Zerriebene Vergütung statt Lärmschutz
Photovoltaik-Anlagen längs von Straßen und Bahnstrecken: Auf einer Fläche, für die ein Verfahren nach §38 Satz 1 des Baugesetzbuchs (BauGB) durchgeführt worden ist“ (so §32 Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG) gelten auch im kürzlich wieder einmal solar erneuerten EEG bis zu einer Photovoltaik-Anlagen- (PVA) Leistung von 10 Megawatt klar definierte Vergütungssätze. Doch was bedeutet dieser Zusammenhang EEG-BauGB tatsächlich? Ein paar Beispiele aus Nordbayern.

In Langenzenn-Kirchfembach steht direkt neben der ICE-Strecke eine große Photovoltaik-Freiflächenanlage, Foto: Wraneschitz

Als Lärmschutzwall entsteht eine 1,2-Megawatt-PV-Anlage neben der Bahnstrecke Nürnberg-Regensburg: Die Stadt Neumarkt finanziert neben der Siedlung „Bühl" im Ortsteil Pölling das System selbst, um die Bevölkerung besser vor Lärm zu schützen, Foto: Wraneschitz
Mit 82 Projekten reduziert die Deutsche Bahn (DB) Lärm für Gleisanwohner in ganz Deutschland enorm. Vier davon sind in Nürnberg verwirklicht. Neben einer „Radsatzschmierung am Rangierbahnhof“ gingen kürzlich auch drei Lärmschutzwände mit Solarmodul-Aufsätzen offiziell in Betrieb. Auch wenn sich überall Stadtverantwortliche wie Nürnbergs Bürgermeister Horst Förther (SPD) gerne ausdrücklich „für das Engagement der Deutschen Bahn“ bedanken: Das Geld – allein 1,2 Mio. Euro für die drei Nürnberger Solarstromwände – stammt aus dem sogenannten „Konjunkturpaket II“ des Bundes. Das stellt Andreas Scheuer, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium (StS) klar.
Insgesamt 80 Mio. Euro überwies der Staat der Bahn seit 2009 für „innovative Lärmschutzmaßnahmen an Schienenwegen“. Die Mittel reichten für insgesamt 82 einzelne Lärmschutzprojekte in ganz Deutschland. 13 verschiedene Technologien wurden getestet, alle für die Bahn offenbar völlig neu. Von „besohlten Schwellen“ über „niedrige Schallschutzwände“ bis zu „verschäumtem Schotter“ spannt sich die Liste. Eine der 13 getesteten Technologien: Photovoltaik auf Schallschutzwänden.
Außer den drei Wänden in Nürnberg – insgesamt 1,3 km lang, 141 kWp PV-Leistung – hat die Bahn in Duisburg-Ruhrort genauso viele Meter Lärmschutzwand um PV-Module aufgestockt; die leisten dort 155 kWp.
Seit Juli 2012 gibt es den gedruckten Ergebnisbericht für alle Lärmschutz-Ideen. Der wird jetzt laut Andreas Scheuer „im Ministerium gemeinsam mit dem Eisenbahn-Bundesamt ausgewertet“. Vor allem werde dabei auf die Sicherheit geschaut. Danach „wird der Werkzeugkasten des DB-Lärmschutzes erweitert“, verspricht der Staatssekretär.
Neben Imagegewinn bringen Solarmodule als oberste Reihe von Lärmschutzwänden dem Bahnkonzern auch noch Einnahmen für die nächsten 20 Jahre. Für den Lärmschutz sind die verwendeten Module dagegen fast unwirksam: „Zwischen 0 und 2 dB“ hat die Bahn gemessen. Der Grund laut DB-Bericht: „Die nicht fugendichte Anbindung der PV-Elemente.“
An drei Stellen neben Gleisen im Nürnberger Stadtgebiet sind insgesamt 1.159 qm Solarmodule auf zusammen 1.387 Meter Alu-Lärmschutzwände aufgesteckt. 140.000 Kilowattstunden – laut Klaus-Dieter Josel „so viel, wie 35 Vier-Personen-Haushalte verbrauchen“ – fließen jährlich ins Netz der örtlichen N-Ergie. Die bezahlt dafür den Preis, der im EEG vorgeschrieben ist. Legt man den dortigen §32 zu Grunde, sind das 16,50 Cent pro kWh. Sollte die Anlage kurz nach dem 1. April 2012 in Betrieb genommen worden sein. Denn beim Vergütungsanspruch sind „Lärmschutzwände“ weiterhin Gebäudehüllen gleichgestellt.
