Zeitenwende
Solare Prozesswärme wirbelt den Markt für Großanlagen auf: Alle reden vom Erdgas: seit dem 24. Februar ist dessen Preis, das im Wesentlichen aus Methan besteht, in die Höhe geschnellt. Lieferengpässe zeichnen sich ab. Vladimir Putin hat mit seinem nach 2014 nun zweiten Angriff auf die Ukraine eine Zeitenwende ausgelöst. Waren „Dekarbonisierung“ und „nachhaltige Produktion“ bisher Wohlfühlthemen für ihre Marketing- und PR-Abteilungen, so schrillen in energiehungrigen Unternehmen jetzt die Alarmglocken. Quasi über Nacht wurde ganzen Industriezweigen bewusst, wie abhängig sie von ununterbrochener Gasversorgung und niedrigen Energiepreisen sind. Hektisch wird seither nach Einsparpotenzialen und alternativen Energieträgern gesucht. Gefunden wird dabei immer öfter die Solarthermie, und zwar in der Megawatt-Klasse.
Boom
Anfragen nach großen Solarthermie-Prozesswärmeanlagen kommen aktuell vermehrt aus Ländern mit Gaspipelines aus Russland. Unternehmen aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Polen suchen nach alternativen Wärmequellen. Parallel entwickelt sich der solare Fernwärmesektor weiter. So sind in Frankreich nach den Industrieunternehmen nun auch die Städte auf den Geschmack gekommen. Und in Deutschland entstehen ganz neue Allianzen: private Branchenverbände, öffentliche Forschungseinrichtungen und Solarthermie-Anbieternetzwerke bekommen Gesprächstermine bei einer Landesregierung, um gebündelte Solarthermieprojekte zu beschleunigen, Belieferung mit Material abzusichern. Kurz gesagt: die Solarthermie, besonders die große Solarthermie, erlebt gerade einen Nachfrage-Boom.
Bislang waren die Kunden fast ausschließlich Energiegenossenschaften oder Stadtwerke, aber seit Neustem kommen neue und schnell entschlossene Kunden aus der Industrie hinzu. Ein Grund dafür liegt im Geschäftsmodell des Contractings. Stadtwerke wollen Heizwerke, auch solarthermische, besitzen und betreiben, um dann aus dem Verkauf der Wärme Einkommen zu generieren. Private Unternehmen haben jedoch schon ein Einkommen, und zwar aus dem Verkauf ihrer Waren und Dienstleistungen. Für sie ist Wärme nur Mittel zum Zweck, und ein eigenes Heizwerk zu haben, würde die meisten Unternehmen überfordern und vom Kerngeschäft ablenken. Das für sie interessante Geschäftsmodell ist also vielmehr die Belieferung mit Wärme durch einen Wärmeliefer-Contractor, der die Solaranlage betreibt.
Vorbild Frankreich
War Dänemark Pionier für solare Fernwärme, so ist Frankreich Pionier in Sachen solare Megawatt-Prozesswärme. Zwar gibt es auch in Deutschland Brauereien, Metzgereien, Autowaschstraßen, etc., die Solarkollektoren nutzen, um Teile ihrer Wärme brennstofffrei erzeugen zu lassen. Doch trotz Förderungen von ca. 50% der Investitionssumme gibt es hierzulande nur eine Handvoll neuer Anlagen pro Jahr, und die Durchschnittsgröße liegt unter 100 m2, meist auf einem Dach. Erst in jüngster Zeit findet das Wärmeliefer-Contracting auch in Deutschland bei der Solarthermieanwendung. So wurden erste Gasdruckregelanlagen mit Kollektorfeldern bis zu 4.000 m2 ausgestattet.
Zu Europas größten Referenzen für solare Prozesswärme der letzten Jahre gehören:
- Eine Papiermühle im französischen Condat mit einer einachsig nachgeführten Kollektorfläche von 4.200 m2, die ein Contractor errichten ließ. Der spektakuläre Jahresertrag von 1.000 kWh/m2 wird zu einem Fixpreis geliefert. Die einachsige Nachführung der Großkollektoren sorgt für ca. 25% Mehrertrag und erlaubt die Schnellabschaltung der Solaranlage. Bei plötzlichem Produktionsstillstand in der Papierfabrik werden die Kollektoren in den Schatten gedreht. Und Extrem-Hagel können sie in einer senkrechten Schutzstellung heil überstehen.
