Die Energiwende in der Krise?
Essay in drei Teilen, Teil 3: Eine politische Schneisse für das zusammenwachsen der dezentralen Strom- und Wärmeerzeugung schlagen: Der zweite Teil dieser Trilogie über den Stand der Energiewende, der noch vor der Bundestagswahl erschienen war, endete mit der These, dass deren nächste Entwicklungsschritte „mehr die Frage einer politischen Auseinandersetzung denn eine Frage der Innovation und des technischen Fortschritts“ sei. Das mag nach den Erfahrungen mit der schwarz-gelben Bundesregierung manchem als Banalität erscheinen. Die Innovationsmaschine bei den Erneuerbaren läuft schließlich sowieso. Das Kabinett Merkel hingegen hat die Energiewende mit ihren politischen Kampagnen nicht nur bekämpft, sondern der Branche der Erneuerbaren wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Eine am Wirtschaftsstandort orientierte Industriepolitik war das nicht, sondern vielmehr ein Rollback im Interesse etablierter Strommonopole. Was sollte also politisch neu gemacht werden? Mit einer einfachen Umkehr der politischen Linie des Gespanns Altmaier-Rösler, so sie denn in der gegenwärtigen Situation einer Regierungsbildung überhaupt erkennbar ist, wäre es nicht getan. Dazu ist die Ausgangslage viel zu dynamisch. Neue Entwicklungsperspektiven und Fronten haben sich längst aufgetan. Altmaiers Strompreisbremse ist ein alter Hut und längst Geschichte.
Auf Basis der erreichten Standards stehen sich dezentrale und zentrale Technologien bei der Stromversorgung als einander ausschließende Alternativen gegenüber. Die Geschäftsmodelle der Protagonisten sind zu gegensätzlich, Strom erzeugende Bürger oder Energiegenossenschaften, kurz Mittelständler, und Oligopole passen nicht zueinander. Da helfen auch keine Appelle an eine mögliche „friedliche Koexistenz“, die ein Nebeneinander von neu zugebauten Kohlekraftwerken mit Sonnen- und Windstrom glauben machen wollen. Es entspricht auch nicht den technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen einer Energiewende, im bundesweiten Ausbau der Übertragungsnetze durch 2.800 km neue Höchstspannungstrasse (plus ebenso viele Kilometer Verstärkung) ein notwendiges „Backup für die Versorgungssicherheit“ zu sehen. Das ist Apologetik der Strommonopole die ihren anwachsenden Kohlestrom verscherbeln wollen. Jeder, der vom Netzausbaubeschleunigungsgesetz bzw. vom Bundesnetzplan und seinen Trassenkorridoren (nomen est omen) eine „Konfliktlösung“ zwischen Erneuerbaren und Fossilen erwartet, unterschätzt die unter der Oberfläche wirkende Dynamik. Backup-Lösungen auf lokaler oder regionaler Ebene sind kostengünstiger und nicht weniger versorgungssicher. Den Erneuerbaren wird zwar immer noch der Anstrich des Fluktuierenden, also des Unzuverlässigen angehängt, die ohne zentrales Netz gar nicht existieren könnten. Völlig unterschlagen wird dabei, dass sich die Erneuerbaren im Verbund ergänzen, eine Einheit bilden und Redundanz bieten können. Was immer eine neue Bundesregierung beschließen mag, ein Netzplan wird immer temporär oder gar Makulatur bleiben. Es liegt in der Natur des Marktgeschehens, dass am Ende des Tages ein Produkt bzw. ein Geschäftsmodell den Markt erobert, während ein anderes dabei eliminiert wird. Man sollte sich vergegenwärtigen, es gilt nicht mehr die Rollenverteilung David gegen Goliath.
