriebenen Hintergrund eines Peak Oil müssten solche Ansätze nachdrücklich vertieft und weiterentwickelt werden.
... Erschwerte Herkunftsdiversifizierung = Erpressbarkeit
Öl importierende Länder werden zur Vermeidung bzw. Reduzierung der Einflussnahme einzelner Exportländer versuchen, durch die Diversifizierung von Herkunftsländern und Energieträgern ihre Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. Wo dies nicht gelingt, kann diese Abhängigkeit zu massiven politischen Einschränkungen für Importländer führen, im schlimmsten Fall bis hin zur Erpressbarkeit.
... Bedeutung des Nahen Ostens
Durch die Konzentration der wesentlichen Erdölreserven in der „Strategischen Ellipse“ (vor allem Naher und Mittlerer Osten und Nordafrika) gestaltet sich eine Herkunftsdiversifizierung jedoch schwierig. In der Folge gewinnt die Region erheblich an Bedeutung, was zu einer verstärkten Einmischung externer Mächte zur Sicherung ihrer Interessen und Ressourcen führen kann. Dabei würden eine grundlegende Änderung der Sicherheitsarchitektur des Golfraumes, inklusive des Nahen Ostens, eine verstärkte Proliferation dieses Engagement vor besondere außen- und sicherheitspolitische Herausforderungen stellen. Insgesamt steigt durch die Notwendigkeit der Sicherung von fossilen Ressourcen im Allgemeinen und von Öl-Lieferungen im Speziellen die Wahrscheinlichkeit von regionaler Einmischung seitens Drittstaaten.
... Geopolitische Umwälzungen
Die Konzentration verbleibender konventioneller Öl- und Gasreserven hauptsächlich im Nahen Osten und Nordafrika führt aber auch dazu, dass die Länder dieser geographischen Räume in eine vorteilhafte Situation versetzt werden. So können sie zunehmend Gegenleistungen einfordern, die ihnen aus ihrer politischen Isolation heraushelfen sollen. Es kommt zu privilegierten Partnerschaften.
... Schwellenländer beeinflussen die UN-Politik
Schwellenländer treten in internationalen Verhandlungen und Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat zunehmend als Sprachrohr für die Interessen ressourcenreicher (Entwicklungs-)Länder auf und beeinflussen oder blockieren Entscheidungsprozesse zu ihren Gunsten. Auf diese Weise forcieren einige Staaten gezielt die Bildung eines politischen Gegengewichtes zu den USA, sowohl in der Region als auch im internationalen System.
... Neue internationale Bündnisse
Mit dem Abschluss neuer strategischer Bündnisse, wie beispielsweise der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit oder dem Forum Gas exportierender Länder, zeichnen sich geopolitische Umwälzungen ab. Diese könnten angesichts einer Peak-Oil-induzierten Verschärfung der Konkurrenzsituation um Erdöl und des Aufstiegs von großen Schwellenländern massive Auswirkungen, insbesondere auf die Versorgungssicherheit von westlichen Industrieländern haben. Auf Grund der wachsenden Anzahl an Staaten, die nicht mehr über Öl verfügen oder dieses nur noch für den Eigenverbrauch nutzen wollen oder können, wird sich außerdem eine Veränderung in der Mitgliedschaft der OPEC ergeben.
... Unterminierung werteorientierter Außenpolitik
Um den enormen Energiehunger ihrer wachsenden Volkswirtschaften zu stillen, werden ölimportabhängige Schwellenländer unter Rückgriff auf ein breites Instrumentarium ihr Engagement in ölreichen Ländern weiter verstärken. Sie engagieren sich dabei als Handelspartner, Investoren, Technologie- und Waffenlieferanten, Kreditgeber oder Entwicklungshelfer. Dieses zunehmende Engagement der Schwellenländer, insbesondere Chinas, in Drittländern folgt überwiegend pragmatischen Überlegungen und enthält eine geringere oder keine normativ-politische Konditionierung, wie sie in der Vergangenheit vielfach von liberalen westlichen Demokratien praktiziert wurde. Letzteren könnte vor diesem Hintergrund ein massiver Einflussverlust im Wettbewerb um das knappe Öl drohen. Angesichts der Notwendigkeit, kurzfristig die Energieversorgung zu sichern, könnte Pragmatismus zu einem zunehmend bestimmenden Element in den zwischenstaatlichen Beziehungen werden.