- Ebenso in Frankreich: Eine Mälzerei in Issoudun. Das dort verwirklichte Solarfeld mit 14.000 m2 hat eine individuelle Bodenverankerung, angepasst an die Industriebrache. Die 10 MW-Anlage lieferte im ersten Jahr 210 GWh Wärme für die Bier- und Whiskeyherstellung. Die Geschäftsführung der Mälzerei hat schnell verstanden, dass dieselbe Solaranlage ihr noch mehr Energie liefert, wenn bestimmte Malzprozesse mit etwas niedrigeren Vorlauftemperaturen aus der Solaranlage versorgt werden. Das rechnete sich sofort für den Contractor, aber eben auch für den Kunden. Ein internes Energieaudit identifizierte weitere Anwendungen, die mit Solarwärme versorgt, zumindest vorgewärmt werden können. Boortmalt, der weltweit größte Malzhersteller, wird daher noch weitere Malzwerke auf solarthermische Wärmeversorgung umrüsten lassen.
- Eine Großmolkerei in Verdun, ebenfalls Frankreich, bezieht demnächst mit Hochleistungskollektoren auf 15.000 m2 Wärme für ihre Milchprodukte, der Gaseinkauf wird spürbar entlastet.
- Eine 900 m2 große Pilotanlage in Mexiko liefert der Bergbaubranche Wärme für eine Mine. Die Angst vor dem Neuen, Unbekannten, sorgte dafür, dass erst noch eine Testanlage gebaut, betrieben, und ausgewertet werden soll, bevor „wirklich“ investiert wird. Die extrem niedrigen Wartungs- und Betriebskosten nach der Anschaffung einer großen Solarthermieanlage von 1 bis 2% des Kaufpreises vor Förderung werden vor der Inbetriebnahme gerne angezweifelt.
Systemdesign und Großkollektoren
Alle diese Großanlagen sind natürlich mit Wärmetauschern als Systemtrennung zwischen Solarkreislauf und Kundennetz gebaut. Wie weltweit dominierend, werden auch hier Hochleistungsflachkollektoren verwendet. Alle Anlagen sind mit Frostschutz durch Verwendung von giftfreiem Propylen-Glykol ausgestattet, und haben damit eine enorme Eigensicherheit gegen Stagnation.
In diesen und anderen Industriebranchen, die einen Großteil ihrer Wärme in Prozessen unterhalb 100°C benötigen, fällt der Blick also immer öfter auf die große Solarthermie. Wie unvorbereitet einzelne Unternehmen bei den ersten Gesprächen aber oft noch sind, zeugt vom bislang unbekümmerten Umgang mit scheinbar grenzenlos verfügbarer billiger Energie. Doch lassen wir uns nicht täuschen. Ein Einkäufer einer z.B. Mälzerei kann elementare Fragen nach dem Energieverbrauch vielleicht nicht sofort beantworten. Er versteht aber sehr gut, was die Solarthermie zu bieten hat: entweder die gesamte Anlage, und damit die von ihr zu erzeugende Wärmemenge der nächsten Jahrzehnte, wird im Voraus bezahlt, oder die Solarwääme wird vom Contractor zu einem gefixten Preis geliefert. Beides macht das Unternehmen sofort unabhängiger von den Preisschwankungen, Lieferrisiken, und CO2- Abgaben. Und die Aufgabe der Dekarbonisierung wird gleich miterledigt.
Die Zeitenwende findet aber nicht nur auf der Ebene der Kosten statt. Es geht auch um Verfügbarkeit. So werden kleine Solarthermieprojekte ohne Vorvertrag auf substantielle Lieferungen weiterer Anlagen demnächst kaum noch interessant für die wenigen qualifizierten Anbieter sein. Auch treten heute bereits Klimaveränderungen und Extremwetterlagen auf, die die meisten Wissenschaftler erst in Jahrzehnten erwartet hatten. Entscheidungs- und Einkaufsprozesse aus dem letzten Jahrhundert wirken vor diesem Hintergrund seltsam aus der Zeit gefallen.
Ein Kriegsverbrecher treibt die Wärmewende voran
Seit Russland Erdgas als Machtmittel einsetzt, steigen die Preise. Was Klimaschutzkonferenzen, wissenschaftlich gesicherte Fakten, und streikende Kinder nicht geschafft haben, hat Putin über Nacht erreicht: Effizienz, Suffizienz, Rationierungen, erneuerbare Wärme, Solarthermie – alles wird jetzt sehr ernst genommen. Aus einem Einkäufermarkt mit geringer Nachfrage ist ein Anbietermarkt mit begrenzter Lieferfähigkeit geworden. Die Auswirkungen sind zahlreich, und nicht sofort spürbar. Was bedeutet das z. B. für die Stadtwerke, die sich mit immer mehr und immer größeren Projekten auf solarthermische Freiflächenanlagen in ihrem Erzeugerpark vorbereiten, lange auf die BEW gewartet haben, und nun loslegen wollen?
