Selbstversorgerhaus
Autark vom Stromnetz dank Photovoltaik: Auf der Vorstellung des ersten „energieautarken Hauses“ der Helma Eigenheimbau AG Ende März in Lehrte blickte Projektleiter Prof. Timo Leukefeld zurück auf die Historie der Gebäude, die sich selbst mit Energie versorgen. Es begann alles in Freiburg: 1992 gab es dort bereits das erste energieautarke Solarhaus. Es wurde damals als Nullenergiehaus konzipiert. Der Bauherr, das Fraunhofer-Institut für solare Energiesysteme (ISE), bewies damit, dass es möglich ist ein Haus zu errichten, das gänzlich ohne konventionelle Energieträger auskommt. Das Freiburger Solarhaus deckt 100% seines Energiebedarfs (Wärme und Strom) durch thermische und photovoltaische Nutzung der Sonnenenergie.
Energiekosten hoch – Baukosten runter
Zwischen dem Freiburger Solarhaus und dem Musterhaus in Lehrte liegen mittlerweile fast 20 Jahre. Vieles hat sich geändert, die Faszination, in einem autarken Gebäude zu leben ist geblieben. Auch haben sich die Energiekosten inzwischen deutlich nach oben bewegt. So gab es einen Liter Heizöl 1992 noch für umgerechnet 0,30 EUR. Dass die Kosten für Heizung, Strom und Mobilität gestiegen sind und weiter steigen werden, ist eine Binsenweisheit. Der Autarkiegedanke ist deshalb ein nach wie vor gehegter Wunsch. Aufgrund der sinkenden Investitionskosten für Erneuerbare Energien kann dieser Traum mittlerweile auch kostengünstiger realisiert werden. Waren die Baukosten in Freiburg mit 1.700.000 € noch sehr hoch, liegen sie bei dem Helma-Haus mit schlüsselfertigen 363.000 € bei nur noch knapp 20%. Allerdings sind die beiden Konzepte auch nicht direkt vergleichbar.
Das Konzept
Die Energieautarkie ist vor allem eine Netzautarkie. Mit 46 qm Kollektorfläche versorgt sich das Haus zu 65% mit Wärmeenergie, die restlichen 35% kommen von einem Kaminofen, der mit ein bis zwei Festmeter Stückholz pro Jahr beschickt werden muss. Ein neun Kubikmeter großer, ins Gebäude integrierter, Langzeitwärmespeicher sorgt dafür, dass die Sonnenwärme über einen längeren Zeitraum eingelagert werden kann. Wärmeseitig ist das energieautarke Haus somit nicht ganz unabhängig. Es benötigt zwar keinen Gas- oder Fernwärmeanschluss, die eigentliche Autarkie bezieht sich jedoch auf die elektrische Anbindung. Das Haus benötigt dank seiner Photovoltaikanlage und einem Elektroenergiespeicher keinen Stromanschluss mehr. Mit einer PV-Leistung von 8,4 kWp und einer Speicherkapazität von 48 kWh stehen den Bewohnern im Schnitt 2.000 kWh elektrische Energie pro Jahr zur Verfügung. Es kann sogar deutlich mehr verbraucht werden, solange dies nicht in den kritischen Wintermonaten oder nachts passiert. Das Projektteam hatte sich sehr ausführlich mit diesem Wert beschäftigt. In einem exemplarischen Haushalt wurde messtechnisch nachgewiesen, dass bereits 1.500 kWh genügen würden, um den Strombedarf eines Einfamilienhauses, inklusive einer „normal verschwenderischen“ Familie mit zwei Kindern zu decken.
Um dies zu erreichen, galt vor allem das Credo soweit wie möglich auf die Erzeugung von Wärme durch Strom zu verzichten. Zudem wurde sehr darauf geachtet, Standby-Verbräuche zu reduzieren. Ein nicht unwichtiger Aspekt: die Stromverbräuche der Umwälzpumpen konnten nur mittels einem hydraulischen Konzept, das auf geringste Widerstände beruht, begrenzt werden. Um jedoch ganz sicher zu gehen, wurde auf die Simulationsergebnisse noch ein deutlicher Mehrverbrauch aufgeschlagen, aus 1.500 kWh wurden somit 2.000 kWh. Das Thema Stromverbrauch im Haushalt ist ein durchaus heikles Thema, denn nach wie vor steigt der private Energieverbrauch in Deutschland. Unter dem Strich wird in privaten Haushalten heute mehr Strom und Heizenergie benötigt als Mitte der 1990er Jahre. Das geht aus den Zahlen des Umweltbundesamts hervor. So hat der Stromverbrauch von 1995 bis 2005 um 17,3% zugenommen.
2006 betrug der durchschnittliche elektrische Verbrauch eines Privathaushalts nach Berechnungen der Energieagentur NRW mit vier Personen 4503 kWh. Nach Erhebungen des Vergleichsportals check24.de im Zeitraum Juni 2007 bis März 2009 wurde ein Verbrauch von 5.149 kWh festgestellt: Das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg GmbH nennt u. a. folgende Gründe für den Anstieg des Bedarfs an elektrischer Energie trotz immer effizienterer Endgeräte:
- Vorbehalte gegenüber neuer Techniken, wie z.B. Energiesparlampen,
- steigende Komfortansprüche,
- größere durchschnittliche Wohnflächen,
- eine vermehrte Nutzung von immer größeren Geräten sowie
- die stetig sinkenden Anschaffungskosten für Haushaltswaren und Elektronik.
Fazit
Mit dem energieautarken Haus als Produkt „von der Stange“ ist man einen großen Schritt weitergekommen. Oder wie der geistige Vater des Projekts, Prof. Timo Leukefeld anmerkte: „Mit diesem Projekt wurde das postfossile Bauen vorgedacht“.
Einschub „Rebound-Effekte“
Wie viel elektrische Energie eine Standardfamilie benötigt, hängt von vielen Faktoren ab. Energieeffiziente Haushaltsgeräte fu?hren laut Dr. Stefan Thomas vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie nicht zwangsläufig zu geringeren Energieverbräuchen im Haushalt. Schuld daran sind sogenannte Rebound-Effekte. Benötigt die Technik weniger Energie, gehen Menschen sorgloser damit um, letztlich wird teilweise sogar mehr Energie verbraucht.
Direkter Rebound-Effekt
Effizientere Geräte werden weniger sparsam oder nicht dem Bedarf angepasst benutzt. Zum Beispiel werden Energiesparlampen länger angelassen, ein sparsames Auto öfter genutzt oder beim Neukauf eines effizienten Ku?hlgerätes fällt dieses größer aus als nötig. Schätzungen direkter Rebound-Effekte bewegen sich in der Regel zwischen null und 30 Prozent der durch effiziente Technik erreichten Energieeinsparung.
Indirekter Rebound-Effekt
Einspargewinne ermöglichen Handlungen, die nicht nachhaltig sind. Extrembeispiel: Eingesparte Kraftstoffkosten werden genutzt, um mit einem Billigflieger Wochenendkurzreisen zu unternehmen. Schätzungen indirekter Rebound-Effekte liegen zwischen ein bis fu?nf Prozent (Die Internationale Energie Agentur geht von etwa ein bis zwei Prozent aus, eine Studie des Wuppertal Instituts errechnete fünf Prozent)
Matthias Hüttmann