Wechselrichter statt Netzausbau
Durch die Manipulation von der Spannungshöhe mittels Solarwechselrichtern und durch regelbare Ortsnetztrafos werden Leitungen leistungsaufnahmebereiter
Tausende Kilometer neue Höchstspannungsleitungen: Die gelten derzeit in Deutschland als unabdingbar, um den steigenden Solarstrom aus Süden und den künftigen Windstrom aus Nord- und Ostsee quer durch die Republik zu transportieren. Doch es entwickeln sich Alternativen. Zwei Beispiele: Regelbare Ortsnetztrafos oder Blindleistung aus Solarwechselrichtern.
In knapp einem Jahrzehnt kommen 39 Prozent des deutschen Stroms aus Sonnen-, Wind- oder Biokraftwerken. Für diesen Öko-Stromtransport reichen weder die bestehenden 380-Kilovolt-Überlandleitungen noch deren Aufrüstung aus, meint die Deutsche Energieagentur (dena). Ohne große Stromspeicher sieht die vom Bund gegründete dena „einen Netzzubaubedarf von 3.600 km Trassenlänge.“ Ausbaukosten pro Jahr: Etwa eine Milliarde Euro. Dem widerspricht Constantin Wenzlik energisch. Dessen Solarelektrikfirma Padcon aus Kitzingen in Unterfranken hat die Software von Solarwechselrichtern so verändert, dass sie Blindleistung selbst dann liefern können, wenn keine Sonne scheint. Also selbst nachts.
Spannungsanpassung im Netz mittels Software
Elektrische Geräte, ob Motoren, Kondensatoren oder Schaltnetzteile in Computern, verschieben Strom und Spannung im Wechselspannungsnetz und erzeugen neben der vom Stromverbraucher genutzten Wirk- eine sogenannte Blindstromkomponente. Dieser Blindstrom verursacht im Netz Spannungsabfälle. Um diese zu kompensieren, können auch Wechselrichter zum Zuge kommen: Sie können die Spannungshöhe in Versorgungsnetzen anpassen, behauptet Padcon-Geschäftsführer Wenzlik. Egal, ob gerade viel, wenig oder gar kein Solar- oder Windstrom ins Netz eingespeist wird: Beim Verbraucher könne die Spannung auf dem garantierten Niveau 400/230 Volt +/– 10 Prozent gehalten werden.
In wie weit dezentrale Blindleistungsregelung aus Solarwechselrichtern den Netzausbau überflüssig machen könnte, konnte uns die dena noch nicht sagen. Klar ist aber: Neue Höchstspannungsleitungen sind bei den Bürgern nicht gerade beliebt, und deren Bau dauert wegen der umfangreichen Genehmigungsverfahren auch noch ziemlich lange.
Kein Wunder, dass Netzbetreiber wie Behörden möglichst gerne darauf verzichten würden. Von den Kosten, die am Ende die Verbraucher tragen müssen, gar nicht zu reden. Dabei sind kleine wie auch große Übertragungsnetzbetreiber dazu verpflichtet, die Netze auszubauen, wie Constantin Wenzlik weiß. Und so hat Padcon wegen seiner neuen Technik denn auch schon zahlreiche Anfragen aus der Stromnetzwirtschaft.
„Letzten Endes ist es ein Software-Update“, sagt Wenzlik, ohne auf Details einzugehen. Das Programm sei momentan „in einer 7-Megawatt-Photovoltaik-Anlage in Franken, in einem großen PV-Kraftwerk nahe Berlin sowie als reiner Netzstabilisator in der Nähe einer Verteilstation im Einsatz“, verrät er.
Auch wenn „Netzstabilität der eigentliche Grund für unsere ganze Wechselrichterentwicklung war“ – Padcon behauptet, immer noch den weltgrößten Einzel-Solareinspeiser im Programm zu haben – „Bei der Netzstabilisierung mit Blindleistung arbeiten wir aktuell nicht mit Padcon-, sondern SMA-Wechselrichtern“, gibt Wenzlik zu. Vom Kasselaner Weltmarktführer SMA bekam unsere Redaktion trotz mehrerer Nachfragen dazu keine Stellungnahme.
Wobei eigentlich heute alle größeren PV-Wechselrichter Blindleistung liefern können. Zumal die gültige „Mittelspannungsrichtlinie“ des Verbands der Elektrizitätswirtschaft dies verlangt. „Solarwechselrichter müssen mit ihrer Fähigkeit, kontrolliert Blindleistung bereitzustellen, die nutzbare Übertragungskapazität des Netzes vergrößern sowie dabei helfen, die Netzspannung zu stabilisieren und in den vorgegebenen Grenzen zu halten“, heißt es vom Wechselrichterhersteller KACO.