... China ändert Außenpolitik
Vor dem Hintergrund des globalen Peak Oil ist anzunehmen, dass auch China, dessen Politik traditionell vom Motiv der Nichteinmischung geleitet ist, seinen politischen Kurswechsel hin zu einer pragmatischen und regional breit aufgestellten Außenpolitik zum Zweck einer nachdrücklichen Energiesicherung fortsetzen wird. Schon heute wird China vorgeworfen, außen- und entwicklungspolitische Prinzipien westlicher Industrieländer zu unterlaufen. In der Zukunft werden Forderungen nach dem Schutz der Menschenrechte, nach guter Regierungsführung oder demokratischer Entwicklung verstärkt dem Primat der Energiesicherung geopfert und in den Beziehungen zwischen ölimportabhängigen Staaten und Förderländern kaum mehr eine Rolle spielen. Es ist anzunehmen, dass die Beziehungen westlicher Industrienationen zu ressourcenarmen Ländern von diesem scheinbaren „Werteverfall“ unberührt bleiben. Im Dienste der Energiesicherung kommt es folglich zu ausgeprägten außenpolitischen Doppelstandards.
Die durch Peak Oil entstehenden Probleme ...
Durch Peak Oil entstehen eine Reihe von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen, die die Studie detailliert auflistet und analysiert.
... ökonomische Krisen
Die Autoren stellen fest, dass sich moderne Volkswirtschaften auf Basis billiger fossiler Rohstoffe, insbesondere des Erdöls ausdifferenziert haben. Sowohl der Individualverkehr als auch der Gütertransport sind erdölbasiert. In beiden Bereichen wird ein stark erhöhter Ölpreis massive Auswirkungen haben. Die sicherheitspolitischen Folgen bestehen in einer Fragmentierung besonders betroffener Gesellschaften sowie ökonomischen und politischen Systemkrisen.
... Einschränkungen im Individualverkehr
Die starke Verteuerung und teilweise massive Einschränkung des motorisierten Individualverkehrs hat unmittelbare Wirkung auf die Funktionsmechanismen und Lebensgewohnheiten moderner industrialisierter Gesellschaften. Wenngleich kurzfristige Engpässe über regulatorische oder freiwillige Maßnahmen gemildert werden könnten („Mobilitätsgutscheine“, „autofreier Sonntag“ etc.), begrenzen insbesondere die Siedlungsstrukturen in den entwickelten Ländern (Leben in der Vorstadt, Arbeiten in der Innenstadt) eine beschleunigte Transformation im Individualverkehr. Alle damit zusammenhängenden Wirtschaftssektoren würden im Falle starker Einschränkungen in einen Abschwung geraten – von der Automobilindustrie über das Baugewerbe bis hin zum Tourismus. Die „Mobilitätskrise“ würde zu einer neuen Ausprägung der Wirtschaftskrise.
... Einschränkungen im Güterverkehr
Noch ernstere Auswirkungen kann die Verteuerung des Güterverkehrs haben. Die internationale Arbeitsteilung globaler Prozess- und Güterketten von Waren aller Art wurde maßgeblich durch technische Fortschritte im Frachtverkehr (Containerschiffe, Lastkraftwagen, Kühlsysteme) ermöglicht, welcher auf fossilen Treibstoffen basiert. Im Unterschied zum Individualverkehr ist eine Elektrifizierung des Güterverkehrs in ausreichendem Umfang technisch noch nicht möglich.
... Versorgungskrisen
Die Wahrscheinlichkeit schwerer, sicherheitspolitisch relevanter Versorgungskrisen ist dort am größten, wo bereits heute geringe Level der Nahrungsmittelsicherheit vorherrschen. Probleme der inländischen Produktion oder generell unsicherer Handelsbeziehungen würden durch Preisschwankungen noch stärker ins Gewicht fallen. Nahrungsmittelengpässe können allerdings auch in autarken Staaten zum Problem werden, wenn die Produktion in verschiedenen Landesteilen stark unterschiedlich ausgeprägt und die Verteilung ineffizient ist oder als ungerecht empfunden wird. Aus europäischer Sicht ist insbesondere ein Band der Instabilität vom Nahen bis zum Mittleren Osten eine große Gefahr. Die bestehenden Konflikte könnten sich im Falle humanitärer Notlagen noch weiter verschärfen.