Erneuerbare auf Überholspur
Technisch und wirtschaftlich sind die Erneuerbaren der fossilen Energieerzeugung bzw. deren Technologien längst ebenbürtig, mehr noch, als Innovationstreiber haben sie zu einem rasanten Überholmanöver angesetzt. Das gilt nicht nur für die Stromseite, wo Grid Parity Realität geworden ist und die dezentrale Lastregelung die zentralen Verfahrensweisen der traditionellen Systeme alt aussehen lässt. Die Metapher des Überholvorganges bezieht, trotz Nachholbedarf, die Speichertechnologien ein, auch wenn das noch ein Weilchen dauern mag. Vor allem auf den Wärmesektor trifft dieses Bild zu. Dort sind die neuen Hybridsysteme den althergebrachten Verbrennungstechnologien überlegen. Längst geht es nicht mehr nur um die Kombination von Öl und Erdgas mit Solarthermie als Juniorpartner. Neue Technologien in Form von Biomasse, Wärmepumpen und BHKWs, sowie neue Lösungen für thermische Energiespeicher stellen die Uralttechnologie Kessel wirtschaftlich in den Schatten und erobern sich langsam aber sicher immer größere Marktanteile. Vor allem die digitale Regelungstechnik macht solche Hybridsysteme nicht nur möglich, sondern lässt sie effizienter und kostengünstiger werden.
Dezentrale Energieerzeugung und Bestandsmodernisierung
Die eigentliche Speerspitze dieser Entwicklung besteht aber im Zusammenwachsen von dezentraler Strom- und Wärmeerzeugung, also der gleichzeitigen Bereitstellung von Wärme und Strom aus einem Gebäude bzw. einem lokalen oder regionalen Netz. Zentral ist dabei der kostengünstige Sonnenstrom. Der Entwicklungspfad zur seiner Vermarktung jenseits der EEG-Vergütung kommt spätestens mit der 10 %igen Vermarktungsmarge, die zum 1. Januar 2014 in Kraft tritt, ins Rollen. Wobei Vermarktung in vielen Fällen erst einmal Eigenverbrauch bedeutet. Aber als singuläre Vermarktung bringt das wenig. Nur in der Kombination mit anderen Erneuerbaren entsteht überlegene Wirtschaftlichkeit. Diese mag verschiedene Auswirkungen haben, aber eines wird es nicht hervorrufen: ein Stocken der Energiewende. Dachanlagen auf Einfamilienhäusern mögen zukünftig kleiner ausfallen, verschwinden werden sie nicht. Der Zwang zur Eigenstromnutzung wird vielmehr eine neue Generation der Gebäudetechnik ins Leben rufen. Denn die sinkenden Kosten bei der Photovoltaik machen die Erweiterung bestehender Heizsysteme um Komponenten der solaren Stromerzeugung wirtschaftlich interessant. Die Bandbreite der dadurch am Markt verfügbaren Systeme reicht – neben den Mini-BHKWs, die sich ja auch vielfach kombinieren lassen – von der direkten elektrischen Wärme- oder Warmwassererzeugung, die PV-Strom als Add on nutzt, bis zur Ergänzung einer konventionellen Kesselanlage, deren Kombispeicher per Heizstab mit PV nachgeheizt werden kann. Favoriten im Feld der neuen Kombis sind außerdem noch trivalente Lösungen, die PV-Strom plus Solarthermie inklusive einer konventionellen Zusatzheizung, etwa Biomasse, kombinieren, sowie die vieldiskutierte Verbindung von Wärmepumpe mit Sonnenstrom, mit oder ohne Solarthermie als drittem Standbein.