Doch das gilt nur, wenn Solarstrom fließt. Aber Padcon-Ingenieure haben es geschafft, „auch ohne Solarstrom Blindleistung zu produzieren. Das Thema war uns schon 2007 zum Start unserer Wechselrichterentwicklung mehr als bewusst“, sagt Geschäftsführer Wenzlik. „Heute sind wir von dieser Denkweise her beileibe nicht mehr allein. Die wirklich Großen denken alle darüber nach, Solarkraftwerksbauer wie Wechselrichterhersteller.“
Auch wenn Padcon „momentan noch weit in der Entwicklungsphase, noch lange nicht im Serienproduktions-Status“ sei: Der Konkurrenz fühlen sich die Kitzinger weit voraus. Wohl auch, weil sich ihre neue Software „auf andere, bekannte, in Serie hergestellte Geräte, wie z.B. SMA, implementieren lässt“.
Den ersten praktischen Nutzen hatte die nächtliche Möglichkeit, Blindleistung zu produzieren, bereits: „Bei jenem 7-MW-Kraftwerk in Franken konnten wir nur auf Grund unserer aktiven Netzregelung ins Netz“, ist Constantin Wenzlik sichtlich stolz auf den Entwicklungsvorsprung.
Doch der Geschäftsführer denkt ein paar Jahre voraus, an die Zeit, „wenn Solarstrom ohne Förderung durch das EEG auskommen muss. Dann kann der Netzbetreiber das Konzept als Regelkraftwerk anbieten. In EEG-Zeiten gibt es dafür kaum Nachfrage.“
Regelbare Ortsnetztrafos
Ein zweites Beispiel, den Weg der von der Bundesregierung eingeleiteten Energiewende-Wende von zentraler hin zu Stromerzeugung überall im Land von Stolpersteinen zu befreien, sind Regelbare Ortsnetztrafos (RONT). Doch auch die haben immer noch wenige Hochschul- und Industrieforscher im Blick: Gerade mal 47 Treffer ergibt die Google-Suche „regelbarer Ortsnetztrafo Feldtest.“
Bislang können die einstigen „Energieversorger“ meist nur mit teurem Netzausbau reagieren, wenn (zu) viel Strom aus Sonne, Wasser oder Biomasse in ein oft sternförmig verzweigtes Netz eingespeist wird. Denn die Mittelspannungs-Leitungen und -Kabel für 10 oder 20 Kilovolt (kV) waren eigentlich vor Zeiten des EEG nur zum Liefern von Strom an die Verbraucher geplant worden.
Heute sind aus reinen Abnehmern oft selber Lieferanten geworden. Was viele Ortsnetze überfordert. Dennoch müssen die inzwischen von der Bundesnetzagentur regulierten Netzbetreiber für jeden Hausanschluss eine (Nieder-)Spannung im Bereich 400 Volt +/– 10% garantieren.
2007 hat Prof. R. Witzmann vom Fachgebiet Elektrische Energieversorgungsnetze der TU München drei Lösungsmöglichkeiten verglichen. Die damals preiswerteste Technik war die „Blindleistungsregelung durch die Einspeise-Wechselrichter für Ökostrom“. Hier wurde eine Erhöhung der Netzbelastung in geringem Maße festgestellt. Bei der zweiten Variante, dem Einspeisemanagement funktionieren die Solarstromanlagen bei Wolkenzug nicht, Energie bleibt ungenutzt. Die dritte Möglichkeit der Spannungsregelung am Ortsnetztrafo wurde damals noch als zu kostenaufwändig angesehen. Doch neue Entwicklungen lassen nun viele Netzbetreiber hoffen, dass RONT bald die kostengünstigste Alternative sein werden.
Beispielsweise hat der norddeutsche Netzbetreiber Eon-Avacon im Juni dieses Jahres den nach eigener Aussage „ersten regelbaren Ortsnetztrafo in Deutschland“ im niedersächsischen Weyhe offiziell in Betrieb genommen. „Überraschend einfach“, nennt das Stromunternehmen den „Ansatz: Die Spannungswerte werden an der Sammelschiene in der Trafo-Station gemessen und mit dem eingestellten Sollwert verglichen. Stimmen die verglichenen Werte nicht überein, so regelt der Trafo die Spannung auf Sollwert hoch oder runter. Erfreuliches Ergebnis: Es gibt keine Spannungserhöhungen, die Spannungsqualität ist überall im Netz gleich hoch.“
Vom Hersteller des verwendeten RONT hört sich das (noch) nicht ganz so euphorisch an: „Wir sind handlungsfähig, können solche Stationen liefern. Aber das System ist noch nicht marktreif“, gibt Otmar Reichmeyer zu. Dabei verfügt die MR Maschinenfabrik Reinhausen aus Regensburg laut ihrem Kommunikationschef „als Weltmarktführer im Bereich der Spannungsregelung über einzigartiges Know-how.“ Das müsse quasi nur von heute bereits geregelten Groß- auf Ortsnetztrafos übertragen werden, wie Reichmeyer erläutert. „Ende 2012 kommt ein neuer Aktor, der den bisherigen Stufenschalter ablöst. Dann funktioniert iPOWER auch retrofit“, lasse sich also ohne Austausch des Transformators in bestehende Trafostationen nachträglich einbauen.