... Transformation von Wirtschaftsstrukturen
Länder wie Deutschland sind in der Grundversorgung mit Nahrungsmitteln annähernd autark, wenngleich die Konsequenzen des Peak Oil in einigen Bereichen der Landwirtschaft durchaus ernsthaft sein können. Hier kämen vor allem die Auswirkungen der Transformation der gesamten Wirtschaftsstruktur zum Tragen. Da Erdöl direkt oder indirekt zur Produktion von 95% aller Industriegüter benötigt wird und eine Verteuerung damit fast alle Preisrelationen verschiebt, müssen sich der Konsum und damit auch die inländische Produktion und der Außenhandel dauerhaft auf die neuen Ölpreise einstellen. Die Übertragungskanäle eines Preisschocks sind deshalb ebenso vielfältig wie die Verwendungsmöglichkeiten des Erdöls und die Möglichkeiten zur Ausdifferenzierung von Wertschöpfungsketten.
... Bedrohung der deutschen Automobilindustrie
Die deutsche Automobilindustrie sei hier als Beispiel angeführt: Sowohl die Produktion, als auch der Vertrieb und die Nutzung von Kraftfahrzeugen würden sich verteuern, eine grundlegende Neuausrichtung der Branche wäre nötig.
... Transformationsarbeitslosigkeit
Die Anpassung der Wirtschaftsstrukturen wird mit Friktionen am Arbeitsmarkt einhergehen und auch zu Transformationsarbeitslosigkeit führen. Diese ist als eine Folge dieser Umbrüche sehr wahrscheinlich. Sie gilt als eine besondere Form der strukturellen Arbeitslosigkeit, die aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen in Transformationsländern entstehen kann. Auch Deutschland ist seit der Wiedervereinigung davon betroffen. Im Besonderen kann sich eine Entwertung des Humankapitals der Arbeitnehmer vollziehen, da aufgrund des Strukturwandels Qualifikationen durch andere Anforderungen abgelöst werden. Transformationsarbeitslosigkeit kann sowohl wegen ihres Umfangs als auch ihrer Dauer zu einem großen volkswirtschaftlichen Problem werden.
Analyse der durch Peak Oil eintretenden Veränderungen ...
Durch Peak Oil werden dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen System eine Reihe von massiven Veränderungen aufgezwängt, an deren Bewältigung sich das Wohl des westlichen Welt entscheidet.
... Transformationsprobleme ohne historische Beispiele
Gesellschaften die sich in der Transformation befinden, können zum Teil auf die Ankerfunktion und Orientierungshilfen von Staaten bzw. Gesellschaften zurückgreifen, die diesen Transformationsprozess bereits abgeschlossen haben und aus den Erfolgen und Misserfolgen die Schlussfolgerungen für das eigene Handeln ziehen. Der Übergang in eine post-fossile Gesellschaft stellt jedoch alle vor die gleiche Herausforderung, da es noch keine Best-Practice-Modelle gibt und aufgrund der Neuartigkeit der Situation auch nicht geben kann. Hinzu kommt, dass es innerhalb der Transformationsländer Unterschiede, beispielsweise hinsichtlich der Wirtschaftsstruktur wie auch der bis dato erfolgten energiepolitischen Anstrengungen und der Schaffung von energieeffizienten Strukturen gibt. Von Bedeutung sind ebenfalls die Reformbereitschaft, die jeweiligen wirtschaftspolitischen Prioritäten und die institutionellen Kapazitäten der Staaten.
... Marktversagen und Rationierung
Als direkte Folge bleibt somit festzuhalten, dass unter den Bedingungen der in den letzten Jahrzehnten gewachsenen globalen und nationalen Wirtschaftsstrukturen marktwirtschaftliche Mechanismen zu Unterversorgung und sogar zu einem Teil- oder Komplettversagen von Märkten führen können. Regierungen werden deshalb dort, wo die Koordinierung von Angebot und Nachfrage nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann, zu alternativen Lösungen kommen müssen. Eine vorstellbare Alternative wäre, dass staatliche Rationierungen und die Zuteilung wichtiger Güter oder auch die Aufstellung von Produktionsplänen und andere Zwangsmaßnahmen kurzfristig marktwirtschaftliche Mechanismen in Krisenzeiten ersetzen.