Bei einer Fachtagung des VDI im September zum Thema „Erneuerbare Energien in der multivalenten Gebäudeenergieversorgung“ wurde die Eigenversorgung für Wärme, Strom und Mobilität aus Sonne und Umwelt in Einfamilien- und Zweifamilienhäusern nicht als Zukunftsvision, sondern als Gegenwartsthema abgehandelt. Zugleich wurde auch konstatiert, diese Entwicklung finde Eingang in den Geschosswohnungsbau, wo immerhin mehr als die Hälfte der Bundesbürger (rd. 53 Prozent) zur Miete wohnen. Das hat seine ökonomischen Gründe. Allen politischen Versprechungen zum Trotz, die steigenden Mietkosten zu deckeln, sind die neuen Kombimöglichkeiten und die Eigenversorgung wohl die einzige realistische Alternative, um dem Ansteigen der Warmmieten etwas entgegen zu setzen. Es ist kein Zufall, dass inzwischen auch die kommerzielle Wohnungswirtschaft, nach langen Jahren des Zögerns, in dieses Geschäftsfeld vorstoßen möchte. So fordert die Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BDI), in der praktisch alle Verbände der Branche vertreten sind, „endlich die Rahmenbedingungen für dezentrale Stromerzeugung zu verbessern“. Die Wohnungswirtschaft will diese „Innovationen im Rahmen der Energiewende …entwickeln“. Gegenwärtig ist es so, dass ein Vermieter, der seinen Mietern selbsterzeugten Strom anbietet oder diesen ins öffentliche Netz einspeist, gewerbesteuerpflichtig wird und höhere Versicherungskosten zu tragen hat. Die rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen insbesondere für selbsterzeugten Strom an und in der Immobilie seien noch nicht geeignet, die vorhandenen Technologien effizient in der breiten Praxis einzusetzen, kritisiert die Bundesarbeitsgemeinschaft und fordert für sich den Zugang zu diesem Geschäftsfeld.
Das Zusammenwachsen von Strom- und Wärmeerzeugung steht also recht breit auf der Tagesordnung. Die Verbreitung des Eigenverbrauchs von PV-Strom wird möglicherweise zu einer Verschiebung der Gewichtungen zugunsten der Sonnenwärme führen, da sie immer noch die kostengünstigste Energieform bei den Erneuerbaren darstellt. Aber auch die Verwendung von Sonnenstrom für Heizzwecke wird zu einer Reduzierung der PV-Systemkosten führen. Es ist keine allzu kühne These zu behaupten, dass die Luft für Kohlestrom immer dünner wird.
Einspeisegarantie für Kohlekraftwerke aufheben
Ob dies alles die Energiewende zum Selbstläufer machen wird, kann dagegen bezweifelt werden. Jedenfalls wird ein Verschwinden der CO2-Schleudern nicht in der Zeitspanne ablaufen, welche die Klimaforscher, wie aktuell der Klimarat der Vereinten Nationen (IPCC), anmahnen. Nach der Bundestagswahl muss man konstatieren, dass der Stellenwert der Energiewende bei den Parlamentsparteien recht bescheiden ausfällt. Das gilt sogar für die Grünen, die ihr bisheriges Lieblingsthema inzwischen stiefmütterlich behandeln. Gegen alle politischen Widrigkeiten gilt es hervorzuheben, dass es nicht alleine um die Novelle des EEG gehen kann. Gewissermaßen auf einer Ebene über den einzelnen Gesetzen muss eine breite Schneise für das Zusammenwachsen einer dezentralen Strom- und Wärmeerzeugung und -verteilung geschlagen werden, die es der Energiewende erlaubt, sich gegenüber dem Ansturm der Energiemonopole zu behaupten und die eigene Dynamik weiter zu entfalten. Dazu gehört auch, die Einspeisegarantie für Kohlekraftwerke, wie sie im Energiewirtschaftsgesetz verankert ist, aufzuheben.
Die Lage ist entgegen aller Miesmache in den Mainstreammedien nicht schlecht. Strom und Wärme aus dem Haus und für das Haus sowie Smart Distrikt Heating gekoppelt mit dezentraler Stromerzeugung stehen auf der Tagesordnung. Dass diese Umsetzung Hand in Hand mit der Modernisierung des Gebäudebestands gehen muss, wird Kennzeichen der Energiewende 2.0 sein. Entsprechende Regelungen sind von jeder neuen Bundesregierung einzufordern, gleichgültig mit welcher Tarnfarbe sie besprüht sein mag. Gleichzeitig muss man aber in Rechnung stellen, dass ein weiteres Vordringen der Energiewende vor allem in den Wärmebereich die Widersprüche weiter zuspitzt. Das wird Energiemonopole auf den Plan rufen, die sich bisher vornehm zurückgehalten konnten, die Exxons und Gazproms. Doch das bleibt einer Energiewende 3.0 vorbehalten.
Klaus Oberzig