Erfolgversprechende Feldversuche
Bei der Zahl der Feldversuche mit RONT scheint MR hierzulande momentan auf jeden Fall führend zu sein. Denn nicht nur die laut Eon-Information „ersten drei RONT in Deutschland stehen seit Juni 2011 in Siedenburg, einem Ort zwischen Nienburg und Syke, sowie in den Wohngebieten Dreye Süd (Stadt Weyhe) und Heiligenrode/Maifeld (Stadt Stuhr).“ Schon zuvor hatten die Regensburger Testcontainer mit ihrem „iPOWER“ genannten Spannungsregelsystem ausgeliefert.
Zeitgerecht zum „Hessentag am 10. Juni 2011 startete der Energiedienstleister Süwag in Oberursel Hessens ersten RONT“, steht bei MR nachzulesen. Ein weiteres iPOWER-System betreibt das Netzunternehmen der fränkischen N-Ergie in Larrieden bei Feuchtwangen. Dieser RONT läuft sogar schon „seit November letzten Jahres erfolgreich im Pilotversuch. Erste Ergebnisse sowie detaillierte Informationen zur Technik werden Mitte 2011 erwartet“, hieß es vor einem Jahr. Doch auf unsere Nachfrage gibt sich N-Ergie-Netz zurzeit zugeknöpft.
Offener agiert dagegen der mittelständische Nürnberger Elektronikhersteller A.Eberle. Mit seiner „Regeleinrichtung für Ortsnetztransformatoren zur Unterstützung dezentraler Energieeinspeisung“ bewarb sich das Team um Geschäftsführer Till Sybel 2010 um den vom Freistaat ausgeschriebenen „Bayerischen Energiepreis“ – und gewann eine Anerkennung. Das patentierte Konzept: Neben den bestehenden Ortsnetztrafo, der die Spannung von 10 oder 20 kV auf 400/230 Volt herunter transformiert, werden mehrere kleine Zusatztransformatoren mit Anzapfung gestellt. Damit gewährleistet Eberle eine „Regelung um +/– sechs Prozent in Ein-%-Stufen.“ Das funktioniert mit Hilfe „dreier Stellglieder mit IGBTs (Leistungshalbleiter) und eines Spannungsreglers mit Parallelregelalgorithmen.“ Die Nachrüstung sei bei Ortsnetztrafos bis 630 kVA Nennleistung möglich, so der Hersteller. Der im Übrigen das RONT-System im eigenen Betrieb praktisch ausprobiert. Inzwischen laufen mehrere Testanlagen bei Industriepartnern. Doch wo genau, das will Sybel (noch?) nicht sagen.
PS: Wie erwähnt, will die Energieriesen-Tochter Eon-Avacon Mitte 2011 der erste deutsche RONT-Betreiber gewesen sein. Dabei wird jener Prototyp, den „das Forscherteam der Technischen Fachhochschule Agricola Bochum unter der Leitung von Prof. Dr. Günter Schulz entwickelt“ hat, sogar schon „seit Januar 2010 im regulären Netzbetrieb erfolgreich betrieben“. Die FH arbeitet dabei „mit dem Netzbetreiber RWE und dem Transformatorhersteller SGB“ zusammen und wird „vom Land Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Landesinitiative Zukunftsenergien gefördert und vom europäischen Fonds für regionale Entwicklung kofinanziert.“
Zwei Lösungsansätze für ein drängendes Problem, vor dem kleine wie große Stromnetzbetreiber hierzulande stehen: Das Netz für mehr Ökostrom ertüchtigen. Die Ideen sollten schnell umgesetzt werden.
Leistung: Mehr Schein als Wirk
Der Betrag der Wirkleistung (P) ist die geometrische Differenz aus Schein- (S) und Blindleistung (Q).
Formel: P2 = S2 – Q2
Das bedeutet beispielsweise: Braucht der Netzbetreiber genauso viel Blindleistung, wie der Wechselrichter (WR) an Wirkleistung ins Netz einspeist, dann ist die „Schein-Nennleistung“ des WR 1,41-fach größer zu bemessen als für reine Wirkleistungsproduktion.
Heinz Wraneschitz