... Staatsfonds und staatliche Investitionen
Staatsfonds könnten noch mehr als bisher an Bedeutung gewinnen und vor allem nationale Investitionsprogramme der Regierungen koordinieren. In einem solchen Fall kämen für die betroffenen Bevölkerungen nun zwei ungünstige Entwicklungen zusammen. Zum Einen erleben sie einen sinkenden Wohlstand wegen der ansteigenden Arbeitslosigkeit. Empirische Untersuchungen für den OECD-Raum belegen, dass Wachstumseinbußen zu einem Stimmenzuwachs rechter und nationalistischer Parteien führen. Zum Anderen durchleben die Bevölkerungen eine Vertrauenskrise. Eine Krise der Marktwirtschaft während der Transformation zu einer post-fossilen Gesellschaft einerseits und die möglichen Vorteile zentralistischer und autoritärer Maßnahmen andererseits, können durch Teile der Bevölkerungen durchaus als allgemeine Systemkrise begriffen werden, so dass auch hier Raum für diverse ideologische und extremistische Alternativen entsteht. Eine Fragmentierung der betroffenen Bevölkerungen ist dann wahrscheinlich und kann im Extremfall auch zu offenen Konflikten führen.
... Vertrauensverlust der Gesellschaft
Das Vertrauen in staatliche Institutionen und die Politik dürfte in solchen Gesellschaften noch weiter geschwächt werden, in denen dieses bereits geschwächt ist. Vor allem wenn es offensichtlich wird, dass es die Regierungen versäumt haben, angemessene Lösungsstrategien zu erarbeiten und der Gesellschaft in dieser Umbruchsphase damit Orientierung zu bieten. Der Vertrauensschwund kann sich in einer Vertrauenskrise gegenüber der Politik verfestigen. Eine Gesellschaft ist jedoch ohne Vertrauen nicht überlebensfähig, was insbesondere das Vertrauen in die Vertreter der zentralen gesellschaftlichen Institutionen einschließt.
... Gefährdung von Bündnissen
Politikverdrossenheit kann einerseits Lethargie oder Fatalismus hervorrufen und andererseits zu politischer Instabilität und anwachsendem Extremismus führen. Empirische Untersuchungen für Europa zeigen, dass es vor allem in Ländern mit hohen Einkommensunterschieden und einer eher im linken politischen Spektrum zu verortenden Bevölkerung am ehesten zu Vertrauensverlusten in staatliche Institutionen kommt. Dies träfe damit vor allem auf die noch jungen Demokratien Osteuropas zu, in denen staatliche Institutionen noch keinen dem westeuropäischen vergleichbaren Vertrauensvorschuss erwerben konnten. Aus europäischer Sicht könnte damit die Integrität der Europäischen Union (EU) gefährdet werden, da der beschriebene Vertrauensverlust auf nationalem Level auch zu einem erhöhten Legitimationsdefizit der europäischen Institutionen führen kann. Die Fragmentierung der Gesellschaften innerhalb der europäischen Staaten erschwert zudem die Konsensfindung auf supranationalem Level und kann zu einer Lähmung europäischer Instanzen beitragen, deren Handlungsfähigkeit dadurch eingeschränkt werden kann. Gleiches gilt für Verteidigungsbündnisse.
... Akteure sind überfordert
Der Peak Oil wird die meisten Staaten vor enorme wirtschaftliche und politische Herausforderungen stellen. Die massiven Belastungen der politischen Systeme und der Wirtschafts- und Finanzsysteme sowie die Verknappung und Verteuerung des zentralen Treibstoffbestandteiles werden zu Einschränkungen der Mobilität vor allem großer Transportmittel über weite Entfernungen führen. Damit werden Interventionen jeder Art für alle relevanten Akteure sowohl teurer als auch schwieriger, während auf Grund der Menge und Intensität der eigenen inländischen Probleme weniger Aufmerksamkeit und vor allem Ressourcen zur Verfügung stehen. Daher können die meisten Akteure nur noch selektiv agieren.
... Fokussierung auf eigene Probleme
In der Phase starker externer Zwänge und vielfältiger, Peak-Oil-induzierter Schwierigkeiten und Notlagen sehen sich Staaten zunächst gezwungen, sich auf die Lösung der eigenen Probleme zu konzentrieren. Vor allem in den demokratischen Industriestaaten besteht ein hoher innenpolitischer Druck, Lösungen für die schwere wirtschaftliche Schieflage zu finden. Die vielen Folgeeffekte der reduzierten Ölmenge, der steigenden Transportkosten und des insgesamt sinkenden Wirtschaftswachstums führen zu einer Fokussierung der staatlichen Ressourcen auf die unmittelbare eigene Problemlösung. Ein Einsatz zur Unterstützung notleidender Staaten könnte daher stark eingeschränkt werden.