So wird meist von Primärenergie gesprochen und nicht von Endenergie. Auch geht es um „Grundlast“ und nicht um Lastmanagement. Und meist wird der Wunsch geäußert, nicht nur die gleichen alten Wärmegestehungskosten zu behalten, sondern auch nichts am eigenen Produktionsprozess ändern zu müssen. Verständlich. Und unrealistisch. Nach dem Wirklichkeitsschock setzt sich meist der unternehmerische Geist durch: Okay, wenn das Alte nicht mehr geht, wie geht es denn dann, und wie kommen wir da hin?
Sofort fallen einem die klassischen Hürden ein, die es vor der Inbetriebnahme einer Solarthermie-Freiflächenanlage zu überwinden gilt. Zuerst der Platz, also, wo soll die Anlage hin? Gibt es für das Grundstück bereits Baurecht? Wo soll die solare Wärme in den Produktionsprozess eingebunden werden, und auf welchem Temperatur- und Druckniveau? Wo sollen der eventuell benötigte Wärmespeicher und die Hydraulikstation stehen? Welche anderen Erzeuger gibt es, und wie muss die Steuerung für ein optimiertes Zusammenspiel aussehen? Wie werden sich die Erzeugung und der Verbrauch in den nächsten dreißig Jahren verändern? Wann und wie will das Unternehmen auf null Treibhausgasemissionen kommen? Womit müssen Solaranlage und Wärmespeicher also kompatibel sein?
Fakt ist, die meisten Firmen, Ausnahmen bestätigen die Regel, können diese Fragen erst einmal nicht beantworten. Ihnen fehlen Daten über ihre eigenen Energieströme – und konkrete Transformationspläne. Und zuständige Mitarbeiter brauchen Zeit, um sich im Dschungel der theoretisch miteinander zu kombinierenden Technologien, nicht zuletzt in der dazugehörigen Förderlandschaft, zurechtzufinden. Biogas, Biomasse, Wasserstoff, PV, Wärmepumpe, Geothermie, Power2Heat, Abwärme, Einsparpotentiale? Schwer zu sagen, was größer ist, die Verunsicherung oder der Handlungsdruck.
Kunden in steiler Lernkurve
Die Erkenntnis, dass Freiflächen dicht am Wärmeverbraucher Gold wert sind und dass die Solarthermie im Vergleich zur PV 3- bis 4-mal flächeneffizienter ist, setzt sich erst langsam durch. Im Gegensatz zur leicht zu installierenden PV, die auf Dächern und Fassaden stattfinden soll, sollte die Solarthermie Vorrang auf kompakten, unverschatteten Flächen haben. PV ist für die hydraulisch schwer zugänglichen Geländeecken am besten geeignet. So wird an einem sonnigen Tag zeitgleich Solarstrom erzeugt, der mindestens den Eigenverbrauch der Solarthermieanlage (Pumpen, Ventile, Regelung) abdeckt. Zusätzlicher Solarstrom geht in die industriellen Produktionsprozesse.
Nicht nur zwischen PV und Solarthermie (ST) gibt es keine Konkurrenz, wenn es richtig gemacht wird. Auch Großwärmepumpen und Heißwasserspeicher bringen ihre jeweiligen Stärken erst im wohlorchestrierten Zusammenspiel aller Komponenten voll zur Geltung. Es geht nicht um entweder oder, sondern um sowohl als auch.
Was kann der Verkäufermarkt für die große Solarthermie bedeuten? Nun, zum einen können die wenigen Spezialunternehmen, die in diesem Segment tätig sind, endlich in die Gewinnzone kommen, noch mehr Investoren anziehen, und Personalaufbau, Produktionsausweitung, und Internationalisierung vorantreiben. Zum anderen wird es für viele Kunden zu Lieferzeiten kommen, falls sie überhaupt auf ihre Ausschreibungen Angebote erhalten werden. Denn ab 2023 wird der Verkäufermarkt auch in den Großprojekten angekommen sein. Steigende Kosten für Kohle, Öl und Gas werden die Investitionschancen für Unternehmen weiter einengen. Wer aber nicht in Dekarbonisierung, günstige und kostenstabile solarthermische Wärmeversorgung investieren kann, für den geht es bald nicht mehr weiter.