Lärmschutz – Wand (nicht) gleich Wall?
Doch gilt für Lärmschutzwälle dasselbe? Die Stadt Neumarkt jedenfalls hat einen bereits bestehenden Lärmschutzwall neben der Eisenbahnstrecke Nürnberg-Regensburg im Ortsteil Pölling um eine stadteigene Photovoltaikanlage aufgestockt. Aber bislang ist nicht klar, wie hoch die Vergütung des über vier Millionen Euro teuren 1,3 Megawatt-Systems sein wird.
Nach telefonischer Auskunft ihres Pressesprechers Franz Janka lässt die Kreisstadt ihre Stadtwerke derzeit die genaue Höhe der Vergütung prüfen. Für die Anlage, die als Dach über einem Lärmschutzwall gelegt wurde, solle möglichst die Vergütung für Gebäudeanlagen nach dem EEG fließen. Wie eben für Lärmschutzwände auch. Zumindest für jenen Teil bis ein MW PV-Leistung wären das demnach 16,50 Cent pro kWh.
Dazu haben Bundesstellen aber völlig gegensätzliche Rechtsauffassungen. „Lärmschutzwälle sind keine Lärmschutzwände im Sinne des EEG. Die beschlossene Änderung des EEG 2012 ändert hieran nichts“, meint Sebastian Lovens. Genau das stehe auch im „Hinweis 2011/10“, den die vom Bundesumweltministerium beauftragte Clearingstelle EEG am 16. Dezember 2011 beschlossen habe. Lovens leitet diese private Organisation. Die Clearingstelle legt nach Rücksprache mit Verbänden fest, wie das EEG auszulegen ist. Das genaue Gegenteil erklärt Vera Moosmayer, Sprecherin des Bundesbau- und Verkehrsministeriums: Lärmschutzwälle oder -wände seien gleichwertig, und PV-Anlagen darauf deshalb auch identisch zu vergüten.
Für Andreas Scheuer, den Passauer CSU-Bundestagsabgeordneten und StS des Bauministeriums geht es bei Solarstrom „um die Energiewende, nicht um Begrifflichkeiten.“ Er stimmt in einem Gespräch mit SONNENENERGIE der Argumentation seiner Ministeriumssprecherin ausdrücklich zu – und damit gegen Lovens‘ Argumentation.
§38 Baugesetzbuch: Mehr als Autobahnen und Schienen
Auch in einem anderen Punkt widerspricht Scheuer der Clearingstelle vehement. Wenn im EEG von „§38 BauGB“ die Rede ist, seien natürlich Bundesfernstraßen gemeint, also nicht nur Autobahnen, sondern auch Bundesstraßen. Lovens` Clearing-Organisation hatte kürzlich unter der Hinweis-Nummer 2011-8 eine Regelung verkündet, nach der ausdrücklich nur für Autobahnen diese EEG-Möglichkeit gelte, PVA zu errichten. Dabei bezieht sich §38 BauGB nicht nur auf Straßen, sondern genauso auf Kanäle und Flughäfen: Auch für diese Verkehrswege wurden Planfeststellungsverfahren durchgeführt (siehe Kasten).
Und noch in einem weiteren Punkt stimmen EEG und Baugesetzbuch nicht überein. In §32(1) 3 aa) steht sinngemäß: Wenn eine PVA „im Bereich eines beschlossenen Bebauungsplans errichtet worden ist“ und sich die Anlage in einer Entfernung bis zu 110 Metern „längs von Autobahnen oder Schienenwegen“ befindet, gelte bis 10 MW installierte Leistung eine Vergütung von 13,50 Cent pro kWh. Hier stellt Katja Winkler, Sprecherin Obersten Baubehörde im Bayerischen Bau- und Innenministerium klar: „Die 110-Meter-Abstandsregelung gilt auch für §38-Flächen!“
In diese Kategorie fällt also beispielsweise der besagte Lärmschutzwall in Neumarkt-Pölling. Dort sollen die Bürger mehr Nachtruhe bekommen. Außerdem soll die 744 Meter lange PV-Anlage soll etwa 300 Haushalte mit Ökostrom versorgen.