Vor diesem Hintergrund nimmt die schon bestehende Selektivität von Interventionen weiter zu – im gesamten Spektrum von humanitären Hilfeleistungen bis hin zu militärisch abgesicherter, im UN-Rahmen vereinbarter Unterstützung. Die drastische Reduzierung und das Unterlassen von Hilfeleistungen jedweder Art werden im internationalen System zum Normalfall. Staaten werden für ihre Hilfe gezielt Partner suchen, die sie im Hinblick auf eigene Interessen und Vorteile auswählen. Bilaterale Unterstützung wird nur noch dort gewährt, wo Vorteile für die eigene Problembewältigung erwartet werden. Damit konzentriert sich das Interesse an Zusammenarbeit auf diejenigen Fälle, wo Entwicklungsländer mittel- und langfristig den Zugang zu wichtigen Ressourcen öffnen. Damit treten neben den unmittelbar Öl und Energierohstoffe exportierenden Nationen auch Staaten im unmittelbaren Umfeld in den Vordergrund, die eine Bedeutung für den Transport dieser Güter besitzen. Das Verhalten von Staaten wird in diesem Sinne „egoistischer“ und noch stärker an den eigenen Interessen ausgerichtet
... Logistikkosten überfordern Helfer
Auch Nichtregierungsorganisationen (NRO) werden auf Grund zu erwartender Spendenrückgänge nicht in der Lage sein, diese Lücke zu füllen. NRO und IO (Internationale Organisationen) werden in ihrer Hilfeleistung wie auch die Staaten selektiver vorgehen müssen. Damit wird es tendenziell zu einem Bedeutungsrückgang der IO und NRO in ihren Aufgabengebieten, aber auch im gesamten internationalen System kommen. Zusätzlich wird die moralische Stärke der IO und NRO geschwächt, da ihre angestrebte unvoreingenommene, unbedingte und in einzelnen Notlagen tendenziell unbeschränkte Hilfe noch weniger gewährleistet werden kann. Im Extremfall wird zudem ein Bedeutungswandel eintreten, wenn die Organisationen sich auf Grund ihrer begrenzten Handlungsfähigkeit spezielle Partner suchen müssen. Der breite, oft globale Ansatz großer Organisationen wird dann zunehmend enger und fokussierter werden müssen. Bilaterale Hilfsbeziehungen, bei denen sich die Organisationen auf bestimmte einzelne Partner konzentrieren, und unter Umständen entsprechende Klientelpolitik, werden vor diesem Hintergrund denkbar. Es vollzöge sich also eine Fokussierung des Tätigkeitsspektrums der Organisationen bei insgesamt sinkenden Möglichkeiten.
Nordkorea als mahnendes Beispiel für den deutschen Agrarsektor ohne Öl?
Ein Beispiel für mögliche Konsequenzen ist die Entwicklung Nordkoreas nach dem Zerfall der Sowjetunion: Die UdSSR verhalf Nordkorea nach dem Koreakrieg zu einer modernen und produktiven Landwirtschaft. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR versiegte plötzlich der Zufluss billigen Erdöls. Landwirtschaftliche Maschinen mussten stillgelegt werden. Die Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden wurde durch die überdüngten Böden erschwert, obwohl der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten von 25% auf 36% gesteigert wurde, um den Ausfall von geschätzten 80% der landwirtschaftlichen Maschinen auszugleichen. Zwischen 1989 und 1998 fielen die Ernteerträge trotzdem um 60%.
Fazit der Analysten in Uniform
Anschaulich ist, an was man sich gewöhnt hat. Das Durchdenken der Konsequenzen des Peak Oil wird nicht von den alltäglichen Erfahrungen und nur partiell von historischen Parallelen geleitet. Entsprechend schwierig ist es, sich vorzustellen, welche Bedeutung ein sukzessiver Entzug einer der wichtigsten Energiequellen unserer Zivilisation haben kann. Psychologische Barrieren sorgen für das Ausblenden an sich unbestreitbarer Fakten und führen zu fast instinktiver Ablehnung einer eingehenden Auseinandersetzung mit dieser schwierigen Thematik.