Ab 2023 kann es für Stadtwerke, aber auch für Industrieunternehmen, die „nur“ eine 3.000 m2 Solarthermieanlage kaufen wollen, schwierig werden. Das ist auch für die deutsche Politik im Bund und in den Ländern wichtig: Die Dekarbonisierung, Solarisierung der Fernwärme und der industriellen Prozesswärme greift auf eine begrenzte Fertigungskapazität für Kollektoren und auf sehr wenige fähige Fachfirmen zu. Die Ausbaupläne von z. B. Baden-Württemberg stehen im Wettbewerb mit denen von Thüringen und Schleswig-Holstein, und mit denen der Industrie - in Deutschland, Frankreich, Niederlande, Mexiko.
Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass kurzzeitig auch die Preise anziehen werden. In der Photovoltaik war das in Boomphasen immer mal kurzzeitig zu sehen, selbst wenn der Mehrjahrestrend stetig nach unten zeigt. Auch die große Solarthermie hat eine steile industrielle Lernkurve, und auch dort gehen über mehrere Jahre gesehen die Preise deutlich nach unten. Dank Effizienzsteigerungen und innovativen Konzepten kommt es zu Skaleneffekten in der Produktion, und Synergien in komplexen Wärmenetzen. Solarthermie wird immer günstiger werden. Und Anlagen mit nichtevakuierten Hochleistungsflachkollektoren werden sogar noch nach ihrer Inbetriebnahme zusätzliche Kostenvorteile erzielen: mit jeder Absenkung der Netztemperaturen steigt ihr Ertrag.
Kommt es dazu, dass internationale Großkunden sich Kollektorkontingente sichern, kann es passieren, dass die eher etwas später in diesen Markt eingetretene deutsche und internationale Industriekundschaft durch ihr tendenziell schnelleres, risikofreudigeres Handeln den aus guten Gründen etwas langsameren Stadtwerken die begehrte Ware auf der Überholspur vor der Nase wegschnappt. Städte und Gemeinden könnten ihre Klimaschutzziele dann nicht wie geplant erreichen. Und die kostendämpfende Wirkung großer Solarthermieanlagen auf den Fernwärmepreis käme auch erst mit Jahren der Verzögerung zur Geltung, wenn bei den Kollektorherstellern Produktionskapazitäten erweitert worden sind, und kurzfristige Lieferfähigkeit wiederhergestellt wurde. Die Nachfrage nach solarer Prozesswärme kann in dieser Marktsituation also disruptiv das Marktgefüge verändern.
Unterschiedliche Risikobereitschaft
Machen wir uns nichts vor: Megawatt Solarthermieanlagen sind noch kein alltägliches Produkt, das mal eben so geordert wird wie ein Gaskessel oder ein BHKW. Es ist nur natürlich, dass jemand Angst hat, bei Planung, Angebotsprüfung, Auftragsauslösung, Liefervertragsgestaltung, etc., mit seiner Unterschrift einen Fehler zu machen, der ihm persönlich auf die Füße fallen könnte. Da wird ein Projekt dann noch einmal extern geprüft, wird eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, werden Gutachter bemüht, aber es wird keine Entscheidung getroffen. Im Umgang mit wertvollen Steuergeldern oder Unternehmenskapital ist Gründlichkeit ehrenwert. Angesichts der ständig weiter befeuerten Klimakatastrophe und nur begrenzt verfügbarer Fachkräfte und Komponenten geht es aber vor allem um eines: Tempo.
Es reicht nicht von Zeitenwende zu sprechen, sie muss auch zur Chefsache erklärt und gelebt werden. 100 TWh Solarwärme, das ist gesunde und friedensstiftende Wärme Jahr für Jahr, inklusive Entlastung der Stromerzeugung und Stromnetze. Das ist das Angebot der Solarthermie Hersteller aus dem In- und Ausland an Deutschland. Nur, wenn jetzt nicht bestellt wird, wird woanders hin geliefert.
Klimakanzler gesucht
Was kann die Politik tun? Nun, mit der dann doch etwas plötzlichen Beendigung der Förderung von Gaskesseln in Kombination mit Solarthermie, die Fachkreise längst gefordert hatten, zeigt die Politik, dass sie in der Energiewende, besonders in der Wärmewende endlich Tritt fasst, Führung übernimmt, ordnungspolitisch Grenzen setzt, und auch ungewöhnliche Vorgehensweisen beherzt ausprobiert. Als nächste Schritte kann sie für große Solarthermie nutzbare Flächen allokieren, und pauschal mit sofortigem Baurecht versehen. Und sie kann mit der Geschwindigkeit, in der LNG-Terminals und eine Tesla-Fabrik genehmigt wurden, eine staatlich abgesicherte Bestellung auslösen. Sie kann ein großes Kontingent von Solarkollektoren sichern, das dann zeitnah von Stadtwerken und Industrieunternehmen abgerufen werden kann. Sie kann darüber hinaus die Ansiedlung von Kollektorfertigungen erleichtern, und eine Forschungs- und Ausbildungsoffensive für Fachkräfte in Wärmeerzeugung und Wärmespeicherung ins Leben rufen.