Projektentwickler nützen §38 BauGB bereits länger
In Postbauer-Heng, gerade mal zwei Kilometer entfernt, folgt seit Ende letzten Jahres eine 2,2 MW-PVA der Sonne. Die Grundstücke gehören der Gemeinde und einem Landwirt. Geplant hat das 4,6 Mio Euro teure System die Neumarkter Tecnosun Solar Systems AG. Durch die besondere Seil-Nachführung sollen die Solarerträge 30% über jenen starrer PV-Systeme liegen, heißt es. Dabei lag der Sonnenfolger-Preis lediglich 15% höher als bei Festaufständerung.
In Fürth, an den Rändern der Bundesstraße 8, wurden schon 2009 knapp 200 Kilowatt PVA auf mehrere „Grüne Wiesen“ gebaut. Auch wenn der Bund Naturschutz Fürth meinte, die Kraftwerke stünden auf „nicht gegebenem“ Rechtssockel: Laut dem Planer wurde der Bauantrag rechtlich einwandfrei genehmigt. Dank §38 BauGB.
Dasselbe gilt sicher auch für eine PVA in Langenzenn-Kirchfembach. Die wurde vor kurzem ein paar Meter von einem Bahndamm entfernt auf eine Wiese gestellt. Die Bahnstrecke Nürnberg-Würzburg ist zwar alt, aber durch ein §38-Verfahren genehmigt. Dann gibt’s gutes PV-Vergütungsgeld vom Netzbetreiber und Pacht für den Grundstücksbesitzer.
Für viele Projektentwickler sind diese Aussichten Gründe genug, nach weiteren freien Plätzen neben Bahn, Kanal, Straße oder Flugplatz Ausschau zu halten? Gerade Lärmschutzwälle oder –wände sind dabei reizvoll: Laut Bundesbauministerium sind beide Teile gleichwertig und PV-Anlagen darauf deshalb auch identisch zu vergüten. §38 Baugesetzbuch und EEG machen es möglich.
PS: Unsere Anfrage an das Bundesumweltministerium zu diesen Fragen ist übrigens seit Ende Juni unbeantwortet: Das BMU ist Auftraggeber für die Clearingstelle EEG.
Was steht in §38 Satz 1 BauGB?
§38 Satz 1 BauGB meint Flächen, auf denen bereits „bauliche Maßnahmen von überörtlicher Bedeutung auf Grund von Planfeststellungsverfahren“ durchgeführt wurden. Also beispielsweise Schifffahrtskanäle, bedeutende Straßen, Eisenbahnstrecken. Als Korridor rechts und links nennt das EEG „eine Entfernung bis zu 110 Metern, gemessen vom äußeren Rand der befestigten Fahrbahn.“
Es ist schwer, den Bezug des §32 EEG zu „§38 BauGB Satz 1“ klar zu definieren. Deshalb hier genaue Wortlaut.
Die Überschrift: „§ 38 Bauliche Maßnahmen von überörtlicher Bedeutung auf Grund von Planfeststellungsverfahren; öffentlich zugängliche Abfallbeseitigungsanlagen“.
Im folgenden Text ist dann zu lesen: „Auf Planfeststellungsverfahren und sonstige Verfahren mit den Rechtswirkungen der Planfeststellung für Vorhaben von überörtlicher Bedeutung sowie auf die auf Grund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes für die Errichtung und den Betrieb öffentlich zugänglicher Abfallbeseitigungsanlagen geltenden Verfahren sind die §§ 29 bis 37 nicht anzuwenden, wenn die Gemeinde beteiligt wird; städtebauliche Belange sind zu berücksichtigen.“
Hier endet der erste Satz. Es folgt der zweite. Der lautet: „Eine Bindung nach § 7 bleibt unberührt. § 37 Abs. 3 ist anzuwenden.“
Heinz Wraneschitz