Peak Oil ist unvermeidlich
Der Eintritt des Peak Oil ist jedoch unvermeidlich. Diese Teilstudie zeigt, dass das sehr ernst zu nehmende Risiko besteht, dass eine durch nachhaltige Knappheit von wichtigen Rohstoffen ausgelöste globale Transformationsphase von Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen nicht ohne sicherheitspolitische Friktionen vonstatten gehen wird. Die Desintegration komplexer Wirtschaftssysteme inklusive ihrer unabhängigen Infrastrukturen hat teilweise schwerwiegende Auswirkungen auf viele Lebensbereiche, auch und insbesondere in Industrieländern.
Umstellung der Wirtschaft entscheidend
Nach den hier vorliegenden Ergebnissen sind die auf den Peak Oil folgenden Entwicklungen für Deutschland mit großen Unsicherheiten behaftet. Die Benennung konkreter Gefahren ist zwar möglich, soll aber nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der Großteil der auf uns zukommenden Herausforderungen im Dunkeln liegt. Die wahrscheinlich wirkungsvollsten Lösungsstrategien befassen sich deshalb nicht mit der Entwicklung zielgerichteter Gegenmaßnahmen, sondern mit systemischen „Grundtugenden“ wie Unabhängigkeit, Flexibilität und Redundanz.
Russland wird wichtiger
Auch gegenüber Russland wird eine zwischen europäischen und nationalen Interessen ausgewogene Energieaußenpolitik wichtiger. Moskau sollte die Möglichkeit einer differenzierenden Energieaußenpolitik auch gegenüber den Staaten der EU eingeräumt werden, wenn als Alternative für Deutschland eine Verschlechterung der bilateralen Beziehungen zu befürchten wäre. Gleichzeitig darf dies nicht dazu führen, dass Russland Europa in entscheidenden Fragen der Energiesicherheit über Gebühr spaltet. Die bisherige Strategie der Förderung der Verflechtungen auf Unternehmensebene scheint hier weiterhin erfolgversprechend, sollte aber in einen größeren europäischen Kontext gesetzt werden.
Abhängigkeiten müssen von der Gesellschaft erkannt werden
Ressort- und ebenenübergreifend müssen Anstrengungen unternommen werden, um die komplexen Abhängigkeiten von Infrastrukturen und ausdifferenzierten Wertschöpfungsketten besser verstehen und steuern zu können. Hier ist ein Umdenken bezüglich der Bewertungsmaßstäbe erforderlich: Nicht nur Effizienz, sondern zunehmend auch Robustheit wird ein Kriterium nachhaltiger Politik.
Die Transformation zu post-fossilen Gesellschaften hängt in besonderem Maße von der Verfügbarkeit nicht-fossiler Technologien ab. Auch hier scheinen nachhaltige Lösungen problematisch. Die Substitution einer Abhängigkeit durch eine andere, beispielsweise durch seltene Metalle, ist langfristig nicht zielführend. In jedem Fall werden aber nicht-fossile Antriebstechnologien zu einer Schlüsselkompetenz post-fossiler Gesellschaften.
Ökonomische Hürden bei präventiven Maßnahmen
Die vorliegenden Ergebnisse geben Ansatzpunkte für weiteren Forschungsbedarf. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die maßgeblichen Hürden einer Vorbereitung auf drastische Verknappungen der Ressourcenbasis der deutschen Volkswirtschaft wahrscheinlich im Bereich geeigneter präventiver Maßnahmen liegen werden. Der mit diesen verbundene Paradigmenwechsel widerspricht ökonomischer Logik und kann deswegen nur in begrenztem Umfang Marktkräften überlassen werden.
Lösungsansatz: Dezentralität
Auch wenn die in dieser Studie dargestellten Entwicklungen nicht zwangsläufig eintreffen werden, ist eine Vorbereitung auf den Peak Oil doch notwendig und sinnvoll. Der Faktor Zeit kann für den Erfolg der Transformation zu post-fossilen Gesellschaften entscheidend sein. Um demokratische Entscheidungsprozesse zu beschleunigen, müssen die Gefahren einer erodierenden Ressourcenbasis im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert werden. Nur so kann das notwendige Problembewusstsein für anstehende Weichenstellungen entstehen. Gleichzeitig müssen eigene Möglichkeiten der Vorbereitung geprüft und ergriffen werden. Dezentrale Lösungsansätze können zwar von zentraler Stelle gefördert, aber in der Regel nicht entwickelt und implementiert werden.