Dann können sich Olaf Scholz statt vor einer Gasturbine und Friedrich Merz und Markus Söder statt vor einem Brennelementebecken mutig und entschlossen vor einem Lagerhaus voller Kollektoren fotografieren lassen. Das würde das richtige Zeichen setzen. An die Solarthermiebranche, die verlässliche Investitionssignale braucht, und an manchmal noch zögerliche und verunsicherte Entscheider in Kommunen und Industrie. Und an Putin.
Wir haben Führung von einem Klimakanzler bestellt, nun kann er die Zeitenwende für die Wärmewende liefern.
Mälzereiprojekt in Issoudun
Es ist es Frankreichs größte Solarthermieanlage und gleichzeitig auch Europas größte solare Prozesswärmeanlage. Mit einer Kollektorfläche von 14.252 m2 werden rund 10 MW Wärmeleistung erzielt. Mit ihr hat sich der Mix der Wärmeerzeugung verändert: Die Flachkollektoren liefern jährlich 10 Prozent der benötigten Wärme, lediglich 50 Prozent müssen noch die Gaskessel zuliefern. Weitere 25 Prozent trägt eine KWK-Anlage bei, die übrigen 15 Prozent stammen aus Biomasse. Die 8.500 MWh solare Wärme werden durch einen Ertrag von 600 kWh/m2 Kollektorfläche geliefert. Sie verringern den Gasverbrauch und erreichen eine CO2-Einsparung von 2.100 Tonnen, Jahr für Jahr.
Die solare Wärme erreicht die Mälzerei mit bis zu 90 Grad Celsius. In einem gesonderten Prozess erfolgt die Wärmeübertragung an Lüfter, die das Malz bei maximal 70 Grad Celsius schonend trocknen. Für den Betreiber und dessen Produkte bedeutet dies einen jährlich um 2.100 Tonnen verminderten CO2-Ausstoß. Der Bau der Solarthermie-Anlage hat insgesamt nur sechs Monate gedauert. Sie wird nun über 25 Jahre lang fast wartungsfrei gesunde Wärme liefern.
Inge de Winne ist Boortmalts Chief Sustainability & Supply Chain Officer. Sie will einen erheblichen Teil der Energieversorgung des Konzerns bis 2030 auf nachhaltige Versorgung umstellen. Als das französische Unternehmen Kyotherm den Bau und Betrieb einer großen Solarthermieanlage neben der Mälzerei anbot mit dem Ziel, brennstofffreie Wärme zu einem attraktiven und vor allem stabilen Preis zu liefern, erkannte Inge de Winne rasch die vielen Vorteile.
Freitragende Kollektoren sparen Material und Kosten
Das übliche Verfahren des Einrammens von langen Stahlprofilen, die die robusten Hochleistungs-Kollektoren mit einer Spannweite von über sechs Metern tragen sollen, war so nicht umsetzbar. Deshalb wurde ein Montageansatz für Strom- und Antennenmasten umgesetzt, der bereits bei PV-Großanlagen verwirklicht wurde. Das Konzept eines „Erd-Dübels“ wurde für die mechanischen Lasten gemäß der Windlastberechnungen für Issoudun angepasst und verfeinert. Nach mehreren Prototypen- und Feldversuchen erfolgte die entscheidende Freigabe durch die zuständige französische Baubehörde.
Potenzial
Solare Prozesswärme hat das Potenzial, bis 2035 etwa die Hälfte aller Mälzereistandorte weltweit zu versorgen. Es wurden bereits 153 potenzielle Standorte identifiziert, davon die Hälfte in Europa. Das entspricht einer potenziellen Kompensation von 750.000 Tonnen CO2 pro Jahr in der EU. Oder anders gesagt: Solarthermie wurde bisher völlig unterschätzt. Denn Lösungen wie in Issoudun können auf viele andere Branchen mit ähnlichen Trocknungsprozessen angewendet werden, zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie (Molkerei, Hefe, Stärke und Süßstoffe, Gelatineherstellung) und in anderen Branchen (Keramik, Baustoffe, Zellstoff und Papier). Die Anwendung ist in allen Teilen Europas möglich, da Solarthermie auch in Gebieten mit weniger direkter Sonneneinstrahlung wie in Mittel- und Nordeuropa eine gute Leistung ermöglicht.
Torsten Lütten