Alles in allem haben die Bundeswehrstrategen einen gründlichen Bericht über die Inhalte, Aspekte, Probleme und Gefahren von Peak Oil geliefert. Sie sagen wenig zu Möglichkeiten, den Problemen zu entgegnen und erwähnen die Rolle der Erneuerbaren Energien bei der Bekämpfung der Problematik kaum, aber die Situationsanalyse ist in all ihrer Klarheit erschreckend. Dieser Bericht hat es eigentlich nicht verdient, in der Schublade des Verteidigungsministers zu versauern, sondern sollte von allen Bürgern, Geschäftsleuten und Verantwortungsträgern gelesen und ernst genommen werden.
... Marktwirtschaft in Bedrängnis
Der globale Ölmarkt wird langfristig nur mehr eingeschränkt den freien marktwirtschaftlichen Gesetzen folgen können. Bilaterale, konditionierte Lieferbeziehungen und privilegierte Partnerschaften treten, wie bereits vor den Ölkrisen der 1970er Jahre, wieder in den Vordergrund. Da diese Beziehungen vor dem Hintergrund abnehmender Fördermengen und der Notwendigkeit, den Eigenbedarf zu decken, zunehmend selektiver werden, ist anzunehmen, dass attraktive Gegenleistungen ein entscheidendes Kriterium für die Auswahl der bevorzugten Empfängerländer sein werden. Abnehmer, welche entsprechende Angebote erbringen beziehungsweise die jeweiligen Bedingungen erfüllen können, werden in der Lage sein, sich vom Marktmechanismus zu lösen und eigene Preis- und Lieferabsprachen auszuhandeln.
... Waffen und Öl als Geschäftsbasis
Peak Oil schafft eine Steigerung von Koppelgeschäften. So sind beispielsweise Chinas Lieferungen von Kleinwaffen und leichten Waffen in einige afrikanische Länder eher als Mittel zur Festigung seines politischen Einflusses zu erklären. Damit einher geht der Versuch, sich Zugang zu den Ressourcen der Region, insbesondere Öl, zu sichern. Richtet sich das Geschäft im Einzelfall nach dem Bedarf des Ölanbieters, sind grundsätzlich besonders jene Güter und Leistungen geeignet, die – ähnlich wie Öl – die Wirtschaftskraft oder die Möglichkeiten der politischen Einflussnahme des Landes stärken. Hier lässt sich grundsätzlich zwischen materiellen und politischen Gegenleistungen differenzieren.
Zur ersten Kategorie gehören Rüstungsgüter, Technologien zur Erdölförderung und zum -transport, aber auch Technologien zur alternativen Energieversorgung, Fähigkeiten zum Schutz kritischer Infrastruktur, zur Exploration nichtkonventioneller Erdölquellen und zur Durchführung militärischer Operationen in extremen Klimazonen. Neben den genannten Gütern kommen aber auch der Zugang zu anderen Ressourcen, Stützpunkt- oder Transitrechte als Gegenleistung in Frage. Von besonderem Interesse sind jene Güter, die nicht im freien internationalen Handel erwerbbar sind, wie beispielsweise Nuklearmaterial. Der in diesem Zusammenhang anzunehmende Bedeutungsgewinn dieser sensiblen Güter könnte zur Folge haben, dass diese Güter betreffende Sanktionen und Restriktionen aufgeweicht werden und es neben Erdölexportländern auch zu einer Besserstellung der Anbieter dieser Güter im internationalen System kommt.
... Weltanschauung als Geschäftsbasis
Darüber hinaus ist zu erwarten, dass auch weltanschauliche Aspekte eine Rolle bei der Fokussierung der Lieferungen spielen werden. Ölimportabhängige Staaten werden in ihrer Außenpolitik zu mehr Pragmatismus gegenüber Ölanbietern gezwungen und müssen normative Aspekte dem Primat der Versorgungssicherheit unterordnen. Seitens der Ölförderstaaten ist eine politische Instrumentalisierung ihrer Machtposition und eine entsprechende Formierung von Allianzen entlang weltanschaulicher Konfliktlinien durchaus plausibel. Die außenpolitischen Beziehungen der Öl importierenden Länder untereinander sind zwar nicht durch ein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis gekennzeichnet, geraten jedoch in den Sog der Konkurrenz um begrenzte Ressourcen.
Dr. Jan Kai Dobelmann